Hamburg. Profifußball verliert die Bodenhaftung. Doch die Amateurclubs, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind, ringen um ihre Existenz.
Deutscher Rap dröhnt aus der Kabine des Rudi-Barth-Sportplatzes, nur ein paar Freistöße entfernt rumpelt die S-Bahn zur Station Diebsteich. Auf dem Grill brutzeln Bratwürste, am Tresen schäumt die erste Lage Bier. In 45 Minuten wird an diesem Herbsttag die Bezirksliga-Partie zwischen dem Hamburger Fußballclub (HFC) Falke und der zweiten Mannschaft von Eintracht Norderstedt angepfiffen. Eines von jährlich 1,9 Millionen Spielen unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Falke wird am Ende 5:1 gewinnen, kein Spiel, das haften bleiben wird im kollektiven Fußballgedächtnis. Und doch gehört dieser Sieg zum vielleicht spannendsten Experiment im Amateurfußball: Ein Verein, gegründet 2014 von enttäuschten HSV-Fans, probt den Marsch durch die Fußballinstitutionen. Nach drei Jahren hat Falke die Bezirksliga erreicht, der angepeilte Sprung in die zwei Klassen höhere Oberliga, die fünfthöchste Spielklasse, erscheint deutlich realistischer als ein Comeback des HSV im internationalen Geschäft.
Ausgliederung der Profiabteilung
Wer die Geschichte des HFC Falke mit dem Slogan „Höher, immer höher“ verstehen will, muss zurückblenden auf den 25. Mai 2014. An diesem Tag stimmten 86,9 Prozent der HSV-Mitglieder im Volksparkstadion für die Ausgliederung der Profiabteilung. Fans wie Tamara Dwenger und Philipp Markhardt, seit Jahren bei fast jedem Heim- und Auswärtsspiel des HSV dabei, ertränken an diesem Abend ihren Frust in einem griechischen Restaurant – vergebens hatten sie über Monate gegen den Plan gekämpft. Für sie hat der Verein seine Seele verkauft.
Dass sie mit ihrer großen Liebe Schluss machen werden, steht fest. Doch mit jedem Ouzo gewinnt in dieser Nacht eine Vision Gestalt. Wir gründen selbst einen Verein. Machen alles anders. Mit Idealismus statt Kommerz, Basisdemokratie statt Investorendiktat. Nur der Name soll an den HSV erinnern. Falke, wie einst FC Falke aus Eppendorf – einer der drei Gründungsvereine des HSV.
Dreieinhalb Jahre später haben die Gedanken der Falke-Macher mehr denn je Konjunktur. In einer aktuellen Studie sagen 51 Prozent der befragten 20.000 Fans: „Wenn sich die Kommerzialisierung weiter so entwickelt, wende ich mich früher oder später vom Profifußball ab.“ Man muss kein unverbesserlicher Fußball-Romantiker sein, um Entwicklungen im Profigeschäft verstörend zu finden. Cristiano Ronaldo verdient bei Real Madrid inklusive Werbeeinnahmen mehr als 80 Millionen Euro im Jahr. Katarische Scheichs kaufen sich bei Paris Saint-Germain ein Weltstar-Ensemble zusammen, allein Brasiliens Neymar kostete 222 Millionen Euro. Dortmunds Ousmane Dembélé erschien in Dortmund nicht mehr zum Training, um seinen Wechsel für 105 Millionen Euro zum FC Barcelona zu erzwingen. Zur Freude seiner Berater. Insgesamt überwiesen die 18 Bundesligaclubs in der vergangenen Saison mehr als 146 Millionen Euro an Spielervermittler.
