Hamburg. Flohmärkte üben auch in Zeiten von Ebay eine Faszination aus. Die Gründe sind verschieden. Was bei der Schäppchenjagd zu beachten ist.
Das Gesäß der Dame war etwas zu ausladend. Als sich die Frau, um die 50 Jahre alt, umdreht, reißt sie den ganzen Stand auf dem Flohmarkt um. CDs, Handyhüllen und Bücher landen auf dem Boden. Einer Schuld scheint sie sich nicht bewusst zu sein, denn sie geht einfach weiter. Ihrem Ehemann ist das Verhalten seiner ungeschickten Frau wohl peinlich. Er hilft der Verkäuferin hier am Dockenhudener Flohmarkt in Blankenese, alles wieder auf den Tapeziertisch zu legen. Die Sonne scheint, und genauso heiter wie das Wetter ist die Stimmung auf dem Nachbarschaftsmarkt – auch bei der Frau mit dem umgerissenen Stand.
So ein Missgeschick wäre beim Verkauf über das Internetauktionshaus Ebay nicht passiert. Und das Wetter ist zu Hause auf dem Sofa vor dem Computer auch egal. In Blankenese glüht die Sonne am blauen Himmel, es ist heiß. Sonnenbrandgefahr. Bei Regen müsste die Ware mit einer Plane zugedeckt werden, es wäre kalt und ungemütlich. Warum stellen sich professionelle Händler und Gelegenheitsverkäufer in Zeiten von Internetmarktplätzen überhaupt noch frühmorgens an einen Tapeziertisch?
Vielleicht weil Flohmärkte Begegnung, Austausch und Kommunikation bedeuten, und das geht besser direkt als über SMS, E-Mail und WhatsApp. „Der persönliche Kontakt zwischen den Menschen ist durch das Internet eben nicht zu ersetzen. Beim Internetverkauf muss ich blöde Nachfragen der Käufer per E-Mail beantworten, das nervt“, sagt Flohmarktveranstalter Roland Resag von „marktkultur hamburg“. Auf dem Trödelmarkt stehe man sich gegenüber, könne nach Sympathie den Preis gestalten. Feilschen gehöre dazu. „Handeln muss sein, und es macht auch Spaß.“
Flohmärkte nicht für alle reines Freizeitvergnügen
Resag ist einer, der Flohmärkte liebt. Nicht nur, weil er damit sein Geld verdient und unter anderem seit 18 Jahren den Flohmarkt „Flohschanze“ rund um das Gelände der alten Rinderschlachthalle am Neuen Kamp organisiert. Er ist selbst ein Sammler und stöbert – nach alten Sturmfeuerzeugen zum Beispiel.
An diesem Morgen war er erfolgreich. Er hat gehandelt, das gehört ja dazu, und hat für vier Sturmfeuerzeuge aus den 1930er-Jahren 35 Euro bezahlt. Ein gutes Geschäft, findet er. „Teures billig zu bekommen“, das sei der Charakter von Trödelmärkten.
Und darum geht es den meisten – egal, ob reich oder arm. Allerdings, das hat Roland Resag beobachtet, ist der Einkauf auf Flohmärkten nicht für alle reines Freizeitvergnügen. „Viele Hartz-IV-Empfänger sind darauf angewiesen und können sich Neuwaren gar nicht leisten.“ Die Goldgräberzeit der 70er- und 80er-Jahre sei ebenfalls vorüber. Mit dem Ende der Sperrmüllsammlung am Straßenrand ist auch die Quelle guter Ware für die Händler versiegt. So leicht sind sie nie wieder an die Schätze für den Weiterverkauf gekommen. Was sich noch geändert hat? „Früher wurden mehr Gebrauchsgegenstände wie Toaster, Mixer oder Kaffeemaschinen verkauft, heute sind die so billig, dass sich das nicht lohnt“, weiß Roland Resag.
Es gibt nichts, das auf Flohmärkten nicht verkauft wird
Neuwaren sind auf seinen Märkten nicht erwünscht. Auf anderen großen Märkten der Mitbewerber werde das nicht so streng gesehen, sagt Resag. Aber zum Charakter von Trödelmärkten gehöre eben auch, dass die Dinge gebraucht sind und eine Vergangenheit haben. So wie der Plunder von Jan Voigt, der jeden Sonnabend auf dem Flohschanzen-Markt steht. Heute hat er Stofftaschentücher mit Märchenmotiven im Angebot, Dessertschalen, Handtücher und Feinstrumpfhosen.
Auch eine kaputte Mehrfachsteckdose ist dabei. Es gebe nichts, was nicht gekauft wird, sagt er. „Die Steckdose werde ich auch noch los.“ Jede Woche fährt er zu wohlhabenden Bewohnern der Elbvororte, holt Dinge ab, die diese nicht mehr wollen, und lädt sie in den weißen Transporter, der ebenfalls eine Spende der „Reichen“ ist. Sie schenken ihm, was sie nicht mehr brauchen – und er verkauft oder verschenkt es.
