Hamburg. Inditex ist der weltgrößte Textilkonzern – und sehr verschwiegen. Ein Besuch in der Deutschlandzentrale in Hamburg.

Das Schild ist unscheinbar. Eingeklemmt zwischen Mode­geschäft und Brezelbäcker firmiert das Unternehmen Inditex am Eingang des Rappolt-Hauses an der Mönckebergstraße. Nichts deutet daraufhin, dass im fünften Stock der größte Bekleidungskonzern der Welt seine Deutschland-Zentrale hat. Inditex? Das sagt den wenigsten etwas, ganz anders als Markennamen wie Zara, Massimo Dutti, Bershka oder Pull&Bear.

Während schräg gegenüber im Schaufenster des Zara-Flagship-Shores edel inszenierte Herbstmode in die schillernde Fashionwelt entführt, sind die Räume des Unternehmenssitzes betont schlicht. „Humilde“ lautet das spanische Wort für Bescheidenheit. „Das“, sagt Deutschland-Chef Matthias Alipaß, „drückt unsere Philosophie gut aus.“

Nicht viel Aufhebens machen, und schon gar nicht um sich selbst. Die Textilhändler mit Sitz in der nordspanischen Industriestadt Arteixo haben die Verschwiegenheit so perfektioniert, dass immer auch ein Hauch des Geheimnisvollen den rasanten Erfolg umgibt. Im vergangenen Jahr machte Inditex mit 3,16 Milliarden Euro erstmals mehr Gewinn als der schwedische Konkurrent Hennes & Mauritz (2,0 Milliarden Euro). Deutschland zählt mit 132 Standorten und mehr als 5300 Mitarbeitern zu den wichtigen Märkten in Europa. Ein Besuch in der Zentrale, für andere Unternehmen Routine, ist bei Inditex die Ausnahme. „Wir wollen mit unseren Marken überzeugen“, sagt Geschäftsführer Alipaß.

Dass die Zentrale an der Elbe ist, hat mit Michael Otto zu tun

Der 46-Jährige, ein Vielredner mit dem rheinischen Zungenschlag seiner Düsseldorfer Heimat, ist Chef von 90 Mitarbeitern, die für die Geschäfte der fünf deutschen Inditex-Töchter zuständig sind. Das Ungewöhnlichste sind die Namen spanischer Städte an den Türen, ansonsten viel Weiß, Großraumbüros für die Mitarbeiter für Vertrieb, Con­trolling und Personal. Die meisten Menschen hier sind jung, man duzt sich – und den Geschäftsführer, der wie alle anderen seinen Schreibtisch im Großraum hat. Der Jurist mit Spanien-Faible, der 2001 eher zufällig zu dem Konzern kam und 2011die deutschen Töchter übernahm, trägt blaues Jackett mit Einstecktuch von Massimo Dutti. Das weiße Hemd mit modischem Paspel ist von Zara. „Ich trage grundsätzlich Kleidung unserer Marken“, sagt Alipaß.

Zara ist wohl die bekannteste Marke des spanischen Modeimperiums Inditex
Zara ist wohl die bekannteste Marke des spanischen Modeimperiums Inditex © Andreas Laible | Andreas Laible

Dass die Deutschland-Zentrale von Inditex in Hamburg ist, hat etwas mit der Geschichte des Unternehmens zu tun. Und mit zwei Männern: Amancio Ortega und Michael Otto. Der spanischen Gründer und Mehrheitsaktionär des Mode-Imperiums und der Chef der Otto Group hatten 1999 ein Joint Venture für den Start der Inditex-Tochter Zara in den deutschen Markt gegründet. Die Partnerschaft endete 2010, als Otto die letzten Anteile an dem Gemeinschaftsunternehmen verkaufte. Über die Gründe wurde spekuliert, unter anderem soll die Umwandlung der deutschen Tochter von einer GmbH in eine niederländische B.V. & Co. KG mit weniger Arbeitnehmerrechten eine Rolle gespielt wollen. Einen offiziellen Kommentar gab es – wie so oft – nicht.

Inditex-Gründer auf Platz drei der Superreichen

Das gilt auch für Gründer Ortega. Wenn sein Name in den Medien auftaucht, dann geht es fast immer um die unglaubliche Erfolgsgeschichte des heute 81-Jährigen, der Inditex praktisch aus dem Nichts binnen weniger Jahrzehnte zu einem Weltkonzern gemacht hat. Keine Interviews, kaum Fotos. Der Sohn eines Bahnangestellten, der nie eine Universität besucht hat, begann seine Karriere mit 14 Jahren als Bote in einem Hemdengeschäft in der spanischen Hafenstadt La Coruña. 1975 eröffnete er mit seiner ersten Ehefrau einen Kleiderladen mit dem Namen Zara. Es folgten weitere Filialen, ab 1988 auch im Ausland. Heute vereinen sich acht Marken unter dem Dach der 1985 gegründeten Holding Inditex, ein Kürzel aus der spanischen­ Bezeichnung Industria de Diseño Textil (Textildesign Industrie). Weltweit hat das Unternehmen, dass seit 2000 börsennotiert ist, mehr als 7400 Shops in 93 Ländern und 162.000 Mitarbeiter.

Ortega, der den Vorstandsvorsitz inzwischen an Pablo Isla abgegeben hat und jetzt im Aufsichtsrat sitzt, ist nach wie vor die graue Eminenz von Inditex. Unprätentiös, ruhig, visionär. Eine Persönlichkeit – so wird er gern beschrieben. Diverse Geschichten ranken sich um den scheuen Modezar, der mit einem geschätzten Vermögen von 82,9 Milliarden US-Dollar Ende Juli auf Platz drei auf der Forbes-Liste der Superreichen kletterte. Der reichste Mann Europas ist er schon länger.

