Hamburg. Vor dem Auftritt herrscht hinter der Bühne Hochbetrieb. Exklusiver Blick hinter die Kulissen des NDR Elbphilharmonie Orchesters.
Bananen zu mögen, kann bei einem Sinfoniekonzert von Vorteil sein. Jedenfalls wenn man ein Blasinstrument spielt. „Wir essen alle Bananen“, sagt Claudia Strenkert, Solohornistin des NDR Elbphilharmonie Orchesters, über die Horngruppe. „Eine vor dem Konzert und eine in der Pause. Sie belasten nicht, und der Zucker geht schnell ins Blut.“ Etwas Geeignetes zu essen zu finden, ist gar nicht so einfach für Bläser. Niemand möchte in sein Instrument krümeln, und die Mundhöhle soll beim Spielen weder zu trocken noch zu feucht sein.
Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielt an diesem Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie Werke von Beethoven und Schostakowitsch. Die Reporterin hat ausnahmsweise nicht die gebogene Rolltreppe zur Plaza genommen, um in den Zuschauerraum zu gelangen. Was geschieht rund um ein Sinfoniekonzert hinter den Kulissen? Was tun Musiker, wenn sie im Begriff sind, ein Konzert zu spielen?
Noch gut eine Stunde. Claudia Strenkert ist im 11. Obergeschoss der Elbphilharmonie angekommen: Daunenmantel, buntes Halstuch, Handtasche. Ihr Konzertkleid und ihr Horn hat sie im Stimmzimmer in ihrem Spind. Jede Gruppe hat so einen Raum, die ersten Geigen, die Celli und eben auch die Hörner. Dort zieht man sich um, spielt sich ein, bespricht, was immer es mit den Kollegen zu besprechen gibt.
Die Banane gehört zum Repertoire an Ritualen
Die Banane gehört zu Strenkerts Repertoire an professionellen Ritualen, um sich auf das Konzert einzustimmen, wie das Einspielen, dieses behutsame Erforschen des Instruments, immer wieder, die Konzentration auf die eigene Atmung. Im Violinkonzert von Beethoven kommen zwar keine spektakulären Hornsoli vor wie bei Strauss, aber Claudia Strenkert nimmt auch die leisen Einsätze ernst. „Vor dem Konzert bringe ich mich genau auf den Punkt“, erklärt sie. Für den grandiosen Blick auf den Hafen draußen vor den bodentiefen Fenstern hat sie trotzdem immer Augen: „Er entspannt und inspiriert mich.“ Die zierliche blonde Frau ist eine von denen, deren Berufsleben auf dem Präsentierteller stattfindet. Als Solohornistin führt sie nicht nur die Horngruppe an, sie hat eine Schlüsselfunktion im Orchester. „Ich mag diese Herausforderung“, sagt sie, „sonst würde ich das nicht seit 25 Jahren machen.“
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt Orchestermusiker, die eine so exponierte Stellung als Dauerstress erleben und sich über die Jahre zermürben lassen. Der Schlagzeuger Thomas Schwarz scheint nicht dazuzugehören. Schlagzeuger und Pauker sind das rhythmische Rückgrat des Orchesters, auch das eine enorme Verantwortung. „Da wächst man hinein“, sagt der 34-Jährige. „Wir müssen halt spüren, wann wir die Führung übernehmen und wann wir eher mitgehen. Da hilft es, dass wir einander so gut kennen. Ich weiß genau, wer wie spielt.“ Auch Claudia Strenkert betont das Miteinander: „Es ist ganz wichtig, dass wir einander vertrauen.“
Schwarz ist schon am Nachmittag gekommen, obwohl er erst in der zweiten Konzerthälfte dran ist. In Jeans und Ringelshirt steht er auf der Bühne des Großen Saals und verrichtet Routinehandgriffe: Sind alle Noten in der richtigen Reihenfolge, stehen die Schlaginstrumente korrekt, sind die Felle in Ordnung? Für die „Leningrader Sinfonie“ hat Schostakowitsch einen Pauker und sieben Schlagwerker vorgeschrieben, die Bühnenrückwand ist voller Gerätschaften: Pauken, Große Trommel, Becken, Triangel, Tamtam, Tambourin, zwei kleine Trommeln und Xylofon.
