Hamburg. Der zentrale Festgottesdienst in der Hauptkirche St. Michaelis wurde zu einer Lehrstunde über die Geschichte der Stadt.
Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen, aus U-Bahnhöfen und in Dienstwagen: Der Besucheransturm, der am Dienstagnachmittag vor der Hauptkirche St. Michaelis schon eine Stunde vor dem offiziellen Start zu beobachten war, ließ erahnen: Das Gotteshaus wird an diesem einmaligen staatlichen Feiertag hoffnungslos überfüllt sein. Wie zu Weihnachten.
Während die meisten Hamburger den freien Tag ganz ohne Kirche verbracht und genossen haben, feierten die Protestanten in der Hansestadt mit rund 120 Gottesdiensten den Beginn der Reformation vor 500 Jahren. Der Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ hallte durch Norddeutschlands schönste Barockkirche, gesungen von mehr als 2500 Menschen. Würdevoll schritt Hamburgs und Lübecks Bischöfin Kirsten Fehrs, begleitet von Johannes Bugenhagen, bei Orgelklängen und vollem Haus zum Altar.
Johannes Bugenhagen brachte die Reformation nach Hamburg
Johannes Bugenhagen? Martin Luthers Beichtvater und Mit-Reformator, der 1558 starb, brachte die Reformation nach Hamburg und gab sich beim Festgottesdienst in Gestalt von NDR-Moderator und Platt-Snacker Gerd Spiekermann die Ehre. Im vertrauten Plattdeutsch schilderte Spiekermann alias Bugenhagen „ut Pommern“, wie sich Hamburg mit seinen damals 14.000 Einwohnern kurz nach dem Wittenberger Thesenanschlag im Jahr 1517 verändert hat.
Knapp elf Jahre später sei Hamburg komplett evangelisch geworden, ließ Spiekermann seine Zuhörer wissen, die sogar auf Treppen und sonst geschlossenen Sälen der Veranstaltung beiwohnten. Damals gab es in Hamburg nicht mehr nur Schulen für die „Rieken“, sondern auch für Arme und Unterricht für die „Deerns“. Überhaupt wurden in den Kirchen Gotteskästen aufgestellt, von denen noch heute einer im Michel steht. Sie dienten als Sammelbüchse für die Armen.
Luther, so Bischöfin Fehrs geht vielen „an die Herzhaut“
Luther, sagte Bischöfin Fehrs in ihrer Predigt, gehe vielen „an die Herzhaut“. Er habe überkommene Strukturen infrage gestellt. „Ein einzelner Mensch, der der Institution mit großer Distanz gegenüber steht – das ist ein ziemlich modernes Phänomen“, sagte die Bischöfin. So müssten Kirchen wie Parteien auch heute um die Akzeptanz der Menschen werben. Der Rat von Bugenhagen alias Spiekermann an die „Kerk“ (Kirche) lautete daher, dicht bei den Menschen zu bleiben.
Zu den Gästen des Gottesdienstes gehörte neben dem früheren Weihbischof Hans-Jochen Jaschke Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). In seinem Grußwort hob Scholz den Beitrag der Reformation hervor: „Sie brachte den Hamburgern auch eine neue Stadtverfassung“. Außerdem: „Wir haben Luthers Bibelübersetzung, die Art, wie wir Deutsch sprechen und schreiben zu verdanken. Und die Etablierung von Arbeit als Voraussetzung für ein würdevolles Leben.“
Zum Jubiläum gehört das Pflanzen von Apfelbäumen
Zahlreiche weitere Kirchengemeinden feierten am Dienstag das Jubiläum. Dazu gehörte das traditionelle Pflanzen von kleinen Apfelbäumen. Schließlich wird dem 1546 verstorbenen Reformator dieser Satz zugeschrieben: „Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Bei trübem Oktoberwetter pflanzten die Kirchengemeinde Farmsen-Berne und die Genossenschaft mgf Gartenstadt am Platz der Besinnung (Bramfelder Weg) einen Apfelbaum. Symbolisch zeigte die Uhr die Zeit 15.17 Uhr.
Ein „Sprachgewirr“ versprach derweil Pastor Reinhard Dircks von der Hauptkirche St. Petri. In Hamburgs ältester Pfarrkirche feierten gleich vier nordische Seemannskirchen mit - die dänische, schwedische, norwegische und finnische Gemeinde.
Auch in Altona mobilisierte das Reformationsfest viele Menschen. Nach „Auftaktandachten“ in verschiedenen Kirchen ging es in Sternmärschen zur Paul-Gerhardt-Kirche. Die indischstämmige Pastorin Joy Hoppe berichtete vom starken Befreiungsimpuls der evangelischen Kirchentradition, die in den hoffnungslos verarmten Schichten Indiens den Menschen Kraft gebe. „Die Anliegen der Reformation in Kirche und Gesellschaft sind aktueller denn je. Gut, dass es dafür mal einen freien Tag gab“, sagte der Altonaer Pastor Matthias Kaiser dem Abendblatt.