Hamburg/Berlin. Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende lässt einer Parteifreundin aus Bayern den Vortritt – aus privaten Gründen.

Sie ist derzeit noch Hamburgs ranghöchste Politikerin in Berlin und galt als Hoffnungsträgerin der Sozialdemokraten: Aydan Özoğuz, Integrationsbeauftragte und Staatsministerin im Kanzleramt. Mit ihr stieg 2011 erstmals ein Kind von Migranten in die Spitze der SPD auf – Özoğuz wurde stellvertretende Bundesvorsitzende.

Für dieses Amt will die 50-Jährige allerdings nicht erneut kandidieren, wie sie am Montag bekannt gab. Stattdessen wird sie Platz machen für Natascha Kohnen. Kohnen ist SPD-Landeschefin in Bayern und soll dort die Genossen 2018 als Spitzenkandidatin in die Landtagswahl führen. „Vor Natascha Kohnen liegt eine Riesenaufgabe“, sagte Özoğuz. „Ich würde mich freuen, wenn sie die Chance bekäme, durch das Amt zusätzliche Unterstützung zu erhalten.“ Das werde die SPD im Süden stärken.

Die SPD will weiblicher werden

„Wir brauchen mehr Unterstützung für starke Frauen in unserer Partei“, sagte Özoğuz. Zuvor hatte bereits Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) im „Spiegel“ Parteichef Martin Schulz daran erinnert, dass die neue SPD weiblicher werden solle. Neben Schwesig soll künftig auch die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer SPD-Vize werden.

Als Eingeständnis, dass sie selbst keine solche starke Frau sei und das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden nicht gut genug ausgefüllt habe, will Özoğuz ihren Schritt aber keinesfalls verstanden wissen. „Es hätte wohl niemand gegen mich kandidiert, und ich konnte davon ausgehen, wiedergewählt zu werden“, sagte sie. Das sei etwa in Gesprächen mit SPD-Landesvorsitzenden deutlich geworden.

Auch habe ihr kein Parteifreund jemals nahegelegt, das Amt niederzulegen, sagte Özoğuz. Der Schritt sei auch keine Konsequenz aus ihrem Abschneiden bei der Bundestagswahl 2017 – Özoğuz gewann zwar ihren Wahlkreis Hamburg-Wandsbek erneut, erzielte mit 34,6 Prozent der Stimmen aber ein deutlich schlechteres Ergebnis als bei der Bundestagswahl 2013. Damals hatte sie 39,9 Prozent der Stimmen erhalten.

Özoguz beriet sich mit Olaf Scholz

Vielmehr nennt Özoğuz auch private Gründe für ihre Entscheidung. Die Politikerin ist seit über einem Jahr alleinerziehend, sie hat eine 14 Jahre alte Tochter. „Die ganze Woche über und an vielen Wochenenden nicht zu Hause in Hamburg zu sein, das kann ich nicht mehr so weiter vertreten“, sagte sie. „Ich möchte meine Verantwortung als Mutter wieder stärker wahrnehmen.“

Vor ihrer Entscheidung habe sie sich mit Olaf Scholz beraten, sagte Özoğuz. Hamburgs Bürgermeister gehört ebenfalls zu den fünf stellvertretenden SPD-Vorsitzenden, er holte Özoğuz einst in die Politik. Klar geworden sei, dass ein Verzicht auch Vorteile haben könnte. „In meiner neuen Rolle in der Opposition kann ich mich ganz auf die Themen Migration, Integration und Fluchtursachen konzentrieren – mit besonderer Unterstützung aus dem Willy-Brandt-Haus“, sagte Özoğuz. Ihr zufolge wollen Martin Schulz und An­drea Nahles eine Schnittstelle zwischen Fraktion und Partei schaffen. „Das ist eine Aufgabe, die ich gerne übernehme.“ Özoğuz will sich weiterhin auch in der SPD-Führung einbringen und deshalb für den Parteivorstand kandidieren.

Das Schweigen nach der Wahl

Die Entscheidung von Özoğuz kommt wenige Tage, bevor Parteichef Martin Schulz bekannt geben will, wen er sich als seine Stellvertreter wünscht. Diese Personalvorschläge soll die Parteispitze am kommenden Montag absegnen. Seit einigen Wochen schon war darüber spekuliert worden, ob Özoğuz dabei ihr Amt verlieren könnte. Von ihr seien in den vergangenen Jahren kaum Anstöße gekommen, die die Politik der SPD hätten prägen können, hieß es. Während nach dem Wahldebakel zuletzt einige aus der Parteispitze mit Papieren und Interviews um die Deutungshoheit konkurrierten, habe Aydan Özoğuz geschwiegen.

SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel zollte Özoğuz Respekt dafür, dass sie durch ihren Schritt mithelfe, die Präsenz der Partei „in Regionen, in denen die SPD noch starken Aufholbedarf hat“, zu stärken. Dressel, der auch SPD-Kreisvorsitzender in Özoğuz’ Heimat Wandsbek ist und mit der Staatsministerin viel im Wahlkampf unterwegs war, lobte die Art, wie die Hamburgerin ihre Rolle auf Bundesebene ausgefüllt habe: Sie habe vor allem in der Flüchtlingskrise „Akzente gesetzt“, etwa mit ihrer Unterstützung für ehrenamtliche Helfer und ihrem Plädoyer, Migration und Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen.

Daher freue es ihn, dass sie erneut für den Parteivorstand kandidiere und ihre Erfahrung weiterhin einbringe: „Das Thema Integration wird ja nicht unwichtiger, nur weil gerade weniger Flüchtlinge kommen“, sagte Dressel.