Es geht auch um Macht
Wo so viel Geld auf dem Spiel steht, geht es immer auch um Macht. Zu besichtigen einmal mehr beim HSV, wo Milliardär Klaus-Michael Kühne erneut gedroht hat, seine Zahlungen einzustellen, sollte der Aufsichtsrat nicht nach seinen Vorstellungen besetzt werden. „Der Gott des Geldes verschlingt alles“, klagt Freiburgs Trainer Christian Streich. DFB-Teammanager Oliver Bierhoff kritisiert, dass „immer mehr Leute ausschließlich an die Profitmaximierung denken“. Er sagt: „Darin besteht ein Risiko, irgendwann knallt es einmal.“
Es ist sicher kein Zufall, dass der DFB genau in diesen Zeiten sein Herz für die Basis entdeckt, etwa mit der millionenteuren Kampagne „Unsere Amateure, echte Profis“. Nur: Wie sieht es an der Basis eigentlich aus? Ist dort überhaupt alles besser? Oder sind die Probleme nur anders? Tamara Dwenger hat gar keine Zeit für tiefschürfende Gedanken um die Zukunft des Fußballs. „Im Prinzip ist das hier ein Vollzeitjob“, sagt die Falke-Präsidentin. Jeder Abend, jedes Wochenende gehörten dem Verein.
Anti-Kommerz-Strategie
Trainingsplätze finden, Spieler verpflichten, Karten verkaufen, Trikots besorgen, Etat verwalten, das verlangt von jedem Amateurvorstand viel Engagement. Basisdemokratie und Anti-Kommerz-Strategie potenzieren den Aufwand. Wenn die Falke-Führung wie jetzt nach dem Aufstieg in die Bezirksliga erstmals den Spielern etwas Geld zahlen will – fünf Euro für jede Trainingsteilnahme, damit es zumindest für die Fahrtkosten reicht –, bezieht sie die Basis mit ein. Bei gleich drei Informationsveranstaltungen diskutierten die Mitglieder über den Vorstoß. Auch bei der Auswahl der Sponsoren hat die Basis ein Mitspracherecht. „Die Erfahrungen beim HSV mit Herrn Kühne haben uns traumatisiert“, sagt Dwenger. Eine Strophe im Vereinslied heißt: „Keine Investoren und kein Sky-TV, denn wir haben einen Traum, Oberliga zu schauen.“
Idealismus und Professionalität
Bislang geht der Plan auf. Spieler, die zuvor in der Oberliga gutes Geld verdient haben, kicken bei Falke für eine Gage von fünf Euro für jedes Training und zahlen brav ihren monatlichen Mitgliedsbeitrag von 15 Euro, weil sie die Mischung aus Idealismus und Professionalität – Falke gönnt sich sogar zwei Physiotherapeuten – einzigartig finden. Manche drohen, sofort aufzuhören, sollte der Verein diesen Kurs ändern. Falke zieht in der Bezirksliga mehr Zuschauer an als mancher Regionaliga-Verein, beim entscheidenden Spiel um den Aufstieg im Mai in Altona kamen 1113 Fans. „Die Gemeinschaft in dieser Mannschaft ist überragend“, sagt Björn Naruhn, Schütze des allerersten Tores in der jungen Falke-Historie.
Nur: Wie hoch kann der Idealismus die Falken tragen? Dwenger weiß, dass in der Oberliga fünf Euro pro Training sowie 15 Euro für die Mannschaftskasse für ein Spiel ohne Gegentor nicht mehr reichen werden. Man müsse „pragmatische Lösungen“ finden, sagt sie. Aber Falkes Ideale werde sie nie verraten.
Der Mäzen
Dirk Barthel zupft noch einmal an seinem Jackett, ehe er auf der Tribüne für das Abendblatt-Foto posiert. Die grünen Schalensitze wirken höchst modern im Vergleich zu den Traversen der Gegengraden, wo Buschwerk schiefe Stufen überwuchert. Dabei verdient auch der Sitz, auf dem der Präsident des Altonaer Fußball-Clubs von 1893 gerade seine Beine ausstreckt, in Wahrheit das Prädikat museal. Auf den grünen Schalen saßen schon die Zuschauer der EM-Spiele 1988 in Hamburg, 1400 Stück übernahm Altona 93 nach dem Umbau des Volksparksstadions 2001.
Willkommen in der Adolf-Jäger-Kampfbahn, willkommen im Reich von Dirk Barthel. Wer noch große Hamburger Fußballgeschichte atmen will, muss nach Ottensen an die Griegstraße kommen. Andere altehrwürdige Stadien, einst Heimat für Tausende Fans, sind längst Geschichte. Dahingerafft in einer Todesspirale aus Zuschauerrückgang und wirtschaftlicher Not, schließlich geopfert für den Wohnungsbau der wachsenden Stadt.
