Hamburg. Als größte Stolpersteine gelten die Flüchtlingspolitik und die innere Sicherheit. FDP: „Wir lassen das auf uns zukommen.“

So richtig euphorisch klingen die Hamburger Bundestagsabgeordneten und Landeschefs von CDU, FDP und Grünen beim Gedanken an die sich abzeichnende Jamaika-Koalition in Berlin nicht. In die Ungewissheit über die konkrete Ausgestaltung eines solchen Bündnisses mit einer großen Bandbreite vom linken Flügel der Grünen bis zur stramm konservativen CSU mischt sich bei fast allen Politikern der Ärger darüber, dass die SPD bereits am Wahlabend erklärt hat, in die Opposition zu gehen. Das erhöht den Einigungsdruck auf die „Jamaikaner“.

„Jamaika ist Chance und Risiko zugleich. Ich kann mir schon vorstellen, dass aus dem Bündnis die Innovationskraft entsteht, die das Land braucht“, sagt CDU-Landeschef Roland Heintze. Vor allem in den Bereichen Flüchtlingspolitik und innere Sicherheit sieht Heintze Reibungspunkte: „Für uns ist die Aussetzung des Familiennachzugs ein wichtiger Punkt, die Grünen wollten bisher das Gegenteil“, so Heintze.

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„Wichtig ist, dass wir klare Vereinbarungen im Koalitionsvertrag treffen. Wir dürfen den Fehler von Schwarz-Grün in Hamburg nicht wiederholen, als zu viele Punkte offen gelassen wurden“, betont der Parteichef. Die CDU müsse ihren „Markenkern“ bewahren. Das betreffe die Wirtschafts- und Industriepolitik ebenso wie die innere Sicherheit. „Wir dürfen nichts vereinbaren, was zu einer Stärkung der AfD führt.“

Auch die FDP-Landesvorsitzende Katja Suding, die künftig als Bundestagsabgeordnete arbeiten und als mögliche Ministerin gehandelt wird, meint, eine Umsetzung der Jamaika-Koalition sei gar nicht so einfach. „Weder die Union noch die Grünen haben bislang eindeutig erklärt, was sie eigentlich wollen“, sagte Suding. Bei der Union tobe derzeit eine heftige Auseinandersetzung zwischen der CDU und der CSU, deren Ausgang bislang nicht absehbar sei. „Allerdings ist auch bei den Grünen nicht klar, ob sich am Ende die beiden realpolitischen Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir durchsetzen oder der bisherige Fraktionschef Anton Hofreiter vom linken Parteiflügel.“

Unterschiedliche Vorstellungen

Bei einem möglichen Einwanderungsgesetz sieht Suding Punkte, bei denen FDP und Grüne übereinstimmten. „Allerdings haben wir an anderen Stellen unterschiedliche Vorstellungen, wie beispielsweise bei der Einstufung sicherer Herkunftsländer.“ Was die Forderung der Grünen nach dem Ende des Verbrennungsmotors angeht, so hält Katja Suding nicht viel davon, „es besser wissen zu wollen als unsere hervorragenden Ingenieure“. Es sei noch längst nicht ausgemacht, dass der Elektromotor am Ende wirklich die bessere Alternative darstellen werde. So würden derzeit alternative Treibstoffe getestet.

„Wir lassen das auf uns zukommen“, sagt der zweite FDP-Bundestagsabgeordnete, Wieland Schinnenburg. Eine Übereinkunft mit der CSU stelle „eine sehr, sehr hohe Hürde dar, ist aber keinesfalls ausgeschlossen“. Die langjährige Grünen-Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk spricht von „Herausforderungen, die schwierig in Übereinstimmung zu bringen“ sein würden. „Voraussetzung ist zunächst, dass die CSU es schafft, das schwache Abschneiden bei der Bundestagswahl zu verarbeiten.“ Für Hajduk sind die Fragen der Integration von Flüchtlingen und der Einwanderung „eine schwierige Kiste“ – vor allem mit Blick auf die Forderung der CSU, eine jährliche Obergrenze für Flüchtlinge festzulegen.

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So etwas wäre mit den Grünen kaum zu machen. Ähnlich sieht es auch Katja Suding. Bei der Umweltpolitik hingegen fürchtet Hajduk auch mit der FDP Konflikte. „Wir müssen mehr für den Umweltschutz tun, wenn wir die von uns versprochenen Zielmarken auch erreichen wollen.“ Ob die Liberalen da so ohne Weiteres mitziehen, daran hat Anja Hajduk ihre Zweifel und verweist auf den Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen, der dem Klimaschutz zu wenig Beachtung schenke. Eine besondere Herausforderung für die Grünen bestehe darin, in einer möglichen Koalition mit der Union und FDP das Thema „soziale Gerechtigkeit“ zu vertreten.

Manuel Sarrazin, der Fraktionskollege von Hajduk, sieht auch bei den Vorstellungen über die Zukunft der Europäischen Union Konfliktpotenzial zwischen den Grünen und der Union sowie der FDP. Die Haltung der Liberalen zu den Russland-Sanktionen halte er ebenso für falsch wie die vom bisherigen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beabsichtigte Konzen­tration auf ein Kerneuropa.

Weinberg sieht „ein sehr hohes Potenzial"

Der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Landeschef Marcus Weinberg sieht in einer Jamaika-Koalition „ein sehr hohes Potenzial, aber genau so hohe Risikofaktoren“. Weinberg setzt auf die „sehr kluge Moderation“ durch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und fordert wie Heintze klare Verabredungen vor dem Start eines solchen Bündnisses. „Jede Formulierungsschwäche ist risikobehaftet. Jamaika wird umso schwieriger, je aggressiver einzelne Teilnehmer auftreten“, sagt Weinberg.

„Die nachhaltige Umgestaltung der Gesellschaft bekommen wir mit FDP und Grünen besser hin“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse. Schwierigkeiten sieht der Christdemokrat bei den Themen innere Sicherheit und Flüchtlingspolitik. „Das wird man im Vorwege klären müssen, sonst wird es keine Koalition geben“, so Kruse.

Christoph Ploß ist optimistisch

Ähnlich sieht es auch der neu gewählte CDU-Abgeordnete Christoph Ploß. „Die Grünen müssen auf die CSU zugehen, um eine Koalition zu ermöglichen“, fügt Ploß hinzu, der aber insgesamt durchaus optimistisch ist. Die Partner müssten „auf ihren Schwerpunktgebieten“ in einer möglichen Koalition erkennbar sein.

„Ich gehöre nicht zu denen, die mit Begeisterung auf das mögliche Bündnis reagiert haben“, sagt der ebenfalls neu gewählte CDU-Abgeordnete Christoph de Vries, Anhänger des konservativen Flügels seiner Partei. „Der Weg nach Jamaika ist kein Picknick.“ Bei den Grünen komme es sehr darauf an, wer sich durchsetze. „Bei Cem Özdemir und ­Katrin Göring-Eckardt bin ich eher optimistisch“, sagt de Vries.