Hamburg. Was der AStA an der Hamburger Uni am 9. November 1967 organisierte, brachte die alten Professoren in Rage. “Ihr gehört alle ins KZ.“

Als Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer am 9. November 1967 schelmisch grinsend die Treppe im Hamburger Audimax herunterschreiten, ahnen sie, dass ihnen gerade ein spektakulärer Coup glückt. Was die beiden Studenten aber nicht wissen können ist, dass sie mit ihrer Aktion in die bundesdeutsche Geschichte eingehen werden.

Denn der Spruch „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“, den die beiden ehemaligen AStA-Vorstände vor den bloßgestellten Professoren auf einem schwarzen Banner in die Höhe halten, gilt heute als der bekannteste Slogan der 68er-Proteste und der Studentenbewegung.„Die Aktion war sicher erforderlich und geeignet, verkrustete Strukturen in Universität und Gesellschaft aufzubrechen. Sie war frech, gewaltlos, nicht ohne persönliches Risiko und im besten Sinne antiautoritär“, sagt Behlmer rückblickend laut Uni-Mitteilung.

"Auf den Punkt gebracht"

„Der Spruch brachte einfach alles auf den Punkt“, sagt der Leiter der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Rainer Nicolaysen. Noch heute rankten sich aber unterschiedliche Legenden darum, was sich damals im pickepackevollen Audimax bei der feierlichen Übergabe des Rektorats genau zugetragen hat. „Es gibt 1700 Plätze im Audimax, aber ich kenne inzwischen mehr als 1700 Leute, die damals dabei waren.“Klar ist: Albers, später Bremer SPD-Vorsitzender, und Behlmer, später Hamburger Staatsrat, hatten ihre Aktion gemeinsam mit Mitstreitern gut geplant und perfekt umgesetzt. Während die in Talar gekleideten Professoren zu einer Bach-Ouvertüre in den Saal schreiten, setzen sich die beiden Studenten vor den Zug und entrollen das zuvor in Behlmers Sakkotasche versteckte Transparent.

"Ihr gehört alle ins KZ"

Die 350 Studenten im hinteren Saalteil johlen, die Ehrengäste schweigen betreten. Einer der Professoren, der Orientalist Bertolt Spuler, ruft den Studenten wütend entgegen: „Ihr gehört alle ins KZ“ - der Skandal ist perfekt.Für den Spruch ließ sich Behlmer nach eigener Aussage von einem Graffiti auf dem Campus inspirieren. „Aber die Talare, der Reim und vor allem - darauf lege ich großen Wert - die 1000 Jahre stammen von mir“, sagte er dem „Hamburger Abendblatt“ im Jahr 2008.Ob die Formulierung von den „1000 Jahren“ wirklich eine bewusste Anspielung auf das „Tausendjährige Reich“ war, bezweifelt hingegen Nicolaysen nach ausgiebiger Quellenforschung. Manchmal trüge einen auch die Erinnerung. Es sei zu 1968 erstaunlich viel geschrieben, aber erstaunlich wenig geforscht worden, sagt der Historiker. Behlmer aber betont, die Anspielung auf die Nazizeit sei von ihm gewollt, allerdings damals kaum beachtet gewesen.Aber unstrittig ist: Quasi keine 68er-Deutung kommt heute ohne den „Muff“ aus. Für den Hamburger Protestforscher Wolfgang Kraushaar ist der „Generalangriff auf die Ordinarienuniversität“ ein „Affront sondergleichen“, für Nicolaysen ein Symbol für die Zeitenwende an den deutschen Unis und die 68er-Bewegung schlechthin.Zumal auch das Banner, das heute im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrt wird, ein ganz besonderes ist.

Denn den Spruch klebte Behlmer mit weißen Leukoplaststreifen auf ein Stück Trauerflor, das er von der Beerdigung des am 2. Juni 1967 in Berlin von einem Polizisten erschossenen Studenten Benno Ohnesorg aufgehoben hatte.Es sei darum gegangen, den ersten Toten der Studentenbewegung zu würdigen, schreibt Kraushaar in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Mittelweg 36“. Und dies in Hamburg, das damals anders als Berlin oder Frankfurt nicht als Hochburg des studentischen Protests galt. Die „Majestätsbeleidigung“ der Ordinarien bleiben für Behlmer und Albers folgenlos. Denn auch die Presse sei für die Studenten gewesen, eine Bestrafung wäre folglich nach hinten losgegangen, sagt Nicolaysen.Dafür ist an den Unis bald nichts mehr beim Alten. In Hamburg tritt eineinhalb Jahre später das Universitätsgesetz in Kraft, das als erstes Hochschulreformgesetz der Bundesrepublik mit den alten Strukturen bricht.

Aus den Kämpfen lernen

Die Professoren, die zuvor ein strenges Regiment an der Uni führten, fühlen sich fortan nicht mehr „kurz unter Gott“, wie Nicolaysen sagt. „Und an den meisten Unis war es danach vorbei mit den Talaren“.Für die aktuelle Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Uni, Franziska Hildebrandt, haben die damaligen Studenten eine „Basis geschaffen, auf der wir bis heute agieren und leben“. Und das Jubiläum der Aktion könnten die Studenten zum Anlass nehmen, aus den Kämpfen von früher zu lernen, um sie zu aktualisieren.

„Das muss man wieder neu schaffen, diese treffende Kritik“, sagt Hildebrandt.Und Behlmer? Der hält sich lieber zurück. „Ich habe mir vorgenommen, neun Jahre nach dem Tod meines Kompagnons keine Interviews mehr zu dieser gelungenen Aktion zu geben“, sagte Behlmer nun der Deutschen Presse-Agentur. Nur einmal will er anlässlich des Jubiläums auf Einladung Nicolaysens öffentlich über den Protest reden: am 50. Jahrestag der Aktion am kommenden Donnerstag. Und zwar eben dort, wo er damals gemeinsam mit seinem 2008 gestorbenen Wegbegleiter Albers Geschichte geschrieben hat: im Hamburger Audimax.