Wenig Dankbarkeit
Eigentlich gehört auch die Adolf-Jäger-Kampfbahn, in den 1950er-Jahren Magnet für bis zu 27.000 Fans, längst nicht mehr hierher. Der Club hat das vereinseigene Gelände schon 2007 verkauft – allerdings unter der Bedingung, dass der Verein eine geeignete Fläche für ein neues Stadion erwerben kann. Seit zehn Jahren werden Pläne geschmiedet und wieder verworfen, Fans kritisieren, dass der Vorstand das Tafelsilber zu günstig verkauft habe. Mittendrin: Dirk Barthel. Präsident, Mäzen, Macher.
Die Diskussionen zeigen, dass Dankbarkeit nicht zu den gängigen Währungen im Fußball gehört. Denn: Ohne Dirk Barthel, Inhaber eines mittelständischen Unternehmens für Schiffsarmaturen, gäbe es Altona 93 womöglich gar nicht mehr. Vor knapp 20 Jahren klemmte es beim Club wieder mal in der Kasse, der Hauptsponsor hatte nicht gezahlt. Barthel sprang als Werbepartner ein, schließlich hatte er als Kind die großen Zeiten in den 1950er-Jahren erlebt. 1999 übernahm er das Präsidentenamt gleich selbst.
Wie viel Geld er seitdem in den Traditionsclub gesteckt hat, mag er nicht verraten. „Wenn Sie jeden dritten Tag in ein anständiges Restaurant gehen würden, kostet das ja auch einiges“, sagt er. Während die Sponsoren im Profifußball regelmäßig mit Studien und Umfragen analysieren, ob sich das Engagement wirtschaftlich lohnt, sammelt Barthels Gattin alle Zeitungsausschnitte über Altona 93 und macht daraus ein Fotobuch. „Da kommen viele Artikel zusammen“, sagt der Vereinschef. Zudem hat er wirtschaftlich potente Mitstreiter gefunden: „Das passt auch menschlich.“
„Ehrlicher Fußball aus Altona“
Sportlich läuft es gerade nicht so doll, nach dem gefeierten Aufstieg kämpft die Mannschaft um den Klassenerhalt. Dennoch gehört Altona zu den drei Clubs der Regionalliga Nord mit einem Zuschauerschnitt bei Heimspielen von über 1000. Der Slogan „Ehrlicher Fußball aus Altona“ zieht viele Fans aus dem Dunstkreis des FC St. Pauli an, denen der Kiezclub zu kommerziell geworden ist. Vor und nach Spielen dröhnt Punkmusik aus den Boxen des Vereinsheims. Kann der Verein diesen Geist in einen Neubau retten? Ist der emotionale Preis der wirtschaftlichen Vernunft – die marode Kampfbahn gleicht einem Millionengrab – am Ende zu hoch?
Bis es so weit ist, steckt Barthel in der typischen Klemme des Besitzers eines durchgerosteten Autos, bei dem jede Reparatur eigentlich nicht mehr lohnt. 40.000 Euro hat der Vorstand im Sommer in neue Zäune gesteckt, um die Sicherheitsvorschriften des Verbands zu erfüllen. Das Angebot eines LED-Unternehmens, zum Freundschaftspreis eine neue Flutlichtanlage zu installieren, schlug Barthel dagegen aus. Zu teuer. Die in der Haupttribüne installierten Hightech-Kameras, die vollautomatisiert die Spiele über eine Internetplattform ausstrahlen, gab es immerhin umsonst.
Verlierer der Neuzeit
Dennoch zählt Altona 93 wie alle Regionalligaclubs zu den Verlierern der Neuzeit des Fußballs. Inzwischen werden an Sonntagen, einst reserviert für den Amateurfußball, bis zu drei Erstliga-Spiele angepfiffen, das erste um 13.30 Uhr – nur dank dieser Zersplitterung des Spieltags kassieren die Proficlubs über eine Milliarde Euro pro Saison von den Sendern. „Uns kostet das massiv Zuschauer“, schimpft Barthel. Gerade bei schlechtem Wetter guckten viele lieber daheim Bundesliga, statt sich zur Kampfbahn aufzumachen.
