Hamburg. Airbus-Ingenieur Lars Bensch unterstützte das Segelflugzeug „Perlan II“ beim Flug auf 15.900 Meter. Bald an den Rand des Weltalls?
An den 3. September dieses Jahres wird sich Lars Bensch wohl sein Leben lang erinnern. In der argentinischen Kleinstadt El Calafate sah zunächst alles nach einem „Routinetag“ für den 46-Jährigen aus. Doch Stunden später war der Hamburger Teil eines Projekts, das den Eintrag in die Geschichtsbücher schaffte. Das Segelflugzeug „Perlan II“ stieg auf 52.172 Fuß (15.902 Meter) und flog damit so hoch wie nie zuvor ein Gleiter.
Bensch kam über einen Freund vor drei Jahren zu dem von Freiwilligen getragenen und von Airbus unterstützten Projekt „Perlan“. Normalerweise arbeitet er als Flugtestingenieur im Werk auf Finkenwerder und prüft neue Kurz- und Mittelstreckenjets der A320-Familie sowie den Langstreckenjet A330 auf Herz und Nieren. Für einen Monat stellte ihn der Flugzeugbauer für den Rekordversuch frei.
Der Gleiter steigt höher als ein Ziviljet
Mitte August reiste er nach Südamerika, um dem Projekt vor Ort zu helfen. Er schrieb Programme, mit denen die Daten verarbeitet werden, die das Flugzeug zum Boden sendet, und wertete sie aus. Gefragt war seine Meinung auch bei den Flugversuchen. Der Ottenser sollte verhindern, dass das Flugzeug zu stark in Schwingungen gerät. „Das Flattern kann zur Zerstörung der ganzen Struktur führen“, sagt Bensch.
Einen Tag vor dem Rekordflug setzte er einen Bodentest für die Piloten an, brachte die Flügel mit Manneskraft unterschiedlich in Schwingungen. So sollten Pilot Jim Payne und Kopilot Morgan Sandercock spüren, was sie in der Luft erwartet. Man müsse die Maschine sehr feinfühlig und präzise fliegen können, um die Schwingungen abzudämpfen, sagte Bensch.
Wie ein Fahrstuhl für den Gleiter
Die Region im Süden Argentiniens gilt als ideal für den Rekordversuch. Denn damit das 573 Kilogramm schwere Segelflugzeug neue Höhen erklimmen kann, müssen mehrere Voraussetzungen gegeben sein. Es wird ein hohes Gebirge wie die Anden mit ihren Gipfeln von fast 7000 Metern benötigt. Die Winde müssen bei bestimmten Wetterlagen mit mindestens 27 Kilometern pro Stunde senkrecht auf das Gebirge treffen. Dann entstehen auf der Rückseite wellenförmige Strömungen – und die nach oben gerichteten nutzen Segelflieger und steigen auf. Durch das ausgeprägte Höhentief über der Antarktis im Winter der Südhalbkugel im Zusammenspiel mit dem polaren Jetstream können Geschwindigkeiten von mehr als 480 Kilometern pro Stunde entstehen, sagte „Perlan“-Chefmeteorologin Elizabeth Austin: „Sie wirken wie ein Fahrstuhl für den Gleiter.“
Am 3. September stand Bensch um 5.30 Uhr im Camp auf, fuhr in die rund 50 Kilometer entfernte Hafenstadt Puerta Bandera und ließ einen Wetterballon aufsteigen. Als er zurück ins Camp kam, rechnete er mit Routinearbeiten für die 15-köpfige Crew: Checklisten abarbeiten, den Gleiter instandhalten, Kameras ausprobieren. Doch es kam anders. „Das Team entschied: ,Wir gehen fliegen‘ – dabei hatten wir am Boden den Wind aus der falschen Richtung.“ Der Wetterballon meldete hingegen gute Bedingungen in der Höhe.
Schritt für Schritt nach oben
Um 9 Uhr wurde der Gleiter in die Luft gezogen. Die Meteorologen sagten den Piloten, wo sie hinsteuern sollten, weil sie dort gute Bedingungen erwarteten. Und das Modell der Meteorologen und die Realität in der Luft stimmten überein, sagt Bensch. „Das Flugzeug stieg Schritt für Schritt nach oben – ähnlich wie ein Surfer in einer stehenden Welle.“ Kurz nach 14 Uhr war der Rekord des Vorgängerflugzeugs „Perlan I“ geknackt. Mit 15.902 Metern ging es rund 450 Meter höher als es der mittlerweile verstorbene Abenteurer Steve Fossett und „Perlan“-Gründer Einar Enevoldson im Jahr 2006 schafften. „Da war der Jubel bei uns im Camp riesig“, sagte Bensch. Zum Vergleich: Passagierflugzeuge fliegen normalerweise auf maximal 13.000 Metern Höhe. „Wir hätten auch noch höher gehen können, aber wir hatten unsere Sicherheitspuffer erreicht“, sagte Bensch.
Die Piloten sitzen in einer Druckkabine und werden mit reinem Sauerstoff aus einem Kreislauftauchgerät versorgt, das vergleichbar ist mit einem von Astronauten im Weltall eingesetzten System. Sauerstoff, Druckluft und Batteriezustand an Bord sanken allerdings so langsam in den roten Bereich. Und den Piloten sei trotz ihrer Schutzanzüge bei Temperaturen von minus 20 Grad Celsius in der Kabine langsam kalt geworden. Um 15.30 Uhr landete „Perlan II“ sicher – trotz eines platten Vorderreifens. Auf der Start- und Landebahn knallten die Sektkorken.
Das nächste Ziel ist eine Höhe von mehr als 27 Kilometern
Kurz darauf gratulierte auch Airbus-Vorstandschef Tom Enders, der im vorigen Jahr selbst mit dem Gleiter geflogen ist. Mit jedem Schritt der „Perlan“-Mission lerne Airbus mehr, wie man höher, schneller und sauberer fliegen könne, sagte der 58-Jährige. Der Konzern erhofft sich neue Erkenntnisse über die Dicke der Ozonschicht, den Klimawandel – zu dem auch die Luftfahrt mit ihren Emissionen kräftig beiträgt – und von Wetterphänomen. „,Perlans‘ außergewöhnlicher Luftfahrterfolg ist das Resultat kühnen Denkens“, sagte Enders. Man hoffe, eine neue Generation von Erfindern für die Branche zu begeistern.
Sie wollen an den Rand des Weltalls
Die aktuelle Generation wollte abends in einem Restaurant feiern. „Aber wir waren zu platt“, sagte Bensch. Um 23 Uhr war die Party vorbei. Die Rekordjagd soll aber weitergehen. Mittlerweile ist „Perlan II“ wieder im Basiscamp in Minden (US-Bundesstaat Nevada) angekommen. Im kommenden Jahr soll die Verbesserung des eigenen Rekords angepeilt werden. „Das Ziel ist eine Höhe von 90.000 Fuß, an den Rand des Weltraums zu kommen“, sagt Bensch, der gern wieder bei dem Projekt dabei wäre. Mit dieser Höhe von umgerechnet 27,4 Kilometern wäre der Höhenrekord im Horizontalflug geknackt. Den hält derzeit noch das Militärflugzeug Lockheed SR71 mit 25,929 Kilometern.