Hamburg. Premiere für eine Großstadt: Mit 22 Millionen Euro vom Bund werden die Parks der Stadt zu Naturflächen

Natur trifft Großstadt. Ein Umweltprojekt dieses Kalibers hat es bisher in noch keiner deutschen Metropole gegeben. 40 Hamburger Parks und Naturschutzgebiete, vier Hauptverkehrsstraßen sowie drei Biotopverbände sollen in den kommenden Jahren unter Aufsicht verwildern, in Teilen renaturiert und dabei für Hamburger attraktiver gemacht werden. Dafür legt der Senat mit Unterstützung des Bunds das Projekt „Natürlich Hamburg!“ auf, das am Dienstag von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) vorgestellt wurde. Bis zum Jahr 2031 sollen 22 Millionen Euro ins Stadtgrün und die urbane Artenvielfalt und damit in Erholungswerte investiert werden.

Konkret nehmen sich Biologen, Botaniker und Stadtplaner in den kommenden vier Jahren zunächst die Wallanlagen, das Naturschutzgebiet Eppendorfer Moor sowie die Eiffestraße, die Bergedorfer Straße und die Hamburger Straße vor, um schlummernde Naturpotenziale zu heben und Blaupausen zu entwickeln. Danach sollen bis 2031 alle übrigen, von den Bezirken ausgewählten Stadtnaturflächen kultiviert wuchern. Wilde Bereiche und gepflegte Abschnitte dürfen sich dabei abwechseln und ergänzen. Ziel ist, einen vielfältigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie ansprechende Freizeitflächen für Menschen zu schaffen. „Wir holen die Natur mitten in die Stadt“, sagte Kerstan. Dafür sollen sogar die Grünpfleger Hamburgs spezielle Schulungen erhalten.

Insgesamt geraten knapp 6200 Hektar in den Fokus der Umstrukturierung – 21 Parks und 19 Naturschutz­gebiete. Quantitativ ändere sich nichts, so Kerstan, es werden also keine neuen Naturschutzgebiete ausgewiesen. Vielmehr soll die biologische und botanische Qualität der Parks und des Straßengrüns erhöht werden. Vor allem Verkehrsinseln und Straßenränder sollen als „blühende, natürliche Werbeträger für das Projekt“ fungieren. Um sich ein Bild von den Plänen machen zu können, startet die Grün-Offensive mit einer Pilotfläche im Park Planten un Blomen. Sie dient mit ungemähten Wiesen, urwaldähnlichem Dickicht oder frei wuchernden Wäldern als Anschauungsbeispiel für Stadtwildnis.

Dem Umweltsenator sei klar, dass Überzeugungsarbeit für scheinbar ungepflegte Bereiche in Parks geleistet werden müsse. Zu betonen sei deshalb, dass alle Bereiche weiter frei zugänglich blieben. „Wir wollen weder Regenwald im Stadtpark pflanzen noch Wisente im Duvenstedter Brook aussetzen“, so Kerstan. Stattdessen sollen Artenvielfalt gefördert und Naturerlebnis bedient werden. Eine Sehnsucht, die laut aktueller Umfrage des Bundesamts für Naturschutz (BfN) 90 Prozent der Deutschen verspüren. Denn knapp drei Viertel der Bevölkerung leben in dicht besiedelten Gebieten.

In der ersten Phase des Projekts „Natürlich Hamburg!“ steuert das BfN 2,1 Millionen Euro bei, 800.000 Euro kommen aus dem Haushalt der Stadt. Insgesamt beteiligt sich der Bund bis zum Jahr 2031 zu drei Vierteln an den Kosten von knapp 22 Millionen Euro, die für den Aufbau der naturnahen Metropole vorgesehen sind. Das sei „ein großer Schluck aus der Pulle“, wie Kerstan salopp und stolz formulierte.

Matthias Herbert, Leiter der Abteilung Natur und Landschaft in Planung und Nutzung im BfN, sagte, dass das Projekt zentrale Forderungen des Naturschutzes an die integrierte Stadtentwicklung umsetze. Das Fördern der Biodiversität stoppe nicht an der Stadtgrenze, sondern soll sich bis in die City ziehen. Als Geldbote des Bunds beglückwünschte er Hamburg zur erfolgreichen Bewerbung als erste Großstadt im Bundesprogramm „Chance.Natur“.

Der Hamburger Naturschutzbund (Nabu) sieht in „Natürlich Hamburg!“ ein „wichtiges Projekt für unsere Stadt“. Der Vorsitzende Alexander Porschke gratulierte den Naturschützern in Kerstans Behörde zu ihrem Erfolg. Angesichts des Artensterbens, so Porschke, „ist es umso wichtiger, dass in unserer Stadt die Chancen ergriffen werden, Lebensräume zu entwickeln“.

Mit den drei Landschaftszonen der Geest, des Hügellandes und des Urstromtals der Elbe biete Hamburg laut Behörde beste geografische Voraussetzungen und sei schon heute ein „Hotspot der biologischen Vielfalt“. Dieses Potenzial soll nun auch mit der naturnah bepflanzten Osdorfer Landstraße oder der B 73 im Bezirk Harburg ausgeschöpft werden, ebenso wie mit renaturierten Bereichen am Isebekgrünzug, dem Volks- und dem Stadtpark oder dem Oberlauf der Alster. 21 Parks und 19 Naturschutzgebiete werden naturnah aufgewertet – mit Totholzflächen oder Wildblumenwiesen einerseits, mehr Beobachtungsposten, Bänken und Informationstafeln andererseits.

Skeptikern der Stadtwildnis will Kerstan beweisen, dass Hamburg „das Management von Grünflächen und Parks auf der einen und von Naturschutzgebieten auf der anderen Seite zusammenbringe“. Bis zum Projektende bleiben ihm dafür nun 14 Jahre Zeit.