So muss Barthel weiter jeden Cent umdrehen, zu Spielen in der Nähe fährt die Mannschaft mit Privatwagen, um die Kosten für den Bus zu sparen. Dabei liebt Barthel diese Fahrten. „Das sind alles nette Jungs“, sagt er. Jedem neuen Kicker bietet er sofort das Du an: „Ich bin der Dirk.“ Nur manchmal vergäßen es die Spieler. Leider.
Die Schiedsrichterin
Jacqueline Herrmann bittet um Verständnis, sie habe wirklich keine Zeit. Ob man die Fragen vielleicht mailen könne. Lehrgänge, Training, Spiele – der Aufwand für ihre Karriere als Schiedsrichterin sei neben ihrer Arbeit bei der Haspa kaum noch zu stemmen. Am Ende findet sie in ihrem Terminkalender an einem späten Mittwochabend eine Lücke von 30 Minuten für ein Gespräch.
Wer wie Jacqueline Herrmann nach oben kommen will, muss seine Zeit genau einteilen. Schneller als die Konkurrenz war sie schon immer, bereits mit 15 Jahren stand sie in der Herren-Kreisliga an der Linie. Als der Sportlehrer später jedem Schüler, der einen Marathon schafft, zwei Punkte mehr in der Abi-Note versprach, quälte sie sich in Hamburg über die 42,195 Kilometer: „Noch zwei Wochen danach kam ich keine Treppe mehr hoch.“ Mit 26 Jahren pfeift sie nun Landesliga-Spiele der Herren, in der Frauen-Bundesliga gehört sie zu den Assistentinnen.
Personalmisere an der Pfeife
Die Schiedsrichterbranche, die seit Jahren darbt, giert nach solchen Erfolgsgeschichten. 400 Unparteiische bildet der Hamburger Fußballverband Jahr für Jahr aus. Es reicht dennoch nicht, da jeder zweite im ersten Jahr die Pfeife wieder abgibt. Der gängige Spruch unter Sportreportern, der beste Schiedsrichter sei der, den man auf dem Platz nicht wahrnimmt, könnte schon sehr bald bittere Realität werden.
Wer eine Studie aus dem Jahr 2015 liest, für die 915 Unparteiische aus allen Klassen unterhalb der Regionalliga befragt wurden, kann sich über die Personalmisere an der Pfeife kaum wundern. 62,5 Prozent gaben an, dass ihnen mindestens einmal Gewalt angedroht wurde. Mit Sprüchen wie „Wir warten auf dich beim Parkplatz“. Tatsächliche Gewalt am eigenen Leib hat mehr als ein Viertel (27,5 Prozent) erlebt. Von betrunkenen Fans, die nach dem Abpfiff die Kabine stürmen. Oder von Trainer und Spielern, die ihnen ins Gesicht spucken. Und das alles für eine Gage weit unter dem Mindestlohn, 68 Euro gibt es für das gesamte Gespann inklusive Fahrtkosten in der Landesliga. „Das ist ein Ehrenamt“, sagt Jacqueline Herrmann.
