Hamburg. Staatsanwaltschaft: Taxi-Dieb aus Litauen habe den Tod von Unbeteiligten in Kauf genommen. Prozess im Dezember.

Es ist ein Prozess, der in Hamburg Rechtsgeschichte schreiben dürfte. Von Mitte Dezember an muss sich Ricardas D. (24) wegen des tödlichen Taxiunfalls an der Kreuzung Ballindamm/Glockengießerwall vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Damit wird erstmals vor einem Gericht in der Hansestadt ein Täter nach einem Delikt im Straßenverkehr wegen Mordes angeklagt.

Der Litauer, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, habe den Tod von Verkehrsteilnehmern durch seine rücksichtslose Fahrweise billigend in Kauf genommen. Bei dem Unfall am frühen Morgen des 4. Mai war Ricardas D. mit einem gestohlenen Taxi in ein Minivan-Taxi gerast. Fahrgast John B., Barkeeper des Ciu-Bar am Ballindamm, starb noch am Unfallort, sein Kollege sowie der Taxifahrer überlebten schwer verletzt. Ricardas D. wurde zunächst im UKE behandelt, sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Weitere Details der Ermittlung bekannt

Inzwischen sind weitere Details der Ermittlung bekannt, die den Mordvorwurf stützen sollen. So soll Ricardas D. mit über 140 km/h über die Kreuzung gerast sein. Bereits zuvor hatte er mehrere rote Ampeln überfahren, ebenfalls viel zu schnell. Ein Polizist hatte dies in seiner Freizeit an der Bramfelder Straße beobachtet und seine Kollegen alarmiert. Daraufhin setzte ein Streifenwagen zur Verfolgung an.

Offensichtlich wollte Ricardas D. um jeden Preis fliehen. Das Taxi, mit dem er fuhr, hatte er kurz zuvor gestohlen. In diesem Taxi soll er sowohl Diebesgut als auch Einbruchwerkzeug deponiert haben. Um seinen Verfolgern zu entgehen, raste er ohne Licht in Richtung Innenstadt. Mehreren Zeugen wollen seine extrem unsichere Fahrweise bemerkt haben – Ricardas D. hatte nach Abendblatt-Informationen keinen Führerschein. Der ermittelte Alkoholgehalt in seinem Blut soll unter 1,2 Promille gelegen haben.

Täter wegen Mordes angeklagt

Für großes Aufsehen sorgte bereits im Februar ein Raser-Urteil des Berliner Landgerichts. Die Richter verurteilten zwei Männer im Alter von 27 und 25 Jahres wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Das Duo war in einem Sportwagen mit Tempo 160 km/h über den Kurfürstendamm gerast. An einer Kreuzung kurz vor dem Kaufhaus des Westens (KaDeWe) rammten sie einen Jeep, der Geländewagen wurde mehr als 70 Meter über die Straße geschleudert. Der 69 Jahre alte Fahrer starb noch an der Unfallstelle.

Die Staatsanwaltschaft hatte die beiden Täter wegen Mordes angeklagt. Sie hätten zwar niemanden töten wollen, aber tödliche Folgen für andere Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf genommen. Dies alles nur, um ein illegales Autorennen zu gewinnen, im Juristen-Deutsch aus „niedrigen Beweggründen“. Die Richter folgten dieser Argumentation. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, da die Verteidigung Revision vor dem Bundes­gerichtshof (BGH) eingelegt hat. Noch ist offen, wann der BGH entscheiden wird. Die Verteidiger hatten auf Schuldsprüche wegen fahrlässiger Tötung für den einen und Gefährdung des Straßenverkehrs für den anderen plädiert.

Gesetz gegen Raser verschärft

Im Juni verschärfte der Bundestag mit großer Mehrheit das Gesetz gegen Raser. Die Veranstaltung oder Teilnahme an illegalen Autorennen können mit zwei Jahren Haft bestraft werden. Für Raser, die das Tempolimit rücksichtslos überschreiten, sollen ebenfalls bis zu zwei Jahre Haft möglich sein. Wird bei einem Rennen jemand getötet oder schwer verletzt, sind Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren möglich.

Mit Spannung blicken die Juristen nun zum anstehenden Prozess in Hamburg. Welche Rolle spielt der Fluchtgedanke des Litauers für das Gericht? Wie wird der Alkoholeinfluss gewertet? Wie wird die Verteidigung von Ricardas D. gegen den Mordvorwurf der Anklage argumentieren?

Taxifahrer hofft auf hohe Strafe für Täter

Die beiden Überlebenden des Unfalls in dem Taxi werden im Prozess den Mann wiedersehen, der ihr Leben für immer in ein Vorher und ein Nachher geteilt hat. Der Taxifahrer Mehmet Yilmaz geht auch fünf Monate nach dem Unfall noch an Gehhilfen und absolviert täglich eine dreistündige ambulante Reha bei der Berufsgenossenschaft. Er hofft, dass er im Januar wieder Gäste chauffieren kann; die Versicherung des Unternehmens, dessen Taxi gestohlen wurde, hat bislang 5000 Euro gezahlt. Er lebt von Krankentagegeld und von Hartz IV, nur dank Spenden kann er den Kredit für sein Eigenheim weiter bedienen. Er hofft, dass Ricardas D. zu mindestens zehn Jahren verurteilt wird: „Er hat durch rücksichtsloses Verhalten einen Menschen totgerast, zwei schwerst verletzt.“

Auswirkungen auf Ansprüche der Opfer

Auch sein überlebender Fahrgast ist gesundheitlich weiter angeschlagen, zudem verlor er mit John B. einen guten Freund und Kollegen. Die Mutter von John B., der auch begann, sich als Künstler einen Namen zu machen, muss mit dem Verlust ihres Sohnes fertig werden. Ihre Schmerzensgeld-Ansprüche müssen nun ebenfalls geklärt werden. Betreut wird sie von der Opferschutzorganisation Weißer Ring. Zwar wird es in dem Strafprozess nicht um die Opfer-Entschädigung gehen – dies ist Sache der Anwälte und der Versicherung. Dennoch kann sich das Verfahren indirekt auch auf die Ansprüche der Opfer auswirken. Dabei geht es etwa um die Frage, welches medizinische Leid dem Taxifahrer und dem Barkeeper zugefügt wurde.