Hamburg. Streit um Personal. Unterschriftensammlung geht los. Noch im Rathaus erregte Diskussionen mit Rot-Grün

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie aufgeladen das Thema Kinderbetreuung ist, wurde er am Mittwochmorgen im Rathaus erbracht: Dort hat die Volksinitiative „Mehr Hände für Hamburger Kitas“ der Senatskanzlei ihre Forderungen übergeben und umgehend mit der Sammlung von Unterschriften begonnen – 10.000 müssen innerhalb eines halben Jahres zusammenkommen, um ein Volksbegehren starten zu können.

Kaum war dieser „offizielle“ Akt vorüber, entspann sich eine äußerst emotionale Diskussion zwischen Unterstützern der Initiative – überwiegend Erzieherinnen – und den beiden Vorsitzenden der Regierungsfraktionen, Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne). Sie waren extra in die Rathausdiele gekommen, um ihre kritische Sicht auf die Forderungen zu präsentieren. „Fragen Sie sich doch mal, warum so viele Erzieherinnen den Beruf wechseln“, sagte eine Kitaleiterin zu Dressel und Tjarks und gab die Antwort gleich selbst: „Weil die Bedingungen so schlecht sind.“ Mitarbeiterinnen, die länger als acht Jahre dabei seien, könne sie nicht tarifgerecht bezahlen, weil die Zuschüsse der Stadt dafür nicht ausreichten.

Dressels Einwand, dass die Stadt ihre Kitaausgaben auf mittlerweile 800 Millionen Euro im Jahr erhöht habe und aktuell eine weitere Steigerung um 120 Millionen Euro plane, drang kaum durch, da kam schon der nächste Vorhalt: „Können Sie sich vorstellen, allein acht Kleinkinder zu betreuen?“, wollte eine andere Erzieherin von den Fraktionschefs wissen – beide Väter von drei Kindern und mit der Situation durchaus vertraut.

„Im Krippenbereich sind wir uns doch fast einig“, entgegnete Dressel und wies auf das Ziel von SPD und Grünen hin, bei den unter Dreijährigen auf ein Betreuungsverhältnis von 1:4 kommen zu wollen. Dennoch betonte auch er den Dissens: „Sie wollen doch noch mehr. Jetzt müssen Sie auch sagen, wie das finanziert werden soll. Wollen Sie die Wiedereinführung der Kitagebühren?“ Das brachte die Erzieherinnen noch mehr auf die Palme. Nein, das wollten sie natürlich nicht, stellten einige klar – um dann aber doch die Abschaffung durch den SPD-Senat 2011 zu kritisieren. Denn davon hätten vor allem wohlhabende Eltern profitiert.

Immerhin: Während diese Runde grummelnd auseinanderging, hatten Dressel und Tjarks zuvor mit den drei Vertrauensfrauen der Initiative vereinbart, „im Gespräch“ bleiben zu wollen. Die beiden Fraktionschefs hatten zuvor mehrfach mit der Initiative verhandelt. Das blieb jedoch ebenso erfolglos wie die Vermittlungsversuche von Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD).

Initiative fordert maximal vier Kinder pro Erzieherin

Die Initiative fordert, dass eine Erzieherin in der Krippe (bis drei Jahre) maximal vier Kinder betreuen darf und im Elementarbereich (drei Jahre bis Einschulung) maximal zehn. Derzeit liegt diese „Fachkraft-Kind-Relation“ bei 1:5,6 in den Krippen und 1:10,7 im Elementarbereich. Darüber hinaus fordert die Initiative, dass auch Ausfallzeiten wie Urlaub und Krankheit sowie die mittelbare Pädagogik, also etwa Vor- und Nachbereitung des Tages und Elterngespräche, vollständig angerechnet werden, sodass de facto ein Personalschlüssel von 1:3 in den Krippen und 1:7,5 im Elementarbereich nötig ist. Nach dieser Rechnung kommt Hamburg aktuell auf Werte von 1:5,1 und 1:9. „Ich will das nicht mehr nach 24 Uhr machen“, sagte eine aufgebrachte Erzieherin über diese Tätigkeiten, „ich will, dass das bezahlte Arbeitszeit ist.“

Wie berichtet, ist Hamburg bei der Personalausstattung im Krippenbereich das Schlusslicht unter den westdeutschen Bundesländern. Im Elementarbereich belegt man einen guten Mittelfeldplatz. Der Senat arbeitet daher vor allem an einer Verbesserung für die Krippen: Dort sollen von 2018 an jedes Jahr 500 zusätzliche Erzieherstellen finanziert werden, sodass 2021 eine Fachkraft auf vier Kinder kommt – allerdings ohne Einrechnung von Ausfallzeiten und mittelbarer Pädagogik. Mit denen sowie mit Verbesserungen im Elementarbereich will man sich erst beschäftigen, wenn klar ist, dass der Bund sich stärker an den Kosten beteiligt – was aber völlig offen ist.

Dressel und Tjarks brachten aktuelle Zahlen des Senats mit: Demnach würden für die Umsetzung der Forderungen 9600 zusätzliche Erzieherinnen gebraucht, was Mehrausgaben von 405 Millionen Euro pro Jahr nach sich ziehe. „Ohne Gegenfinanzierung ist die Initiative unverantwortlich“, betonten beide und kündigten erneut an, vors Verfassungsgericht zu ziehen.

Die Linkspartei wies das zurück: „Die vom Senat an die Wand gemalten Zahlen sind viel zu hoch“, sagte Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Sie fordere die Regierungsfraktionen auf, „endlich mit ihren unanständigen Drohszenarien aufzuhören“. Auch Daniel Oetzel (FDP) unterstützt die Forderungen der Erzieherinnen: „Die Volksinitiative schlägt zu Recht Alarm.“ Für eine individuellere Betreuung bräuchten die Kitas mehr Personal.

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