Brandbrief der Hamburger Schiedsrichter
Auch sie hat vor zwei Jahren den Brandbrief der Hamburger Schiedsrichter unterschrieben. „Als ‚Dank‘ für all das Engagement werden die Schiedsrichter auf den Sportanlagen beschimpft, beleidigt, bedroht oder gar körperlich attackiert“, protestierten die Unparteiischen und forderten mehr Respekt. Mehrere Angriffe auf Schiedsrichter waren der Auslöser. Mike Franke vom TuS Berne wurde von einem durchgedrehten Fan gar krankenhausreif geschlagen. Wochenlang bangte er um sein rechtes Auge, eine Netzhautablösung drohte. Franke wurde schweigsam, litt an Schlafstörungen, nahm zehn Kilo ab: „Ich hatte sogar Angst, im Dunkeln rauszugehen.“
Jacqueline Herrmann ist heilfroh, dass Mike Franke wieder pfeift. „Mike ist ein guter Freund. Ich habe mit ihm gelitten.“ Auch sie beobachtet, dass die Reizschwelle weiter sinkt: „Selbst bei einem falschen Einwurf im Mittelfeld gibt es laute Proteste.“ Ein stabiles persönliches Umfeld sei wichtig, um den Druck auszuhalten, sagt sie. Ihr Vater ist Schiedsrichter-Obmann, der Bruder pfeift auch. Und ihr Verlobter trainiert eine Amateur-Elf. „Der hat Verständnis dafür, dass ich so viel unterwegs bin.“ Die Fahrten könnten bald noch länger werden. Jacqueline Herrmann, gewählt zur „Hamburger Schiedsrichterin des Jahres 2015“, hofft auf den Aufstieg in die nächste Spielklasse: „Mir macht dieses Amt unglaublich viel Spaß.“
Die Werber
Auf dem Weg zum gläsernen Konferenzraum steht, na klar, ein Kicker, der Name Jung von Matt Sports verpflichtet. Geschäftsführer Christoph Metzelder eilt in sein Büro, er ist spät dran, der Zug aus seiner westfälischen Heimat hatte 90 Minuten Verspätung. Aus dem Karoviertel an der Glashüttenstraße steuert die Werbeagentur Kampagnen für Verbände und Vereine.
Metzelder betreut für die Agentur einen der prominentesten Kunden im globalen Sportgeschäft, den DFB, mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern der größte Einzelsportverband der Welt. Wer Länderspiele im TV guckt, kann der Kampagne „Unsere Amateure, echte Profis“ kaum entgehen. Platzwarte tuckern dort mit ihren Mähern über Sportplätze, Zeugwarte waschen Unmengen verdreckter Trikots. Nur Metzelder taucht nirgendwo auf, erstaunlich, schließlich zählte der Vize-Weltmeister in Diensten von Borussia Dortmund, Real Madrid und FC Schalke 04 zur ersten Garde des deutschen Fußballs.
Lust auf ein paar Minuten Ruhm
„Wir wollten sehr bewusst keine Kampagne machen, in der ein Nationalspieler den Platz kreidet“, sagt Raphael Brinkert, Geschäftsführer-Kollege und enger Freund von Metzelder – die beiden haben in der Jugend gemeinsam für den TuS Haltern in Westfalen gekickt. Ein Promi, besagt die Jung-von-Matt-Philosophie, hätte alles überstrahlt. „Für uns sind die Amateure die Helden des Alltags, denen möchten wir die Bühne bereiten, die sie längst verdient haben“, sagt Brinkert.
An Lust auf ein paar Minuten Ruhm mangelte es jedenfalls nicht, Tausende bewarben sich als Darsteller für die Spots. Der DFB ist mit der Kampagne so zufrieden, dass er den Vertrag mit den Hamburger Werbern um drei Jahre verlängerte. Dennoch grummeln manche Amateurfußballvertreter. Die Werbung sei zu teuer. Brinkert sieht das anders, auch wenn er die genauen Kosten nicht nennen mag: „Angenommen, wir würden über Gesamtkosten von 500.000 Euro im Jahr reden, dann würden auf jeden der 25.000 im DFB organisierten Vereine rund 1,50 Euro im Monat kommen. Ich glaube nicht, dass diese Summe einem Verein wirklich helfen würde.“
Den zweiten Einwand nehmen die Werbestrategen ernster. Die Kampagne übertünche die Probleme im Amateurfußball, der in Wahrheit um seine Existenz kämpfe. Metzelder entgegnet, dass man bewusst auf die Chancen gesetzt habe. Lamentieren über die eigenen Probleme führe zu nichts: „Wir werden an den Anstoßzeiten der Profi-Ligen an Sonntagen ohnehin nichts mehr ändern können. Der Amateurfußball muss sich seine Nische suchen.“ Und die, sagt sein Kollege Brinkert, könne gerade in der „Turbokapitalisierung des Profifußballs“ liegen. Viele Fans könnten den Kommerz nicht mehr ertragen: „Die suchen den Gegenpol.“
Eisiger Wind
Welch eisiger Wind an diesem Pol weht, weiß Metzelder genau. Im Juli 2014 übernahm er das Präsidentenamt beim TuS Haltern. Sein Heimatverein hatte seinen prominentesten Ex-Spieler um eine Finanzspritze gebeten, eine Forderung des Fiskus drückte. Metzelder zahlte – und übernahm die Verantwortung: „Ich habe den ganzen Verein auf links gedreht.“ Er sorgte für einen privatfinanzierten Kunstrasenplatz, beschaffte Trikots von nur noch einem Ausstatter für alle Mannschaften und legte digitale Kanäle zu Sponsoren und Fans.
