Hamburg. Verwaltungsgericht wertet hartes Vorgehen gegen Jugendgruppe „Die Falken“ als rechtswidrig. Opfer wollen nun Schadenersatz fordern
Erstmals hat ein Gericht der Polizei ein unrechtmäßiges Vorgehen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel attestiert. Das Verwaltungsgericht Hamburg bescheinigte zwei Mitgliedern der Jugendgruppe „Die Falken“ aus Nordrhein-Westfalen in einem „Anerkenntnisurteil“, das dem Abendblatt vorliegt, dass ihre Ingewahrsamnahme am 8. Juli in der Gefangenensammelstelle Harburg „rechtswidrig“ war.
Hintergrund: Die Polizei hatte am frühen Morgen des zweiten Gipfeltages den mit 44 teilweise minderjährigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen besetzten, aus Nordrhein-Westfalen kommenden Bus auf der Autobahn abgefangen und zur Gefangenensammelstelle (Gesa) geleitet. Dort wurden nach Berichten der Betroffenen Insassen von Spezialkräften der Polizei „geschlagen und mit ihren Händen auf dem Rücken abgeführt“. Einige der Jugendlichen mussten sich demnach „komplett nackt ausziehen (andere bis auf die Unterwäsche) und wurden dann intensiv abgetastet“. Bei WC-Gängen mussten die Türen offen bleiben. Den Hinweis, dass Minderjährige im Bus seien und man als Jugendverband auf dem Weg zu einer angemeldeten Demonstration sei, habe die Polizei ignoriert. Auch Telefongespräche, etwa mit einem Anwalt, seien verweigert worden. Insgesamt sei die Gruppe rund viereinhalb Stunden festgehalten worden.
Zwar hatte Innensenator Andy Grote (SPD) bereits kurz nach dem Gipfel von einem bedauerlichen Fehler gesprochen und um Entschuldigung gebeten. Zur gerichtlichen Feststellung hatten der Landeschef der Falken Nordrhein-Westfalen, Paul M. Erzkamp, und die Vorstandsbeisitzerin Anna Cannavo gleichwohl Klage eingereicht.
Nachdem das Verwaltungsgericht nun die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes festgestellt hat, wollen die Geschädigten jetzt auch Schadenersatz von der Stadt fordern.
„Die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen steht nun fest. Damit ist das Land Hamburg dazu verpflichtet, die Betroffenen für die erlittene Freiheitsentzie- hung finanziell zu entschädigen“, sagte ihr Rechtsanwalt Jasper Prigge. „Ansprüche auf Entschädigung können nun gegenüber der Hamburger Polizei geltend gemacht werden.“
Nachdem die „Falken“ den Übergriff in einem offenen Brief öffentlich gemacht hatten und auch das Abendblatt berichtet hatte, nahm Polizeipräsident Ralf Meyer bereits im Juli Kontakt zu den Geschädigten auf und bat um Entschuldigung. Es habe sich um eine Verwechslung gehandelt. „In unseren Augen ist dieses Urteil ein wichtiges politisches Zeichen. Die Fahrt zu Demonstrationen darf kein Risikospiel sein“, sagte Falken-Chef Paul M. Erzkamp dem Abendblatt. „Sowohl die Entschuldigung als auch die interne Ermittlung der Polizei sowie der Sonderausschuss machen uns Hoffnung, dass dieser Fall genau aufgeklärt wird.“ Allerdings gebe es noch einige offene Fragen. „Wieso wurde die Verwechslung erst nach viereinhalb Stunden entdeckt? Wieso wurden Grundrechte, wie zum Beispiel der Anruf beim Anwalt, ignoriert?“ Der Fall sei für die Falken noch nicht abgeschlossen, so Erzkamp. „Wir werden sehr genau die Aufklärung des gesamten Komplexes G20 verfolgen.“
Die Polizei teilte am Freitag auf Anfrage des Abendblatts mit, dass sie die Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens gegenüber dem Gericht bereits anerkannt habe. Polizeipräsident Meyer plane, „nach Verfahrensabschluss mit den betroffenen Jugendlichen in einen vertrauensbildenden Dialog zu treten“, so Polizeisprecher Ulf Wundrack. Die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) ermittle derzeit noch in dieser Sache. Klar sei, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt habe. „Es lagen Hinweise aus Niedersachsen auf zwei in Richtung Hamburg fahrende Reisebusse vor, wonach sich in einem dieser Busse Personen mit angelegter Vermummung befunden haben sollen“, so Wundrack. „Angehalten und überprüft wurde später lediglich der mit den Jugendlichen besetzte Bus. Über den Verbleib des zweiten Busses liegen keine Erkenntnisse oder Hinweise vor.“
Insgesamt ermittle die DIE derzeit in 107 Fällen im Zusammenhang mit G20 gegen Polizeibeamte. Zudem gebe es etwa 2000 Ermittlungsverfahren wegen Übergriffen auf Polizeibeamte.