Hamburg. In dem Stadtteil entstehen zwischen vorhandenen Häusern 188 Wohnungen. Betroffene fürchten um ihre Lebensqualität.
Das Leben in der Stadt ist attraktiv wie nie. Die Einwohnerzahlen steigen. Nur wächst die zur Verfügung stehende Fläche im attraktiven innerstädtischen Bereich nicht mit. Hamburg muss Wohnungen bauen. Viele und schnell. Doch wie? Und vor allem: wo? Um dem steigenden Andrang standhalten zu können, gehen neu gebaute Häuser zunehmend in die Höhe, Brachen oder Grünflächen werden bebaut.
Doch gegen die Nachverdichtung, die mit der Umsetzung des vom Senat beschlossenen Wohnungsbauprogramms einhergeht, regt sich Widerstand. Der Mieterverein zu Hamburg registriert seit fünf Jahren eine Steigerung der Beschwerden seiner Mitglieder gegen Neubauten in ihrem Umfeld um mehr als das Dreifache: Statt 800 bis 900 Beschwerden im Jahr ist diese Zahl auf mehr als 3000 angewachsen. Die Betroffenen fürchten um ihre Lebensqualität, es wird ihnen zu eng im Viertel.
Massive Nachverdichtung
„Im ,grünen‘ Lokstedt führt die massive Nachverdichtung zu unerträglicher Enge und Verschattung, wodurch es langsam unbewohnbar gemacht wird“, sagt Uwe Küstner, einer der vielen Anwohner rund um den Rimbertweg, die sich mit einer Bürgerinitiative gegen die Bebauungspläne in ihrer Nachbarschaft wehren. „Grundsätzlich haben wir nichts gegen die Schaffung von Wohnraum“, sagt die Sprecherin der Initiative, Deborah Schmalbach.
Leitartikel: Nachverdichtung nicht um jeden Preis
„Aber nicht in der Masse in einem einzelnen Straßenzug, wie es hier geplant ist.“ Am Rimbertweg wollen die Baugenossenschaften Lehrer und Buchdrucker zwischen vorhandenen Bestandsgebäuden auf einer Grünfläche insgesamt 88 Wohnungen bauen. Aufgeteilt auf vier Gebäude mit fünf Geschossen. Direkt gegenüber plant die Baugenossenschaft Kaifu-Nordland 100 Wohnungen – ebenfalls auf den dazwischen liegenden Grünflächen. „Unser gesamtes Quartier wird vollgebaut“, klagt Schmalbach.
Anwohner klagen
Der CDU-Politiker Carsten Ovens teilt ihre Sorge: „In Lokstedt sehen wir beispielhaft die fatalen Auswirkungen der SPD-Wohnungsbaupolitik. Hier sollen auf engstem Raum Bauprojekte umgesetzt werden, ohne Rücksicht auf betroffene Anwohner und gewachsene Strukturen.“ Der Wahlkreisabgeordnete für Lokstedt, Niendorf und Schnelsen wirft dem Senat vor, die Sorgen und Probleme in den Stadtteilen zu ignorieren: „Beim Wohnungsbau wird nur auf nackte Zahlen und nicht aufs Gesamtbild geachtet.“ Es würde „leidlich zubetoniert, statt sinnvoll zu erweitern“. Im Ergebnis würden Parkplätze, grüne Oasen und Infrastruktur wie Schulen und Einkaufsmöglichkeiten fehlen.
Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen widerspricht. Grundsätzlich würde bei allen Projekten dafür gesorgt werden, dass Infrastruktur wie Verkehrsanbindung, Nahversorgung und Parkplätze mitgeplant werden. „Oft bedeutet neuer Wohnraum ja auch, dass sich nun Nahversorger, also Supermärkte, Bäcker oder Friseure, in der Umgebung erst lohnen“, sagt Sprecher Magnus Kutz. Doch das überzeugt die Anwohner nicht: „Die Parkplatzsituation ist jetzt schon katastrophal“, sagt Boris Schröder, der in direkter Nachbarschaft zum geplanten Neubau wohnt und hauptberuflich Feuerwehrmann ist.
„Unsere Einsatzfahrzeuge passen heute schon kaum durch die mit Autos vollgestellten kleinen Straßen.“ Auch die Müllabfuhr habe bereits regelmäßig Probleme durchzukommen. Außerdem seien unter anderem Spielplätze und Kitas Mangelware im Quartier. Eine Schule in der Nähe müsse für das nächste Schuljahr Container aufstellen, weil Räume fehlten. „Noch mehr Leute im Bezirk, das ist doch Wahnsinn“, ärgert sich Schröder.
Forderung von Mieterverein
Der Mieterverein zu Hamburg hat grundsätzlich nichts gegen eine dichtere Bebauung. Doch der Vorstandsvorsitzende Siegmund Chychla warnt auch: „Nicht jede kommerzielle Nachverdichtung ist anstandslos zu akzeptieren.“ Die Viertel müssten lebenswert bleiben. Außerdem würden Baulücken im Stadtgebiet sowieso nicht ausreichen für einen jährlichen Anstieg der Bevölkerung um mehr als 15.000 Bürger. „Wir sagen schon lange, dass auch außerhalb gebaut werden muss“, so Chychla. Doch damit hätten Grüne und Umweltschützer ein Problem, die vor Zersiedelung sowie erhöhtem Pendelverkehr warnen und mahnen, dass kostbare Naturflächen dauerhaft zerstört würden.
So sieht es auch die Umweltorganisation BUND Hamburg: „Wir sehen mit Sorge, dass die Grünflächen um Hamburg verbaut werden“, sagt Geschäftsführer Manfred Braasch. Was also tun? Doch mehr in der Stadt bauen? Der Nabu Hamburg ist dagegen. Der Verein sammelt ab November Unterschriften für die Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“. Laut ihr würde der Senat jedes Jahr mehr als 100 Hektar Fläche, etwa 200 Fußballfelder, bebauen. Das soll aufhören. Bleibt die Frage: Wohin mit all den Menschen? Darauf scheint keiner eine Antwort zu haben. Zumindest keine, mit der alle leben können.