Duvenstedt. „Meine gute Nachricht des Jahres“, Teil 4: Angela Pietrzik hatte mit der Kunst eigentlich abgeschlossen – bis jemand ihr Bild im Abfall findet

Eine Vernissage mit klassischer Livemusik und angeregten Gesprächen, in einer großen Galerie im Städtchen Suhl am Thüringer Wald. Ihre farbenfrohen Werke an den Wänden, gleich 61 Stück. Nie hätte Angela Pietrzik gedacht, dass so etwas noch einmal passieren könnte – an diesem Tag im August dieses Jahres, als sie frustriert ein halbfertig gemaltes, verschmiertes Bild in einen Müllcontainer geschmissen hatte.

Aufhören wollte sie damals mit der Kunst, endgültig. Seit Jahren hatte sie nicht mehr ausgestellt. Und dann noch diese Kühe, die – mitten beim Malen – auf sie zukamen und sie geradezu von der Weide gejagt hatten. Wie hätte sie ahnen sollen, dass genau dieser Umstand zur glücklichen Fügung werden würde?

Genau so aber ist es geschehen. Angela Pietrzik erzählt davon in der Küche ihrer Duvenstedter Altbauvilla, in der ein ebensolches kunterbuntes Durch­einander herrscht wie auf vielen ihrer Bilder. Wer die 81-Jährige reden hört, kann sich angesichts ihrer jugendlichen Ausstrahlung und der fröhlichen blauen Augen weder ihr Alter noch eine negative Stimmung vorstellen. Doch die hatte sie an besagtem Tag.

„Ich bin extra aufs Land hinter Ahrensbök gefahren, weil es dort so schöne Hügel gibt“, erinnert sie sich. Und so hübsche Kühe. Zu diesen Tieren hat sie eine besondere Beziehung – geprägt durch ihre zahlreichen Reisen nach Indien. Viele Jahre lang hat sie dort sogar mehr oder weniger gelebt. Ihr Mann Theo, ein Urologe, baute im nordindischen Dehradun ein Krankenhaus mit auf. Die Zeit dort hat ihren Malstil geprägt: farbintensiv, poetisch, mit zauberhafter Anmut und einem Hauch von Kandinsky und Chagall.

Auch das angefangene Bild zeigt eine Kuh im typischen Pietrzik-Stil: rosa mit roten und grauen Flecken und einem recht kleinen Kopf. Doch irgendwie war die Künstlerin damals auf der Weide nicht zufrieden. Zumal ihr Modell irgendwie immer näher kam. „Dass norddeutsche Rinder ebenso sanftmütig sind wie indische, darauf mochte ich mich nicht verlassen“, erinnert sich die Malerin. Also habe sie ihre Feldstaffelei und den anderen Kram zusammengepackt, sich das Bild unter den Arm geklemmt und die Flucht ergriffen.

Dass sie so entmutigt war, hatte nicht nur mit dem von der Flucht völlig verschmierten Bild zu tun. Denn zur Malerei gehört nun mal nicht nur das Anfertigen der Kunst, sondern auch, sie zu zeigen – und mit Ausstellungen hatte es in den vergangenen Jahren nicht mehr geklappt.

Also weg mit dem missratenen Bild. Sie warf es in einen Container, in dem Holz und landwirtschaftlicher Abfall lagerte. Das Bild passte da als Symbol ganz gut hin, fand sie. Wieder zu Hause angekommen, hielt sie an ihrem Entschluss fest. Das Atelier unter dem Dachboden verwaiste, die Farben auf der Mischpalette trockneten ein. Doch zwei Wochen später plötzlich die große Überraschung: Eine Frau klingelte an der Tür der Duvenstedter Villa – in der Hand das verschmierte Bild von Angela Pietrzik­. Die Dame aus Thüringen, die in der Gegend von Ahrensbök Urlaub machte, hatte es beim Stöbern aus dem Müll geklaubt und war sofort angetan – denn von Beruf ist sie Galeristin. Die Malerin zu identifizieren, war nicht schwer: Angela Pietrzik schreibt auf die Rückseite jedes Bildes ihre Adresse. „Sie fragte, ob ich noch mehr Gemälde hätte“, erinnert sich die Künstlerin. „Ich war total überrascht und auch ein bisschen unwillig, denn eigentlich wollte ich ja mit der ganzen Kunst nichts mehr zu tun haben.“

Dennoch führte sie die Galeristin in den ersten Stock, wo sich ihr „Lager“ befindet. In grob gezimmerten Regalen stehen weit mehr als 200 Werke – die großen unten, kleinere oben. Die Galeristin war begeistert. „Sie blieb zum Kaffeetrinken und zum Abendessen“, erzählt Angela Pietrzik. „Und als sie wegfuhr, bat sie mich, Bilder für eine Ausstellung auszusuchen.“ Sie wählte zunächst 30 Gemälde aus, doch die Galeristin bat um mehr. „Sie sagte, sie habe große Räume und könnte die doppelte Menge unterbringen.“

Die Vernissage am 19. Oktober in Suhl sei der unerwartete Höhepunkt ihrer Laufbahn gewesen, sagt Angela Pietrzik. Mehr als 100 Gäste seien dabei gewesen, sie habe eine Rede gehalten, viele interessante Gespräche geführt – und das Beste: „Ich lege noch mal los!“ Zwei neue Ausstellungen sind im Gespräch. Dort will sie auch das Kuh-Bild zeigen, das alles ins Rollen gebracht hat. Natürlich vollendet, denn sie malt wieder.


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