Interessiert beobachtet die Branche, wie sich der Club des Ex-Nationalspielers und Werbers entwickelt. Bei den Kindern und Jugendlichen stößt Haltern inzwischen an seine Grenzen: „Mehr als drei Mannschaften pro Jahrgang können wir logistisch nicht stemmen“, sagt Metzelder. Die erste Mannschaft kickt in der Spitzengruppe mit. Für den Betrieb in den sozialen Netzwerken sorgt der Chef selbst. Metzelder schreibt sogar die Liveticker von den Spielen der ersten Mannschaft. Digitale Reichweite sei wichtig für die Sponsoren.
Profifußball macht vieles kaputt
Dennoch klemmt es auch in Haltern finanziell. „Wir leben wie fast alle Amateurclubs über unsere Verhältnisse“, sagt Metzelder. Der Profifußball mache vieles kaputt. „Die gehen immer früher an Kinder ran, versprechen ihnen, du wirst der nächste Manuel Neuer.“ Inzwischen könnten selbst 14-Jährige schon ordentlich verdienen: „Damit werden die Preise im Amateurfußball versaut. Denn wenn die Jugendlichen mit 18 Jahren in den Amateurbereich zurückkommen, weil sie den Sprung nicht geschafft haben, haben sie entsprechende finanzielle Erwartungen.“
Metzelder kritisiert das Wettbieten mancher Vereine: „Es gibt Oberliga-Clubs, die Spielern über 1000 Euro im Monat zahlen.“ Bei Haltern verdient ein Top-Spieler maximal 550 Euro, der Etat für die erste Mannschaft liegt mit 150.000 Euro im unteren Drittel der Oberliga. Metzelder plädiert für Verdienstobergrenzen, festgelegt für jede Liga. Ein Vorschlag, der allerdings wenig Erfolgsaussichten hat, zumal manche Vereine tricksen, etwa mit fingierten Jobs bei Sponsoren. Also wird Metzelder das Defizit weiter ausgleichen. Als Vorstand, als Mäzen, als Fan. „Der TuS Haltern ist der einzige Luxus, den sich Christoph leistet“, sagt Brinkert.
Der Torwart
Mit geschulterter Sporttasche stapft Michael Glamann (28) in die Kabine, an diesem Dienstagabend trainiert seine Mannschaft, die Zweite des SC Egenbüttel. Kreisliga, klassischer Feierabendfußball. Er ist spät dran, zehn Stunden hat er Fleisch, Fische, Gemüse, Pommes frites zu Restaurants gekarrt. Glamann gehört zu den rund 20.000 Amateurkickern, die jedes Wochenende irgendwo in Hamburg um Tore und Punkte kämpfen, von der Kreisklasse B rauf zur Regionalliga. Wobei jeder verstehen würde, wenn Glamann einen großen Bogen um jedes Tor machen würde.
Es ist ein Tag im April 2015, der seine Karriere verändert. Der Vorstand des SV Lurup bittet zur Krisensitzung, nach dem Ausstieg des Hauptsponsors hat sich die Oberliga-Mannschaft aufgelöst. „Wollt ihr in die Bresche springen?“, fragt die Vereinsführung Jugendspieler und Kicker der zweiten Mannschaft, unter ihnen Michael Glamann.
