Hamburg. Zahl sinkt um zwei Drittel. Deutscher Schiffbau trotzt dem Trend mit vielen Neubauaufträgen. Wettbewerbsdruck steigt unablässig.
Im orangefarbenen Licht des Sonnenuntergangs liegt die MS „Europa“ bei Blohm + Voss im Dock. Ein zweifellos schönes Motiv aus dem Hafen. Mehr Hamburg geht kaum – für die Traditionswerft ging allerdings lange Zeit auch kaum mehr.
Denn jahrelang hielt sich das Unternehmen mit der Reparatur und Modernisierung von Kreuzfahrtschiffen wie der „Europa“ über Wasser. Im Februar kündigte die Bremer Lürssen-Gruppe, die die Werft Ende September 2016 übernommen hatte, den Abbau von etwa jeder dritten Stelle der insgesamt 980 Arbeitsplätze an. Die Werft befinde sich „in einem kritischen Zustand“, teilte Lürssen damals mit.
Nur in Europa mehr Aufträge, besonders in Deutschland
Die Situationsanalyse passte zur Lage des Schiffsbaus auf der Welt. Denn global gesehen liegt er weltweit am Boden wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Doch es gibt eine Ausnahme: Nur in Europa bekommen die Werften gegenwärtig mehr Aufträge als sie gleichzeitig abarbeiten, bauen also ein Auftragspolster auf.
Und besonders gelte das für die Werften in Deutschland, geht aus einer Analyse des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg hervor. Und vor Kurzem gab es sogar von Blohm + Voss ein kräftiges Lebenszeichen. Immer wieder wurden Neubauaufträge für Megayachten avisiert, Vollzug konnte aber nie gemeldet werden – bis Mitte November. Zusammen mit einer norwegischen Werft soll das 1877 gegründete Hamburger Unternehmen eine 100 Meter lange Megayacht für eine Privatperson bauen, an der Elbe soll die Ausrüstung und die Ablieferung an den (nicht genannten) Kunden erfolgen.
Es ist das erste Mal seit fünf Jahren, dass ein neuer Ausrüstungsvertrag im zivilen Schiffbau reinkommt. Für mehr als ein Jahr soll es dadurch Arbeit geben. Lürssen hofft darauf, mit diesem Typ von Privatyachten in Serie zu gehen. Wenn das gelänge, wäre der Erhalt der Werft für Jahrzehnte gesichert.
Reeder brauchen kaum neue Schiffe
Blohm + Voss hätte im Gegensatz zu vielen Konkurrenten eine Zukunft. Denn laut der VSM-Analyse sind seit 2009 weltweit fast zwei Drittel aller Werften von der Bildfläche verschwunden. Übrig geblieben sind lediglich 358 Schiffbaubetriebe, von denen rund 30 Prozent an ihrem letzten Schiff arbeiten. „Es ist zu erwarten, dass auch in den kommenden Monaten weitere dieser Werften schließen müssen“, schreibt der VSM. Denn es mangelt an Aufträgen. In den ersten neun Monaten 2017 kamen mit 13,5 Millionen CGT (gewichtete Bruttotonnen) bei den Werften immer noch wenige Aufträge herein. Die Ablieferungen waren mehr als doppelt so hoch, das Auftragsbuch wird immer dünner. Vor der seit dem Jahr 2008 andauernden Krise hatten die Werften mehr als doppelt so viele Aufträge in ihrem Bestand.
Diese Krise der Werften ist eine verspätete Folge der Krise in der Schifffahrt, die weiterhin von gravierenden Überkapazitäten in vielen Bereichen geplagt wird. Fracht- und Charterraten sowie die Preise für gebrauchte Schiffe liegen auf niedrigem Niveau. Bei den Reedereien hat eine Konzentrationswelle eingesetzt, die auf die Nachfrage drückt. Die Reeder brauchen kaum noch neue Schiffe – allenfalls größere und effizientere Frachter, um noch mehr Container noch günstiger transportieren zu können. Die französische Reederei CMA CGM hat gerade in China neun Riesenfrachter bestellt, die mit verflüssigtem Erdgas (LNG) betrieben werden.
Kreuzfahrtsektor boomt
Abseits vom Frachtschiffbau boomt der Kreuzfahrtsektor. „Mit immer neuen Attraktionen bleibt die Kreuzfahrtindustrie Publikumsmagnet und stellt immer neue Passagierrekorde auf“, heißt es beim Verband. Allein in diesem Jahr kommen 26 Kreuzfahrtschiffe neu in den Markt. Davon profitieren europäische und deutsche Werften (wie die Papenburger Meyer Werft), die sich auf diesen Markt spezialisiert haben. Seit 2011 wächst der Wert des europäischen Auftragsbuchs und erreichte Ende Juni dieses Jahres mehr als 57 Milliarden Dollar (48 Milliarden Euro), davon ungefähr ein Drittel bei deutschen Werften. Mehr als 40 Prozent aller globalen Schiffbau-Aufträge gehen nach Europa.
Diese Erfolge des europäischen Schiffbaus wecken Begehrlichkeiten. China will einen Marktanteil von 40 Prozent im Hightech-Schiffbau erreichen und hat ein Gemeinschaftsunternehmen mit der staatlichen italienischen Großwerft Fincantieri zum Bau von Kreuzfahrtschiffen gegründet, was naturgemäß von den deutschen Schiffbauern sehr kritisch gesehen wird.
„Es gibt keinen Grund, sich zurückzulehnen“, sagt VSM-Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken. „Der Wettbewerbsdruck steigt unablässig.“ Um den gegenwärtigen Erfolg fortzusetzen, sei eine Stärkung des maritimen Industriestandorts Deutschland dringend nötig. Die Bundesregierung kenne das Problem. Nach der im Frühjahr beschlossenen maritimen Agenda 2025 würde eine Reihe weiterer Themen diskutiert und bearbeitet, doch seien die Fortschritte eher zäh, so der VSM. Durch die schleppende Regierungsbildung in Berlin werde die notwendige Dynamik zusätzlich ausgebremst.