Stofftaschentücher und ein Plaid holt sich die Künstlerin Klara Rot ab. Aus den Taschentüchern macht die Textildesignerin Kunst, das Plaid ist für ihre Hündin Tilda zum Drauflegen. Weil Klara Rot Künstlerin ist, zahlt sie nichts. Denn: „Künstler machen die Welt schön“, sagt Jan Voigt, der vom Verkauf nicht leben muss und es sich leisten kann, Dinge zu verschenken.
Fast jeder Zweite einmal pro Jahr auf dem Flohmarkt
Als ein Mitglied der Band Revolverheld von ihm etwas geschenkt bekam – Jan glaubt, es war der Drummer –, konnte der Musiker das gar nicht glauben. „Komm zurück und zahl etwas, wenn du reich und berühmt bist“, gab Jan Voigt ihm mit auf den Weg.
Rund 250 gewerbliche Flohmärkte genehmigen die sieben Bezirke jedes Jahr im Durchschnitt. Es gibt die großen wie den traditionellen Lehmweg-Flohmarkt, den am Turmweg, den Kulturflohmarkt im Museum der Arbeit und den Flohschanzenmarkt mit 60 bis 120 Ständen. Es gibt aber auch die vielen kleinen privaten Verkäufe. Ein Trend sind Nachbarschaftsflohmärkte. Hinzu kommen Flohmärkte von Schulen und Kitas. Diese privaten Märkte müssen nicht genehmigt werden , weil sie nicht gewerblich sind.
Die Zahl der Flohmärkte, das geht aus den Angaben der Bezirke hervor, sind in Hamburg über die Jahre hinweg meist stabil geblieben. Der Straßenverkauf bleibt also beliebt.
44 Prozent der Bundesbürger gehen wenigstens einmal pro Jahr auf einen Flohmarkt – acht Prozent sogar mindestens einmal im Monat. Flohmärkte haben eine große gesellschaftliche Bedeutung, sagt Professor Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen. Überdurchschnittlich viele Flohmarktgänger sind höher gebildet, westdeutsch, weiblich und zwischen 20 und 40 Jahre alt. Der Wunsch, häufiger einen Flohmarkt zu besuchen, ist recht groß: Mehr als jeder Vierte würde gerne häufiger seine Freizeit dort verbringen.
Pro privatem Verkaufsstand: 80 bis 100 Produkte
Warum das so ist, weiß der Trendforscher auch: „Der Flohmarkt bietet die Chance, sich in einem Schwung von vielen Produkten zu trennen. Im Durchschnitt werden pro privatem Verkaufsstand 80 bis 100 Produkte angeboten.“ Diese Dinge abzufotografieren und online zum Kauf anzubieten, sei mit einem erheblichen Aufwand verbunden. „Zudem zählt auch der Spaß und Erfolg. Spaß am Handeln, am Austausch mit Käufern und beim Anpreisen der eigenen Lieblingshose oder eines oft gelesenen Kinderbuchs.“ Der Reiz liege auch darin, dass das Geld sofort in der Kasse liegt. Das könne sehr erfüllend sein und Glücksgefühle auslösen.
Das erlebt Frank an diesem Sonntag in Blankenese. „Es macht Spaß, Sachen, die man nicht mehr braucht, zu Geld zu machen“, sagt er. Er steht zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder auf einem Flohmarkt. Historische Bauelemente aus dem 19. Jahrhundert hat der 43-Jährige auf dem Dockenhudener Flohmarkt im Angebot, auch einen Reithelm. Der Tochter zuliebe hatte er mit dem Reiten angefangen, ist aber nicht lange dabeigeblieben. 120 Euro habe der Helm neu gekostet. Heute geht er für 45 Euro an Lina aus Eimsbüttel. Die Klassiker, sagt Frank, seien Schmuck und Elektrogeräte. Wer ein Schnäppchen machen möchte, muss früh aufstehen. „Die sind gleich morgens um 8 Uhr weg“, sagt Frank.
Flohmärkte sind ein Ereignis, das Spaß machen soll
Im Hinterhof veranstalten hier die Nachbarn seit mehr als zehn Jahren diesen Verkauf. Dass die Würstchen bereits um 13.30 Uhr verkauft sind und es keinen Nachschub gibt, stört Christoph Ramm nicht. Er hat diesen kleinen Markt mit 50 Ständen organisiert. „Dann habe ich jetzt eben frei“, sagt er und kommt hinter dem großen Grill hervor. Ums große Geldmachen geht es ihm gar nicht, sondern um den Spaß. Er hat jetzt auch die Gelegenheit, sich umzuschauen. Er kauft gern auf Flohmärkten. Mal kommt er mit einer Vase nach Hause, mal mit einem Schrank. „Manche Dinge grinsen mich eben einfach an“, sagt er.
