Hamburg. Nachfrage von Yachteignern sinkt. Hamburger Betriebe des traditionsreichen Handwerks leben zumeist von anderen Aufträgen.
Maß genommen hat der Segelmacher Stefan Menke auf Malta. Montieren wird er das Ergebnis seiner Arbeit wahrscheinlich in einem Hafen in der Karibik. Nur um ein Segel handelt es sich dabei nicht. Vielmehr näht Menke in der Hamburger Segelmacherei Pump aus verschiedenen Stoffelementen eine Strandmuschel zusammen, eine Art Sonnendeck für das Kreuzfahrtschiff „Mein Schiff 2“. „Wir arbeiten mit allen namhaften Kreuzfahrtreedereien wie TUI, Hapag-Lloyd oder Cunard zusammen“, sagt Firmenchef Franco Pump. Auch Aufträge von Flugzeugbauern, Landschaftsbauern oder aus der Werbung übernimmt der mehr als 50 Jahre alte Handwerksbetrieb. „Unsere Spezialstoffe, die wir verarbeiten, eignen sich für viele Zwecke“, sagt Pump. „Nur Segel fertigen wir kaum noch.“
Das ist nicht ungewöhnlich für Hamburgs Segelmacher, ein traditionsreiches, aber inzwischen seltenes Gewerk. Auch der Obermeister der Hamburger Segelmacher- und Seiler-Innung, Gerhard Jagow, hat mit der Tradition im Firmennamen gebrochen. „Weil die Nachfrage nach Markisen stärker war als nach Segeln haben wir uns in ,Markisen-Markt‘ umbenannt“, sagt Jagow. Die Gemeinde der Hobbysegler altert. Auch das lässt die Nachfrage sinken. „Die Segelboote sind mehr im Hafen als auf Fahrt“, sagt der selbstständige Segelmachermeister Frank Schönfeldt. „Aber Segel verschleißen vor allem bei Manövern, beim Wenden und Halsen.“
Viele Eigner bestellen im Internet
Wenn doch Ersatz benötigt wird, bestellen viele Eigner neue Segel inzwischen im Internet. Gefertigt werden sie in Asien oder Tunesien. Das französische Unternehmen Sailonet, das auch in Deutschland aktiv ist, sieht sich als Marktführer in diesem Segment. Während man sich in La Rochelle an der Atlantikküste um die Auftragsannahme kümmert, werden die Segel von 150 Mitarbeitern in Nordafrika gefertigt.
Wegen der dort niedrigeren Produktionskosten können die Segel zu günstigen Preisen verkauft werden. Wer da in Deutschland mithalten will, muss sich spezialisieren und viel investieren. „Denn auch die Art der Herstellung hat sich durch die Computertechnik verändert“, sagt Segelmacher Jan Bremer aus Ottensen. „So wie wir das einst gemacht haben, läuft es heute nicht mehr.“ Da komme man nicht mehr auf seine Kosten. So ersetzt heute oft ein Plotter, eine Art übergroßer Drucker, den traditionellen Zuschnitt per Hand und mit Schablone. Farbe bringt der Plotter gleich mit auf den Stoff.
„Das Geschäft mit Segeln wird immer schwieriger, aber die Firmen sind ohnehin vielseitiger aufgestellt, sodass sie immer neue Arbeitsgebiete für sich erschlossen haben“, sagt Obermeister Jagow. In der Hamburger Innung gibt es neun Segelmacher und zwei Seiler. Außerhalb der Innung kommen noch fünf weitere Segelmacher wie Pump hinzu. „Die Zahl der Unternehmen ist seit Jahren konstant“, sagt Jagow.
Der Wandel begleitet die Branche seit vielen Jahren. „Wir müssen uns immer wieder anpassen“, sagt Pump. „Früher haben wir auch viele Vorzelte für Campingwagen angefertigt. Doch jetzt bleiben die Wagen oft gleich das ganze Jahr über stehen, und die Vorzelte wurden durch feste Überdachungen ersetzt.“ So hat sich Pump, der den Betrieb 1996 von seinem Vater übernommen hat, neue Gebiete erschlossen. Das hat sich auch personell ausgewirkt. Damals hatte er drei Mitarbeiter, heute sind es zwölf.
