Hamburg. Achim Freyers „Parsifal“-Inszenierung eröffnet die Staatsopern-Saison. Die Titelpartie singt der Tenor Andreas Schager. Ein Gespräch.

Rohrbach an der Gölsen, ein niederösterreichisches Kuhdorf im wahrsten Sinne des Wortes, hat knapp 1600 Einwohner. Und einer von vier historischen Wikipedia-Größen dort, neben dem aktuellen Bürgermeister, ist der Tenor Andreas Schager, der inzwischen zum Ehrenmitglied des Fußballvereins ernannt wurde. Dort wuchs Schager auf einem Bauernhof auf, umgeben von Kühen, denen ein wagner­begeisterter Tierarzt Namen von Wagner-Frauengestalten verpasst hatte. Mittlerweile ist Schager international als Wagner-Tenor bestens gebucht, 2013 holte ihn Simone Young für einen konzertanten „Rienzi“. In wenigen Tagen singt Schager die Titelrolle in der ersten Neuproduktion der Staatsopern-Spielzeit, Wagners „Parsifal“, inszeniert von Achim Freyer und dirigiert von Generalmusikdirektor Kent Nagano.

Ihre Karriere begannen Sie als Operettentenor und sind so jahrelang durch die Provinz getingelt. Nun aber Wagners Parsifal statt ­Zigeunerbaron, Bayreuth, Berlin, jetzt Hamburg, bald ­Paris. Froh, dass die Fron der frühen Jahre vorbei ist? Vermissen Sie das?

Andreas Schager: Ich lebe nach der Philosophie, dass jeder Schritt in der Vergangenheit uns genau dorthin geführt hat, wo wir jetzt sind. Also hat rückblickend alles seinen Sinn. Für mich waren diese zehn, zwölf Jahre wahnsinnig lehrsam. Erstens ist es unterschätzt: Johann Strauß hat den „Zigeunerbaron“ als Oper konzipiert, der Barinkay ist eine Riesenpartie, da geht’s zur Sache. Wir haben das oft 18- bis 20-mal hintereinander gespielt, in Doppelvorstellungen. ­Danach konnte mich nichts mehr ­erschüttern. Vor meinem ersten Siegfried – in Halle – hab ich mir die Partitur ­angeschaut und gedacht …

… so schlimm kann’s nicht sein …

… Genau so war’s. Seiten zählen, den Umfang der Partie überprüfen, am Ende kam für mich heraus: Das ist ungefähr so viel wie eine Doppelvorstellung „Zigeunerbaron“, ungefähr dieselbe Lage. Also kann ich es machen.

Warum stellen sich dann manche Kollegen von Ihnen so an, wenn es an Wagner geht?

Solche Kollegen kenne ich nicht. Für mich ist es ein großer Segen, dass es Wagner gibt – diesen Verrückten, der diese unfassbaren Opern geschrieben hat.

Der reine Tor Parsifal ist keine Schenkelklopfer-Angelegenheit wie so ein schmissiger Zigeunerbaron. Macht diese Partie dann dennoch regelrecht Spaß im klassischen Sinne des Wortes? Es gibt ja kaum eine sämigere Handlung – bis auf eine, ­allerdings leicht schwierige Frau nur Männer, die nur herumstehen und sich ewiglich erzählen, was war, ist oder sein könnte.

Für mich ist das ein absoluter Spaß. Das Stück kriegt einen eigenen Sog, schon die ersten Takte der Ouvertüre versetzen mich in eine eigene Welt. Es ist wie Hypnose mit offenen Augen. Die Zeit vergeht oft wahnsinnig schnell …

… und wird, wie es im Text so schön heißt, zum Raum.

Stimmt. Eine Geschichte dazu: Ich bin ja auf einem Bauernhof aufgewachsen, wo ich mit Klassik nichts zu tun hatte. Jetzt lade ich fast immer Bekannte von mir zu Vorstellungen ein. Und jedes Mal – gerade bei „Tristan“ und „Parsifal“, den Stücken mit fast null Handlung – geraten die Leute in diese fast hypnotische Trance. Offen sein, das ist das Wichtigste. Diese Musik prägt sich derart stark ein …

… Droge eben … Sie haben unter anderem Theologie studiert. Hilft das bei einem derart religiös unterfütterten Stück wie dem „Parsifal“?

Ich kann nicht sagen, wie viel Einfluss mein Studium genommen hat, aber es ist sicher eine vertraute Welt.

Man kann diese Oper ja auch so betrachten: Da gibt es diese hermetische, versteckte Glaubensgemeinschaft, nur Männer und viele sonderbare Dinge. Das Stück kann ganz unangenehm aktuell daherkommen.

Natürlich ist es ganz aktuell. Die Bayreuther Inszenierung war eine große Religionskritik, absolut legitim.

Sie waren in Bayreuth Parsifal, davor in Berlin, jetzt Hamburg, bald in Paris – wie ­bekommt man im Kopf die jeweiligen ­Regie-Konzepte klar getrennt?

Das ist relativ einfach. Gerade Bayreuth und Hamburg sind so unterschiedlich, da besteht gar keine Gefahr.

