Hamburg. Der Stadtsoziologe Nils Zurawski über die Beziehung der „Schanze“ zur Trutzburg
Warum hält das Schanzenviertel so fest zu den Besetzern der Roten Flora? Das Abendblatt sprach mit Professor Nils Zurawski, Soziologe und Kriminologe an der Uni Hamburg.
Wie kommt es zu der besonderen Beziehung zwischen Anwohnern und den Besetzern?
Nils Zurawski: Da ist über Jahrzehnte ein Band entstanden. In den 1980ern war die Schanze noch ein sehr bescheidendes Viertel, es roch penetrant nach Schlachthof. Die Rote Flora hat den revolutionären Geist dort hingebracht. Sie hat über die Jahre erst das Publikum angezogen, das sich ebenfalls politisch links von der Mitte sieht, das diesen Lebensstil mag, dieses auf hippe Weise Unangepasste. Interessant ist der Vergleich zum Karolinenviertel: Dort waren die Voraussetzungen ähnlich, aber ohne ein Zentrum wie der Roten Flora geht es dort viel bürgerlicher und ruhiger zu.
Auch in der Schanze sind längst Familien, Werber, Gutverdienende zu Hause.
Das ist einer von vielen Widersprüchen. Je hipper die Schanze als Ausgehviertel wurde, desto mehr hat es auch Menschen angezogen, die den revolutionären Hauch auch in den Konsum übersetzen wollen. Als Gesamtentwicklung wird das im Stadtteil geduldet. Aber bei bestimmten Geschäften bricht noch immer ein großes Ringen los, schnell sind auch einmal Scheiben eingeschlagen, wenn etwas anscheinend nicht hineinpasst. Dabei ist sehr viel der linken Haltung selbst nur Anstrich, eine Fassade.
Was meinen Sie?
Es sind viele Cafés und Geschäfte entstanden, die eigentlich ziemlich spießig sind. Und auch wenn die Anwohner mehrheitlich noch links von der SPD stehen, fehlt bei vielen doch eine wirkliche Überzeugung oder Mitarbeit im politischen Sinne. Eher wird das Linkssein als schickes Accessoire getragen.
Gilt das auch für die Rote Flora?
Nein, dort wird tatsächlich noch inhaltlich Politik gemacht. Aber die Besetzer bekommen auch mit, was im Viertel um sie herum geschieht. Mein Verdacht ist, dass sie es dulden, dass viele nur zu ihnen halten, weil es eben hip ist. Denn die Unterstützung im Stadtteil ist ihr Schutzschild.
Warum äußern die Anwohner so wenig Kritik, nachdem ihr Viertel verwüstet wurde?
Zum einen gibt es mit Blick auf die Nachbarschaft vielleicht Hemmungen. Eine richtige Aufarbeitung wäre auch für die Anwohner schmerzhaft, weil sich viele eingestehen müssten, dass mit ihrem Linkssein auch Probleme einhergehen, etwa das Verhältnis zu Gewalt.
Welche Entwicklung sehen Sie in der Roten Flora?
Es stehen wichtige Debatten an, die schon viel früher hätten geführt werden müssen – bei allen Akteuren. Auch das ist schmerzhaft und könnte die Besetzer innerlich zerreißen. Die Alternative ist, dass die Aufarbeitung etwa versandet oder die Rote Flora sich nur an den äußeren Feinden abarbeitet. Das könnte eine Radikalisierung zur Folge haben.