„Wir wussten alle, dass wir chancenlos sind“, sagt der Torwart heute. Glamann saß zunächst auf der Bank, erst am vierten Spieltag wurde er eingewechselt, als der Stammtorwart beim Stand von 0:1 die Rote Karte sah. Glamann parierte einen Strafstoß, kassierte nur noch ein Tor zur 0:2-Niederlage. Er konnte nicht wissen, dass es seine Bestmarke für die kommenden 30 Spiele bleiben würde.
232 Gegentreffer werden es am Ende sein, 7,5 im Schnitt pro Spiel, mehr als jedes andere Team in der Geschichte der Hamburger Oberliga. Wenn Glamanns WG-Partner nach Spielen wie dem 0:18 gegen den FC Süderelbe das Ergebnis wissen will, antwortet der Torwart nur: „Guck doch im Internet nach.“
Glamann hat dennoch gute Erinnerungen an sein Jahr in der Luruper Schießbude. Allein das Spiel in der Adolf-Jäger-Kampfbahn bei Altona 93. „1000 Zuschauer, das war einfach geil“, sagt Glamann. Die zweite Halbzeit blieb er ganz ohne Gegentreffer, zur Pause hatte Altona allerdings schon mit 6:0 geführt. Stolz ist er vor allem auf den Zusammenhalt der Truppe: „Wir haben uns nicht hängen lassen.“
Nie ein echtes Dankeschön
Wirklich enttäuscht ist er im Rückblick nur vom Luruper Vorstand. Nie habe es ein echtes Dankeschön gegeben, von einer finanziellen Entschädigung ganz zu schweigen. Oberliga-Spieler verdienen in aller Regel mindestens 250 Euro im Monat. In Lurup zahlten die Spieler sogar ihre Fahrtkosten selbst. Nach den ersten Spielen gab es noch ein Mannschaftsessen. Als die Fußballer jedoch merkten, dass die Trainer die Restaurant-Besuche aus eigener Tasche übernahmen, fuhren sie lieber direkt nach dem Duschen heim. Am Ende, sagt Glamann, habe es vom Club noch einen Gutschein für ein Sportgeschäft gegeben, über zehn oder 15 Euro, so genau weiß er das nicht mehr.
Kurioserweise hätte ihm die Pleiten- Saison einen neuen Arbeitgeber bescheren können. Mehrere gegnerische Trainer waren beeindruckt, wie Glamann weitaus höhere Niederlagen verhinderte – in aller Regel flogen die Bälle im Minutentakt auf sein Tor. „Ein besseres Torwarttraining hatte ich nie“, sagt Glamann lachend. Doch zu mehr als losen Gesprächen kam es nicht. Glamann hat damit kein Problem, Egenbüttels Zweite trainiert zweimal die Woche, das passt, der Job als Fahrer ist schließlich anstrengend genug. Und dank mehrerer Routiniers feiert Glamanns neues Team Siege, vergangene Saison dominierte Egenbüttel die Kreisklasse nach Belieben. Und Glamann, ausgerechnet er, hatte auf einmal kaum noch etwas zu tun.
Der Ehrenamtler
Es war das Jahr 2000, als Diddo Ramm sich selbst ein Versprechen gab. Gerade hatte er einen schweren Herzinfarkt knapp überlebt: „Ich werde mir ein Ehrenamt suchen. Aus Dankbarkeit, weil ich über viele Wochen medizinisch so gut versorgt wurde.“ 17 Jahre später sitzt Ramm an einem Herbsttag als Präsident des FC Teutonia 05 im Vereinsheim in Ottensen, das NDR-Mikro in der linken Hand. Neben ihm starrt Bert Ehm, der sportliche Leiter, auf den Tisch, als stehe auf der weißen Platte die Lösung aller Probleme.
Ramm verkündet gerade bei einer Pressekonferenz Ehms Beurlaubung, der Grund könnte für den altgedienten Trainer und Funktionär peinlicher nicht sein. Bei der Pressekonferenz nach einem Auswärtsspiel hatte sich Ehm mit „Sieg Heil“ verabschiedet. „Ist mir rausgerutscht, ich kann mich nur entschuldigen, nationalsozialistisches Gedankengut liegt mir fern“, stammelt Ehm.
