Hamburg. Magie mit weißen Tauben, Kunst aus Sand und ein Kabarettist mit Dada-Momenten – die Saison an Hamburgs Varietébühne beginnt.
„Schwampel“ wäre jetzt nicht so lustig gewesen. Zu tumb klingt das, zu unsexy, zu vertrottelt irgendwie auch. Und welche Kopfbedeckung würde auch dazu passen? „Jamaika“ hingegen ... Da wartet direkt ein ganzer Schwung an Klischees auf ungenierte Ausbeutung. Ulrich Waller und Thomas Collien jedenfalls hatten sichtlich Spaß an ihrer ausgelassenen Jubiläumsbegrüßung im Hansa-Theater. Rastafari statt Varietédirektor? Bittesehr: Sakkos aus, Batikshirts an, Dreadlocks, Strickmützen, Riesenjoints. Fertig. Denn „Dobrindt und Trittin an einem Tisch? Da braucht man eine ganz große Tüte! Nur bekifft wird alles möglich sein.“
Das gilt, trotz aktuellem Politikschwenk, so zum Glück nicht für den Auftakt der zehnten Hansa-Saison. Hier am Steindamm in St. Georg langt die konservative Drogenpalette: Sekt, Weißwein, Piet Klocke. Der moderiert „aus einer Höhe von 1,96“ auf das traditionell amüsierwillige Publikum herab, das im Hansa immerhin in die 123. Spielzeit seit 1894 geht.
Und wer war seither nicht alles auf dieser Bühne zu Gast: Hans Albers (schon 1912 und 1918) und Houdini, Josephine Baker und der Clown Grock, die Comedian Harmonists und Freddy Quinn, Siegfried und Roy. Auch die Erinnerung an solche Namen und alte (mal mehr, mal weniger goldene) Zeiten sind es, die seit der Wiedereröffnung 2009 rund 600.000 Gäste an die rührend plüschigen Plätze lockte, um sich bei Speis und Trank Artistik, Comedy und Magie hinzugeben.
Ehrfürchtiges Staunen bei Marko Karvo
Zum Jubiläum fasziniert nun wieder einmal vor allem Letzteres: Wie, bitteschön, hat der Vogelmann das gemacht?! Kaum eine Frage wurde im Anschluss an die diesjährige Zaubernummer häufiger gestellt. Zum dritten Mal gastiert der Finne Marko Karvo mit einem Programm, das selbst abgebrühteste Varietéverweigerer in ehrfürchtiges Staunen versetzt. Weiße Tauben, einen Wellensittich und sogar einen (echten! ausgewachsenen!) bunten Papagei zaubert der Magier irgendwo aus dem Nirgendwo und lässt die Vögel über die Köpfe der verblüfften Parkettgäste flattern. Die starren ihm abwechselnd auf Ärmel und Assistentin, um auch nur ansatzweise eine Ahnung des Tricks zu erhaschen. Vergeblich. Vielleicht ist es kein Trick und der finnische Vogelmann kann wirklich zaubern. Das würde es erklären.
Wie sehr auch vollkommen abseitiges Können bezaubern kann, wenn man das Abseitige zur Meisterschaft erhebt, zeigt im Anschluss Lina Li. Aus nichts als Licht und feinem Streusand erschafft sie ganze Welten, die Skylines von Hamburg, Paris und Rom gehen ineinander über, poetisch und kunstvoll rieselt sich die Sandartistin durch die Metropolen.
Stangentänzerin für die kleine Dosis Laster
Dass die norwegische Schlagersängerin Wencke Myhre, Stargast der Saisonpremiere, auch eine Art Ballermann-Medley ihrer größten Hits im Portfolio hat, ist zwar interessant zu erfahren, aber auch ganz schön uff-tata. Ein sehr schöner, sehr wahrhaftiger Moment gelingt ihr hingegen mit der Zugabe „Glory of love“. „You’ve got to give a little, take a little, and let your poor heart break a little...“
Eine Stangentänzerin (für die kleine Dosis Laster zum Krabbencocktail), ein Bauchredner (mit Servietten-Kaninchen), ein Porzellanjongleur (mit lockerem Toupet) – auch das übrige Programm ist fraglos unterhaltsam. Die Pellegrini Brothers zeigen beim Aufeinanderklettern ihre ausdefinierten Bauchmuskeln zu dramatischer Filmmusik her, und Piet Klocke schafft nahezu dadaistische Momente in den Überleitungen – und präsentiert nebenbei die ein oder andere Weisheit zum Feierabend: „Leben – eine Zumutung, aber muss ja“ oder „Synchronschwimmen – wie lange noch?“ Das sind sie nämlich, die großen Fragen des Lebens.
Diese Promis kamen zur Premiere:
Hansa-Theater – Diese Promis kamen zur Premiere