Hamburg. Computerspiele in der Barclaycard Arena: Beim Dota-2-Festival feiern Zehntausende Zuschauer die weltbesten E-Sportler wie Rockstars.
Wie Rockstars marschieren die E-Sport-Spieler des Weltmeisterteams „Liquid“ durch den vollbesetzten Innenraum der Barclaycard Arena. Auf dem Weg zur Bühne drängeln sich die fünf jungen Männer durch ein enges Spalier, klatschen mit ihren Fans ab und saugen den Jubel der 10.000 ausgeflippten Computerfreaks auf. „Let’s go Liquid, let’s go!“, brüllt das Publikum. Die Inszenierung erinnert an den Einlauf der Klitschko-Brüder vor einem Boxkampf. Lichtkegel flimmern durch die Halle, dramatische Musik sorgt für ein Kribbeln im Bauch.
Nein, die ESL One ist alles andere als ein gewöhnliches Sport-Event. An diesem Wochenende hat es zum ersten Mal mit den acht weltbesten Teams im Volkspark stattgefunden. Was früher die Heimat des Eishockeys und Handballs war, wurde Sonnabend und Sonntag zum Mekka der elektronischen Sportgemeinde. Von mittags bis spät abends wurde hier das Echtzeit-Strategiespiel Dota 2 gezockt.
Markt mit Computer- und Videospielen boomt
Auf der Bühne stehen zwei Computerpulte mit jeweils fünf Plätzen für die beiden gegnerischen „Clans“. Sie werden von grün und rot gefärbten LED-Würfeln abgegrenzt. In der Mitte thront ein silberner Pokal, der nur die Kirsche auf dem Eine-Million-Dollar-Preisgeld-Törtchen darstellt. Der Spielehersteller Valve und die E-Sport-Liga ESL pumpen das Geld in die weltweite Veranstaltungsserie. An der Decke hängen drei überdimensional große Leinwände, auf denen die Spiele für die Zuschauer übertragen werden. Das Bühnenbild ist ein Gesamtkunstwerk.
„Die Show ist absolut beeindruckend“, sagt auch Steve Schwenkglenks, der General Manager der Barclaycard Arena. Er ist davon überzeugt: „E-Sport ist ein großer Zukunftsmarkt und wird immer populärer werden.“ In der Tat: Der elektronische Sport boomt. Auch in Deutschland. Zwar gibt es wegen der fehlenden Strukturen der noch jungen Branche keine exakten Zahlen, doch etwa 34 Millionen Menschen spielen hierzulande inzwischen regelmäßig Computer- oder Videospiele. Dota 2 ist nur einer von etwa 20 verschiedenen Titeln.
Die Spieler sitzen in einem Ledersessel mit großzügiger Rückenlehne. Jedes der fünf Teammitglieder hockt vor seinem eigenen Bildschirm. Die rechte Hand liegt auf der Maus, die linke bedient die Tastatur. Keiner verzieht eine Miene. Die Blicke sind geradeaus gerichtet. Die Körper nach vorne gebeugt.
Takhasomi gilt als erfolgreichster Zocker der Welt
Einer von ihnen ist der deutsche E-Sport-Star Kuro Salehi Takhasomi (Spitzname: KuroKy). Der iranischstämmige Kapitän des international zusammengewürfelten Teams „Liquid“ gilt als finanziell erfolgreichster Zocker der Welt. Umgerechnet hat der 25 Jahre alte Berliner schon 2,85 Millionen Euro in seiner Karriere eingeheimst. Gerade hat er das bedeutendste und mit 24 Millionen US-Dollar dotierte Dota-2-Event „The International“ gewonnen. Sagenhaft. In Hamburg scheiterte er allerdings im Halbfinale. Das Endspiel bestritten am späten Sonntagabend „Team Secret“ und „Virtus.pro“. Der Sieger stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
Das Ziel des Strategiespiels ist es, das Hauptgebäude des Gegners zu zerstören. Klingt simpel. Ist in der Umsetzung aber höchstkompliziert. Wenn Feuerbälle auf den Leinwänden explodieren, Schwerter aneinander krachen und Fäuste einschlagen, jubelt die Masse in der Halle euphorisch. Egal, für welches Team. Hassgesänge und Pfeifkonzerte gibt es hier nicht. Der Bass der Boxen, die über der Bühne hängen, wummert im Bauch. Die Zuschauer tauchen in die animierte Fantasiewelt ein.
„Hier herrscht eine freundliche Wettkampfsituation. Die Fans applaudieren bei einem starken Zug des Gegners. Das gibt es in anderen Sportarten kaum noch“, sagt Arena-Chef Schwenkglenks, der selbst seit mehr als 30 Jahren Computer spielt. Im Fußball werde bereits gepfiffen, wenn die gegnerische Mannschaft das Feld betritt. „Das finde ich schade. Deswegen unterstützen wir als Arena eine Veranstaltung wie die ESL One.“
Mehr als ein Drittel kommt aus dem Ausland
Fans aus der ganzen Welt sind zum größten Dota-2-Festival Europas angereist. Es gleicht einem großen Klassentreffen. Spieler, die sonst nur online gegeneinander zocken, lernen sich in der realen Welt kennen. Im Umlauf der Multifunktions-Halle ist ein bunter Mix aus mindestens fünf verschiedenen Sprachen gleichzeitig zu hören. Rund 35 Prozent der Zuschauer kommen aus dem Ausland. „Es ist wie bei einem Fußballspiel: Das Gefühl ist ein ganz anderes, wenn du live im Stadion bist und um dich herum alle brüllen“, erklärt Jan Klausen (20), der mit seinen beiden Brüdern (13, 18) und Vater Andreas (44) extra aus Stuttgart gekommen ist.
Das internationale Flair spürt der Besucher auch während des Wettkampfs. Ein männliches Kommentatoren-Duo, das in einem gläsernen Fernsehstudio neben der Arena aufgestylt mit Fliege und Krawatte sitzt, kommentiert die Duelle auf Englisch. Der Grund: Das Event wird per Livestream von zig Millionen Menschen rund um den Globus verfolgt.
Eine weitere Besonderheit: Viele von den meist jugendlichen Besuchern verkleiden sich wie ihre Lieblingshelden aus Dota 2. Am Abend findet der sogenannte „Cosplay-Contest“ statt, bei dem die zehn besten Kostüme unter lautem Gejohle auf der Bühne präsentiert werden. Sie sind bis ins kleinste Detail mit Liebe, Mühe und vor allem Geld versehen. Eine Verkleidung kann mehrere hundert Euro verschlingen. Dagegen scheint das Siegerpreisgeld von 1250 Euro läppisch zu sein.
Ja, es stimmt. Der elektronische Sport ist alles andere als gewöhnlich.