„Nazi-Skandal bei Teutonia“
Als die Reporter ihre Kameras abbauen, wirkt Ramm mehr geschafft als nach einem Spiel für die Ü-50-Mannschaft, für die er ab und an noch spielt. „Für solche Situationen sind wir als Ehrenamtler doch gar nicht ausgebildet“, sagt er. Dabei gilt Ramm als sturmerprobt. Sieben Jahre kämpfte er beim Bezirk Altona für einen Kunstrasenplatz. Als der grüne Teppich endlich lag, beschwerte sich eine Anwohnerin. Es sei zu laut, Teutonia durfte den neuen Platz nur noch eingeschränkt nutzen. Wieder mobilisierte Ramm die Öffentlichkeit, die Proteste sorgten bundesweit für Aufsehen, trugen zu einer bundesweiten Gesetzesänderung zugunsten von Sportvereinen bei.
Und nun diese Schlagzeilen, bundesweit. „Nazi-Skandal bei Teutonia“, schreibt „Spiegel Online“. „Das hältst du kaum noch aus“, sagt Ramm. Wie er engagieren sich Tausende in den 443 Hamburger Fußballvereinen. Schatzmeister, Jugendleiter, Präsident, Platzwart – das Ehrenamt kennt alle Facetten. Mit Sorge beobachtet der DFB, dass die Bereitschaft, sich im Club zu engagieren, sinkt. Der Verband steuert mit Kampagnen gegen, lädt verdiente Funktionäre zu Länderspielen ein.
Die Not, noch Mitstreiter zu finden, spürt Ramm jeden Tag: „Es sind immer weniger bereit, Verantwortung zu übernehmen.“ Ramm versteht das, schließlich beobachtet er an sich selbst, wie viel Zeit und Energie das Ehrenamt frisst. Teutonia stemmt für die Oberliga-Mannschaft einen Etat in sechsstelliger Höhe, das geht nur mit intensiver Sponsoren-Akquise. Ramm ist dieser Leistungsgedanke wichtig, die Talente der eigenen Jugend bräuchten eine Perspektive. Und Vorbilder.
„Ich bin unternehmerisch tätig im sozialen Bereich“, sagt Ramm über seinen täglichen Spagat. Hier der Kampf mit dem Finanzamt um die Abgaben für die Vertragsspieler der fünfthöchsten deutschen Spielklasse, dort die Stadtteilarbeit, wo es auch darum geht, dem Kind einer Alleinerziehenden Fußballschuhe zu spendieren. Wenig Ehre. Viel Amt.
Großer Traum vom Falke-Stadion
Und dennoch, sagt Ramm, habe er sein Versprechen vor 17 Jahren nie wirklich bereut. 35 Mannschaften kicken inzwischen auf dem Platz an der Kreuzkirche; die Zeiten, als Ramm noch Kindergärten abklapperte, um die ganz Kleinen für die Pampers-Liga zu begeistern, sind längst vorbei. An manchen Tagen müssen sich vier Mannschaften den Kunstrasen-Teppich teilen. „Wir brauchen dringend in der Nähe einen neuen Platz“, sagt Ramm. Wieder ein Projekt, um das sich der Präsident kümmern muss. Ehrenamtlich, versteht sich.
Idealismus bleibt die einzig wirklich harte Währung im kleinen Fußball. Torwart Michael Glamann trainiert nebenbei die Talente aus Egenbüttels Jugend, Schiedsrichterin Jacqueline Herrmann begleitet junge Schiedsrichter bei ihren ersten Einsätzen. Werber Christoph Metzelder wird auch an diesem Sonntag die Frühmaschine aus München von seinem Einsatz als Experte bei Sky nehmen, um die U 21 des TuS Haltern zu betreuen. Altonas Präsident Dirk Barthel steht am liebsten hinter dem Gästetor; nichts sei schöner, sagt er, als mit seinen Jungs einen Treffer zu feiern. Und Falke-Präsidentin Tamara Dwenger wird wieder mit einem Vorstandskollegen Lotto spielen. Einmal nur sechs Richtige. Für den großen Traum vom Falke-Stadion.