Kritik an Inditex kommt von den Grünen

Berichtet wird auch, dass er mit seiner zweiten Frau lange in einer Etagenwohnung lebte, weder Anzüge noch Krawatten trägt und seine Manager dazu anhält, bei Dienstreisen in der Touristenklasse zu fliegen sowie in günstigen Hotels zu nächtigen. „Sein Arbeitsplatz war lange in der Produktionsabteilung für Damenoberbekleidung“, erzählt Matthias Alipaß, der mit einer Spanierin verheiratet ist und die Landessprache spricht. Auch jetzt komme Ortega, der Pferde, Autos und Fußball liebt und vor einigen Jahren 20 Millionen an die Caritas spendete, noch regelmäßig in die Firma in Arteixo und esse wie alle anderen in der Kantine.

Matthias Alipaß, Deutschland-Chef von Inditex
Matthias Alipaß, Deutschland-Chef von Inditex © HA / Mark Sandten | HA

Regelmäßig verkündet der Mode­riese steigende Geschäftszahlen – und trotzt damit dem Trend in einer schwächelnden Branche. Im ersten Quartal 2017 legte das Ergebnis des Branchenprimus unter dem Strich um 18 Prozent auf 654 Millionen Euro zu. Die Umsätze kletterten um 14 Prozent auf 5,6 Milliarden Euro. So hat Inditex in den ersten drei Monaten des im Februar startenden Geschäftsjahres eine Reihe neuer Vorzeigeläden eröffnet, etwa in Madrid und Moskau. Zugleich bauten die Spanier den Internet-Handel in Asien aus. Nach Singapur, Malaysia, Thailand und Vietnam soll der Onlineshop der Marke Zara in der zweiten Jahreshälfte auch in Indien an den Start gehen.

„Wir bewegen uns im Konzernumsatz“, sagt Geschäftsführer Alipaß über das Deutschland-Geschäft. Zahlen für das vergangene Geschäftsjahr nennt er nicht. Der Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2015/16 weist etwa für Zara Deutschland Umsätze in Höhe von 555 Millionen Euro aus, unter dem Strich machte das Unternehmen allerdings 10,6 Millionen Euro Verlust. Das brachte dem Unternehmen Ende 2016 Kritik von den Grünen im EU-Parlament ein. Tenor: Die Filialen würden nur sehr geringe Gewinne oder sogar Verluste machen und daher kaum Steuern zahlen, während die Unternehmensteile, die an die Filialen liefern, ihre Geschäftstätigkeit auf Niedrigsteuerländer wie Irland oder die Niederlande konzentrieren.

300 Designer arbeiten nur für Zara

Hinter dem Erfolg des Unternehmens steckt vor allem eins: Geschwindigkeit. Auf dem Markt der schnellen Mode gehört Zara zu den besonders fixen­. „Wir machen, was und so viel wie die Kunden nachfragen“, sagt der Deutschland-Chef. 300 Designer arbeiten am Stammsitz der Gruppe allein für die Marke Zara.

Inditex hat elf eigene Produktionsbetriebe. Während andere Modeketten mit Werken in Asien weite Lieferwege haben, werden 60 Prozent der Kleidungsstücke für die Inditex-Marken in Spanien und in Nachbarländern wie Portugal und Marokko oder in der Türkei hergestellt. So kann das Unternehmen schnell auf das Feedback aus den Filialen reagieren. Auf klassische Werbung verzichtet das Unternehmen. Zweimal in der Woche werden alle Läden­ mit neuer Ware beliefert, hierzulande montags und donnerstags.

Die schnellen Mode-Updates befeuern auch den Online-Handel, den der Konzern als integralen Geschäftsteil sieht. Natürlich, ohne Zahlen zu nennen. Analysten schätzen den Anteil des Online-Handels auf sieben Prozent des Jahresumsatzes (1,7 Milliarden Euro). Der Service soll weiter ausgebaut werden. Dabei schließt Deutschland-Chef Alipaß aus, dass Produkte der wichtigsten Marke Zara über andere Handelsplattformen vertrieben werden. „Zara gibt es nur bei Zara.“ Anders ist es etwa bei Oysho, die Marke wird seit einiger Zeit auch bei Zalando verkauft. Die Wäschelinie ist wie Stradivarius (junge Mode) und Uterqüe (Accessoires) nicht stationär in Deutschland vertreten.

Hamburg für Inditex ein wichtiger Standort

Hamburg ist für Inditex mit neun Shops in der Innenstadt, im Elbe- und im Alstertal-Einkaufszentrum ein wichtiger Standort. Der Konzern hat angekündigt, mehr auf Flagship-Shores in Premiumlagen und den Online-Handel zu setzen. Deutschland-Chef Alipaß, der mit dem Motorroller aus dem Hamburger Westen ins Büro fährt, ist oft in den Filialen unterwegs, hört Kunden und Mitarbeitern zu. „Wir haben viele langjährige Beschäftigte, die im Unternehmen aufgestiegen sind“, sagt er. Gezahlt werde über Tarif, unter den 80 Prozent weiblichen Mitarbeitern seien viele Mütter. Das ist dem Vater von vier Kindern wichtig zu erwähnen, wohl auch weil es jüngst einen kritischen Bericht über die Arbeitsbedingungen gab.

Welche weiteren Pläne gibt es für Deutschland? Für Hamburg, etwa in der geplanten Shopping-Mall in der HafenCity? Da wird der so eloquente Geschäftsführer doch wieder sehr verschlossen. Man hört heraus: Es gab wohl Gespräche. Das Unternehmen, heißt es, sei ein harter Verhandlungspartner. Das passt auch zur Philosophie.