Hinter der Bühne geht es in der Pause prosaisch zu
Das Beethoven-Violinkonzert ist erheblich kleiner besetzt. Man hört einfach alles bei diesem Werk, und das ist an diesem Abend ein himmelhohes Glück. Den Solopart spielt Frank Peter Zimmermann, als Geiger eine Kategorie für sich. Es ist sein erstes Konzert als Residenzkünstler des Orchesters. Wieder einmal spielt er brillant, beseelt, und innig verbunden mit dem Orchester und dem Dirigenten Paavo Järvi. Über die Gesichter der Musiker huscht immer wieder ein Lächeln. Auch Claudia Strenkert bewegt sich ganz sachte mit, selbst wenn sie gerade Pause hat. Es ist ein großes, federndes Miteinander, ein Strom von Energie, der den ganzen Raum erfasst.
Hinter der Bühne geht es in der Pause prosaisch zu. Die Orchesterwarte schieben zwei Sackkarren mit Harfen Richtung Bühne. Musiker unterhalten sich oder spielen sich ein. Währenddessen macht sich Thomas Schwarz acht Stockwerke weiter unten, im Bauch des Konzerthauses, bereit für seinen Auftritt in der Schostakowitsch-Sinfonie. Dort liegt das Stimmzimmer der Pauker und Schlagzeuger. Auch wenn dort in diesem Fall gar nichts zu stimmen ist, denn die Pauken werden auf der Bühne gestimmt, und die anderen Schlaginstrumente liegen in der Tonhöhe fest.
Schwarz knöpft das Frackhemd zu und fischt die Fliege aus einer Schublade der aluminiumfarbenen Frackkiste. „Die ist immer da, wo ich auch bin“, erzählt er; das Orchester spielt ja regelmäßig auswärts. Beim Sprechen bindet er sich blind die Fliege. Es gibt keinen Spiegel in dem kleinen Raum. „Wir haben noch nie einen vermisst“, sagt Schwarz und lacht.
Um sich auf Betriebstemperatur zu bringen, braucht er nur zwei Schlegel und eine gut handtellergroße Gummimatte. Er klöppelt ein paar unhörbare Grundmuster. „Es geht darum, die Finger aufzuwärmen und die Muskeln zu lockern“, erklärt er. „Man braucht die richtige Mischung aus Kraft und Geschmeidigkeit. Die Instrumente klingen nicht gut, wenn man zu sehr drückt. Das Ziel ist es, genau zu spielen und einen guten Klang zu erreichen.“
Nur der Mann am Xylofon sitzt still und aufrecht da
Wie das klingt, wenn mehr als 100 Menschen zu einem Organismus verschmelzen, das führen Järvi und das Orchester bei der „Leningrader“ vor. Sie gehen auf eine Seelenreise durch Landschaften der Hoffnung und der Resignation, die Zeit scheint stehen zu bleiben. Dann wieder entfesselt Järvi ein Schlachtengetümmel. Im letzten Satz schichten die 21 Blechbläser mächtige Fanfaren über den düsteren Choral der Streicher, die Trommel feuert Maschinengewehrsalven ab.
Nur der Mann am Xylofon sitzt still und aufrecht da. Geschätzte zehn Minuten vor dem Ende hat er nichts mehr zu spielen. „Das heißt aber nicht, dass ich abschalten würde“, sagt er, als er nach dem Schlussapplaus wieder hinter die Bühne kommt. „Auch wenn ich 150 Takte Pause habe, bewahre ich die Spannung, um die Musik mit allen anderen gleichzeitig zu fühlen. Jeder muss auf dieser Spur innerlich mitlaufen. Sonst macht’s ja auch keinen Spaß!“
Spricht’s und geht sich umziehen. Ein paar Minuten später sitzen er und Claudia Strenkert schon mit den Kollegen in der Kantine. Sie spielen das Programm ja noch dreimal. Aber für heute ist Feierabend.