Wie würden Sie beschreiben, was hier in Achim Freyers Regie passiert?

Er ist sehr, sehr genau am Text. Er kommt ja von der bildenden Kunst, und so ist auch das ganze Stück angelegt. Das ganze Bühnenbild ist ein Freyer-Kunstwerk, und die Protagonisten sind Teile davon. Mir gefällt sehr, dass er die Elemente des Zaubers ganz stark ­herausarbeitet – der Karfreitagszauber, die Zauberin Kundry, der Zauberer Klingsor … Dieser Zauber findet auch auf der Bühne statt. Er arbeitet teilweise mit Doubles: Hier verschwindet jemand, dort taucht er wieder auf. Er arbeitet auch viel mit skurrilen Masken, Spiegeln, Räumen und Farben. Alles dreht sich, es ist eine fantastische Welt. Freyer versucht nicht die Handlung darzustellen, sondern die Emotionen hinter der Handlung. Wenn ich als Interpret ­irgendwo hinkomme, räume ich alles Vorwissen weg und bin ein offenes ­Gefäß. Das hat mir sehr geholfen, das kann ich auch nur dem Publikum nahelegen. Man muss alles sozusagen ohne Gehirn auf sich wirken lassen.

Lässt sich ein Regisseur wie Freyer etwas von einem Parsifal-Praktiker wie Ihnen ­sagen?

Er ist immer offen für Vorschläge. Man taucht gemeinsam in diese Gedankenwelt ein.

Im letzten Sommer waren Sie in Bayreuth Einspringer für den erkrankten Klaus Florian Vogt, in den nächsten Jahren sind sie regulärer Parsifal auf dem Grünen Hügel. Bekommt man in so einer Situation aufführungspraktische Tipps vom Kollegen?

Dafür war definitiv keine Zeit. Und für die rein praktischen Dinge sind ja Regie-Assistenten da.

Man kann „Parsifal“ entweder ganz langsam oder fürchterlich langsam dirigieren, wenn man Pech hat, verhungert man als Sänger am ausgestreckten Dirigenten-Arm. Im Zweifelsfall also lieber flott?

Das Tempo muss stimmen. Langsam oder schnell, das kann ich nicht sagen. Das Tempo muss die Stimmung einfangen und wiedergeben, das ist ein Geben und Nehmen.

Mit der Stoppuhr werden Sie sicher nicht proben, aber wie fühlt sich der Nagano-Parsifal an?

Wir hatten gestern erst die erste ­Orchesterprobe. Manchmal ist er langsamer als andere. Er hört wahnsinnig gut, er hört alles …

… auch nicht immer gut womöglich …

… und er begleitet, das ist das Schöne. Man merkt, wie er das Orchester mit dem Sänger gemeinsam führt. Bislang bin ich sehr, sehr zufrieden.

In der Prestige-Abteilung ist das Fach Wagner-Tenor mit seinen großen Rollen, auf die Sie abonniert sind, ziemlich weit oben, ­womöglich höher als der x-te Liebhaber in einer Rossini-Oper. Gibt es für Sie noch Wunsch-Partien?

Der erste „Lohengrin“ kommt 2018 an der Wiener Staatsoper, ich werde mich ­sicher auch mal an den Stolzing in den „Meistersingern“ heranwagen. Im Wagner-Fach habe ich ansonsten ja schon ­alles durch, vom David über Rienzi, Tristan, die beiden Siegfriede und Siegmund …

Womöglich bekommen Sie das ja nicht so sehr mit, doch geht nicht auch Ihnen das anbetende Gewese mancher Wagnerianer um ihren Allerliebsten – erst recht bei „Parsifal“ – auf die Nerven?

Davon erreicht mich nicht viel, ich halte mich da auch zurück. Es gibt offensichtlich eine ganze Community, die sich von dieser Musik gerne und immer wieder anstecken lässt.

Ist man als Wagner-Tenor musikalisch, moralisch, stimmtechnisch verloren für eine schöne Mozart-Oper? Ist das inzwischen eine Nummer zu klein für Sie?

Oft ist ein Schubladendenken festzustellen, man bekommt schnell ein Etikett. Ich versuche da dagegenzusteuern, mit „Freischütz“, „Fidelio“ oder Strauss-Opern. Und um ganz groß ­dagegenzusteuern, habe ich an meinem Stammhaus, der Berliner Staatsoper, darum gebeten, einige „Zauberflöte“-Taminos zu singen. Das habe ich im letzten Jahr zwischen einer „Tristan“-Serie in Rom und einer „Götterdämmerung“-Serie in Toronto gemacht, als ich drei ­Wochen freihatte. Das war fantastisch.

Ist „Parsifal“ für Wagner-Einsteiger besonders gut geeignet oder besonders abschreckend?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie sehr gut ist. Man muss sich wirklich darauf einlassen, dann wird‘s gut.

Termine: „Parsifal“. Premiere am 16.9.,
16.00, um 19.45 beginnt „Wagner Ahoi!“ die zeitversetzte Open-Air-Kino-Übertragung am Jungfernstieg; Opern-Karten (8 bis 195 Euro) unter T. 35 68 68. Weitere Informationen: staatsoper-hamburg.de