Die Geschichte der Trödelkultur
Es sind Dinge, die die Menschen manchmal ihr Leben lang von einem Umzug zum anderen mit sich herumschleppen, die dann auf einem Tapeziertisch landen. Taschen, Tassen, Blechspielzeug, ein Römertopf, Bücher – so wie bei Oliver Kunz (56): „Man sammelt doch sehr viel an über all die Jahre.“ Zum zehnten Mal ist er schon dabei. Und genau wie Organisator Christoph Ramm geht es Kunz ums Nachbarschaftliche, ums Zusammenkommen. Das Glas Bier für ihn, der Prosecco für die Damen, gehören dazu. Flohmärkte sind ein Ereignis, das Spaß machen soll.
Auf dem Flohmarkt sind alle gleich
Nebenan versucht Steve (20) seine Sachen loszuwerden. Er ist zu Hause ausgezogen, muss zum ersten Mal Miete zahlen. Comics, Pippi-Langstrumpf-CDs und Astrid-Lindgren-Bücher gehören zu seinem Sortiment. Im vorigen Jahr nahm er 300 Euro ein. „Kindersachen, Bücher und Lego gehen immer.“
Auf dem Flohmarkt sind alle gleich: „Der Arzt kauft etwas bei der nicht erwerbstätigen Hausfrau – und umgekehrt. Aber nicht nur beim Einkommen zeigt sich das verbindende Element, auch bei der Familiensituation, dem Alter oder der Herkunft. Was zählt, ist das gemeinsame Interesse am Schlendern und Stöbern, Schnäppchenschlagen und Spaßhaben“, so Reinhardt. Flohmärkte verbinden mehr, als dass sie trennen.
Starautorin Ildikó von Kürthy verkauft Kleidung ihrer Söhne
Auch auf der Flohschanze, sagt Resag, kommen Akademiker mit Arbeitern zusammen. „Barrieren fallen weg, das ist ähnlich wie im Fußballstadion“, so Resag, der nicht nur Flohmarktveranstalter ist, sondern als Diplom-Soziologe noch einen anderen Blick hat. Der Flohschanzenmarkt ist der typische Trödelmarkt. Nichts Abgehobenes, ein bisschen Ramsch und Firlefanz hier und da. Bei anderen gibt es originalverpackte Neuwaren, Handyzubehör, wieder woanders gibt es Antiquitäten, oder es gehen Designer-Babybodys von Dior für 10 Euro über den Tapeziertisch oder Jäckchen von Armani in Babygröße.
An der Katholischen Schule an der Hochallee in Harvestehude ist das so. Teure ausrangierte Markenkleidung für die lieben Kleinen gibt es hier zu Schnäppchenpreisen. Die karierte Ralph-Lauren-Bluse in Größe 158? 7 Euro. Es ist ein Bummel durch die feine Hamburger Gesellschaft. „Wenn man sich einmal umschaut, welche Menschen auf dem Markt verkehren, weiß man auch sofort, ob man sich dort wohlfühlt“, sagt Marktkenner Resag. Die Atmosphäre jedes Marktes ist individuell.
Auf dem Schulhof verkaufen elegante Damen Bücher mit Titeln wie „Jedes Kind kann Regeln lernen“ und auf Englisch „The weather experiences“. Zweisprachigkeit wird hier den Kindern früh beigebracht. Auf dem Pausenhof, Austragungsort für den Flohmarkt, wird aber auch viel Spanisch gesprochen. Das liegt an den vielen Spanisch sprechenden Kindermädchen, die hier die Kinderwagen an den Ständen entlangschieben. Und hinten links verkauft Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy Jungskleidung, die von ihren Söhnen stammen dürfte.
9 Flohmarkt-Tipps von Roland Resag:
- Als Händler immer genügend Kleingeld dabeihaben.
- Kängurutaschen benutzen, weil auf Flohmärkten viel geklaut wird. Wertsachen haben dort nichts zu suchen – und nie die Handtasche unter dem Tapziertisch legen.
- Klappstuhl oder andere Sitzgelegenheit als Verkäufer mitnehmen. Sechs Stunden lang stehen ist anstrengend.
- Sonnenschutz bei Sonnenschein nicht vergessen!
- Pflaster dabeihaben, weil man sich beim Auspacken der Kartons leicht daran schneiden kann.
- Gute Laune ist verkaufsfördernd.
- Die Dinge, die morgens gut nachgefragt werden, nicht zu günstig verkaufen: Diese Dinge werden auch im Laufe des Tages noch nachgefragt werden.
- Wollen Fremde beim Auspacken morgens behilflich sein, ist Skepsis angebracht: Viele stehlen die Waren.
- Mit Freunden gemeinsam zu verkaufen macht mehr Spaß.
Wo kann ich einen Stand buchen?
Die großen Organisatoren sind im Internet zu finden, zum Beispiel:
Flohschanzenmarkt, Kulturflohmarkt im Museum der Arbeit und andere unter www.marktkultur-hamburg.de oder www.marktundkultur.de.
Der Flohmarkt auf dem Parkplatz von Ikea und andere sind bei www.hochberg-flohmarkt.de zu buchen.
Lehmweg: www.mumverlag.de
Flohmarkttermine finden Sie im Veranstaltungskalender vom Hamburger Abendblatt.