Sonnensegel liegen im Trend
Viel zu tun gibt es auf den Kreuzfahrtschiffen. Da müssen jede Menge Sonnensegel angebracht oder erneuert werden. Auf den Yachten benötigen Sofalandschaften, Pools oder Jacuzzis auf Deck schützende Abdeckungen gegen schlechtes Wetter und UV-Strahlung. „Alles sind Maßanfertigungen, die hohen Belastungen durch Wind und Wetter standhalten müssen“, sagt Pump. „Wir können schon an exklusiven Orten arbeiten.“ Das gilt auch für Flugzeuge von Leuten, die sich einen eigenen Jet leisten können. Aber bei solchen Aufträgen ist Diskretion ganz wichtig. „Wir arbeiten mit Lufthansa Technik zusammen“, sagt Firmenchef Pump nur.
Gerade ist in der Werkstatt ein großes Sonnensegel für ein Privatgrundstück fertig geworden. „Sonnensegel liegen im Trend und ersetzen die klassischen Markisen und Sonnenschirme, weil sie im Garten freier platziert werden können“, sagt Pump. Auch auf Dachterrassen werden die Sonnensegel inzwischen eingesetzt. Großflächiger Sonnenschutz ist auch für die Freiluftplätze in der Gastronomie gefragt. Ob Privathaushalte oder Gastronomen: Stets geht es um individuelle Anfertigungen, die auch von den Örtlichkeiten abhängig sind. „Da können wir unsere Erfahrungen ausspielen“, sagt Pump. Schiffssegel kommen nur noch zur Reparatur in seine Werkstatt.
Rechnergestütztes Konstruieren
Die vielseitig verwendbaren Spezialstoffe der Segelmacher wie Persenning, ein UV-beständiges, wasserdichtes Acrylgewebe, sind auch für die Werbeindustrie interessant. „Großflächige Werbebanner, die von Gebäuden herabhängen, müssen besonders gesichert werden“, sagt Pump. „Da sind unsere Erfahrungen gefragt.“ Sein Unternehmen ist darauf ausgerichtet, möglichst nicht zu sehr von einer Sparte abhängig zu sein. „So, wie wir jetzt aufgestellt sind, ist es gut“, sagt Pump. Den Auslandsanteil des Geschäfts würde er aber gerne noch steigern. Gegenwärtig liegt er bei einem Drittel.
Nur noch wenige Hamburger Betriebe fühlen sich der Segelherstellung verpflichtet. Segel Raap ist einer davon, die Firma fertigt Segel für Yachten und Traditionsschiffe. Handwerkliches Können wird dabei mit rechnergestütztem Konstruieren (CAD) kombiniert. Noch vor einigen Jahren war Meister Frank Schönfeldt stolz darauf, jedes Jahr 1000 Segel für Boote wie Conger, Pirat oder Optimist zu fertigen. Doch auch der Chef von Clownsails Segelmacherei hat sich neu ausgerichtet. „Dieses Saisongeschäft hat sehr viele Überstunden der Mitarbeiter erfordert und wenig eingebracht“, sagt Schönfeldt, der vielfacher deutscher Meister in den Jollenklassen Pirat und Conger wurde. „Deshalb haben wir uns jetzt auf 600 Segel jährlich beschränkt.“
Gewerk sucht dringend Nachwuchs
Auch bei Clownsails wächst das Nebengeschäft. „Wir nähen alles außer Hosen nähen“, sagt Schönfeldt. Bevorzugt Taschen mit einem stilisierten Clownsgesicht in allen Farben und Formen. Inzwischen sind Schulranzen hinzugekommen und als Neuheit Clown Horse, eine Taschenkollektion für Reiter, um ihre Utensilien zu verstauen.
Obwohl mit Schiffssegeln kaum noch ein Geschäft zu machen ist, sucht das Gewerk dringend Nachwuchs. „Vor einigen Jahren habe ich wieder mit der Ausbildung von Lehrlingen begonnen“, sagt Franco Pump. Andreas Lukowski ist im zweiten Lehrjahr. Ihm gefällt die kreative und handwerkliche Arbeit. Pump würde gern noch zwei oder drei Azubis einstellen. „Viele haben allerdings zu romantische Vorstellungen von dem Beruf“, sagt er.
Dreijährige Ausbildung
Auch wenn sich der Job gewandelt hat, Schere, Nähmaschine, Nadel und ein spezieller Handschuh sind noch immer die wichtigsten Utensilien des Segelmachers, der eine dreijährige Ausbildung durchläuft. „Die Bewerber benötigen neben Lust am Nähen auch ein Auge für Formen“, sagt Pump. Angewandte Mathematik und handwerkliches Geschick sind gefragt. „Mit Kreis- und Flächenberechnungen sollte man sich auskennen.“ Pump ist überzeugt: Die Vielfalt des Berufs öffnet einem ausgelernten Segelmacher viele Türen.