Hamburg . Einen großen Teil ihres Umsatzes machen Hotels in der Hansestadt durch Hamburger. Experten der Branche beraten neue Angebote.
Gemütliche Sitznischen mit kleinen Leselampen, Kissen und Teppiche in weichen Naturtönen, Bilder an der Wand, Goldfische zum Ausleihen – der Blick in die Hotelzimmer von heute ist auch ein Blick auf die Gesellschaft. Und die mag es gerade klein und kuschelig, ist doch die Welt da draußen unsicher und Furcht einflößend genug. „Das Hotelzimmer dient als Rückzugsort. Die Gäste wollen sich wohlfühlen wie zu Hause“, fasst Designer Peter Joehnk den Hotel-Wohnzimmer-Trend zusammen.
Für den Hamburger, der mit seiner Firma Joi-Design weltweit Hotelzimmer einrichtet, ist das aber schon Schnee von gestern. Motto: Ist die Suite erst einmal fertig, muss schon die nächste Herausforderung kommen. Deshalb lud er zusammen mit Rolf Westermann, Chefredakteur der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ), eine illustre Runde aus der Hamburger Hotellerie zum Gedankenaustausch in die neu gegründete „Brainvilla“ an der Bebelallee und fragte: „Was kommt nach dem Hotel-Wohnzimmer?“
Große Expertenrunde
Im denkmalgeschützten Speiseraum der Villa Blohm aus dem Jahre 1922, wo Joehnk seit Februar dieses Jahres sein Büro hat, trafen sich Christoph Hoffmann, CEO der 25 hours hotel company, Ingo C. Peters, Direktor des Hotels Vier Jahreszeiten, Marco Nussbaum, Erfinder der prizeotels, Mario Pick, COO der Novum Hotel Group, Folke Sievers, Direktor des Reichshofs Curio by Hilton, Fabian Engels, Direktor des Lindner Park-Hotels Hagenbeck, und Andreas Löcher, Leiter des Asset Management Hotels bei Union Investment, einem der großen Immobilienfonds mit 39 Hotels unter 16 verschiedenen Marken.
Während des Salongesprächs wurde deutlich: Gesellschaftliche Strömungen machen vor der Hoteltür nicht halt. Im Gegenteil: Gerade in den Häusern werden Trends aufgespürt und in die Gestaltung umgesetzt. Christoph Hoffmann, der in Hamburg und vielen europäischen Metropolen Lifestyle-Hotels betreibt, gilt als der „Erfinder des Wohnzimmers“ – was dieser aber sogleich zurückwies. „Es sind vielmehr die Grand Hotels wie das Hotel Vier Jahreszeiten mit seiner Wohnhalle.“
Wohnzimmer-Gefühl weiterentwickeln
An diese Tradition wolle er anknüpfen, das Wohnzimmer-Gefühl noch weiterentwickeln: „Wir bieten etwa Backgammon-Spiele in den Zimmern an. Es ist doch schön, wenn man als Familie im Urlaub zusammen spielt oder etwas trinken geht und nicht jeder mit seinem Smartphone hantiert“, so Hoffmann. Gleichwohl sollen die 25-hours-Hotels „den Draht zur lokalen Community herstellen“, um neue Zielgruppen anzusprechen. Gerade beschäftigt den Vordenker eine Idee aus Frankreich, die die Nachbarschaft neu belebt. „Wir testen in einigen Häusern einen Concierge-Service. Nachbarn können im Hotel ihre Post abholen, Wäsche reinigen lassen, einkaufen und so weiter.“
Folke Sievers hat mit seinen Veranstaltungen schon länger auch lokale Gäste in seine Hotels gelockt. Dieses Konzept setzt der umtriebige Hotelier nun auch im Reichshof fort. „Ich sehe mich bestätigt, wenn die Leute am Sonntagnachmittag zu Kaffee und Kuchen zu uns kommen. Wegen der großen Beliebtheit mussten wir schon das Platzangebot erweitern“, so Sievers. Und das habe wiederum Auswirkungen auf den Hotel-Betrieb: „Der Erfolg von Airbnb hat es gezeigt: Reisende wollen heute nicht mehr als Touristen unterwegs sein, sondern sich in der fremden Stadt schnell heimisch fühlen. Wenn sich Einheimische mit Gästen in einem Hotel mischen, ist das eine perfekte Symbiose.“
80 Prozent Umsatz mit Hamburgern
„Wir machen heute rund 80 Prozent unseres Umsatzes im Food-&-Beverage-Bereich (Speisen und Getränke) mit Hamburger Publikum“, bestätigte Ingo C. Peters. „Deswegen ist die Gastronomie so wichtig.“ Was er bei seinen Gästen im Hotel Vier Jahreszeiten beobachtet, ist der Wunsch nach einem Erleben der Stadt und einer Geschichte, die das Hotel erzählt – „in einem Haus mit einer 120-jährigen Geschichte sind wir in einer komfortablen Situation.“
Aber man müsse dafür viel Zeit und Geld investieren. „Meine Frau und ich haben uns vor der gerade zurückliegenden Renovierung jedes einzelne Zimmer angeguckt.“ Für die gerahmten Bilder an den Wänden habe Peters einen Kunstkurator engagiert, der Werke restaurieren lässt und neu erwirbt. „Unsere Gäste legen darauf viel Wert.“
Digitale Schnittstelle wichtig
Fabian Engels ergänzte, dass es wichtig sei, eine authentische Geschichte zu erzählen, die langlebig sei. Mit dem Angebundensein an Hagenbecks Tierpark sei das recht einfach. „Man darf nur nicht übertreiben und in eine Disney-Welt abrutschen. Dann fahren die Leute lieber in den Europa-Park nach Rust“, so Engels, der sich einst entschloss, bei Hilton in die Lehre zu gehen, weil er die Hotelsessel dort so bequem fand. „Solche Details können entscheidend sein.“
„Wir sollten uns nicht in Ideen verrennen, die wir als Hoteliers toll finden, sondern auf die veränderten Bedürfnisse der Gäste reagieren“, betonte Marco Nussbaum. „Besonders jüngere Menschen sehen im Hotelzimmer mittlerweile nur noch ein digital hub, also eine digitale Schnittstelle. Das beobachte ich in unseren Häusern: Nach dem Frühstück sind sie Rezeptionsfriedhöfe – davon wollen wir weg“, so der prizeotel-Pionier.
Um die Dienstleistungen individualisieren zu können, wolle man auf die Nutzerdaten zurückgreifen. „Vom Gast zum Angebot“, resümierte Mario Pick diesen Trend in der Hotellerie.
Problem Personalmangel
Neben einem zunehmenden Personalmangel im Hotelgewerbe machen sich die Hoteltreibenden auch Gedanken über das Wachstum ihrer Unternehmen. Stichwort Management-Verträge: Bei 25 hours ist 2016 die große Hotelkette Accor eingestiegen, bei prizeotel ist neuerdings Rezidor mit an Bord. Wie lassen sich Individualität und eine authentische Geschichte dann noch umsetzen?
Wie viel Einfluss hat man am Ende als Gründer noch? Christoph Hoffmann hat die Lösung: „Damit wir auf eine Hotel-Neugründung gut vorbereitet sind, haben wir eine Anthropologin, eine Design-Psychologin, eine Produktentwicklerin und eine Geschichtenerzählerin eingestellt und ein extra hour lab gegründet. Diese Einheit erarbeitet die Geschichte einer Stadt und baut darauf die individuelle Hotelgeschichte auf.“ Gerade hat man sich auf diese Weise dem geplanten Standort Florenz genähert.
Am Ende des Gedankenaustauschs waren sich alle einig: Ob Hamburg, Florenz oder New York – das „cosy cocooning“, wie Andreas Löcher es nannte, also das Hotel-Wohnzimmer als Rückzugsort in einer digitalisierten, schnelllebigen, anonymer werdenden Welt wird noch eine Weile bleiben.