Hamburg. Johannes Kahrs (SPD) und Roland Heintze (CDU) über das schwul-lesbische Leben in Hamburg. Heute große Parade zum Ende der Pride-Week.
Das Café Gnosa an der Langen Reihe füllt sich schnell an diesem Morgen, Vorfreude ist in manchen Gesichtern zu sehen. Am heutigen Sonnabend zieht hier die bunt-schrille Parade aus Anlass des Christopher Street Day vorbei. St. Georg ist der Stadtteil, der am stärksten von Homosexuellen geprägt ist. Der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs (SPD), der hier wohnt, und der CDU-Landesvorsitzende Roland Heintze sind bekennende Homosexuelle. Das Abendblatt hat die beiden eingeladen, um über die Lage der Lesben und Schwulen zu diskutieren. Die Begrüßung fällt sehr herzlich aus, die beiden umarmen sich. Dabei hätte Heintze allen Grund, auf Kahrs sauer zu sein.
Herr Heintze, wir sind erstaunt, dass Sie sich mit Johannes Kahrs an einen Tisch setzen, schließlich hat er Ihre Kanzlerin beleidigt.
Roland Heintze: Ich sitze gern mit Johannes Kahrs an einem Tisch und kenne ihn länger als die Kanzlerin.
Immerhin hat Herr Kahrs die Kehrtwende von Angela Merkel in der Frage der Ehe für alle als „erbärmlich und peinlich“ bezeichnet und ihr ein „Vielen Dank für nichts“ entgegengeschleudert. Sind Sie nachsichtig, weil es um die gemeinsame Sache geht?
Heintze: Das war deutlich daneben. Johannes Kahrs neigt zur Übertreibung, aber da sind die Pferde komplett mit ihm durchgegangen. Man kann der Kanzlerin nicht vorwerfen, dass sie nichts gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben unternommen hätte.
War diese Wutrede im Angesicht des absehbaren Erfolgs bei der Abstimmung im Bundestag über die „Ehe für alle“ wirklich notwendig, Herr Kahrs?
Johannes Kahrs: Sie entsprach und entspricht meiner Gemütslage. Ich habe seit 2005 mit der Kanzlerin über die vollständige Gleichstellung von Lesben und Schwulen verhandelt. Sie hat immer abgelehnt und stets verhindert, dass darüber im Bundestag abgestimmt wird. Am Ende stimmte sie sogar gegen das Gesetz „Ehe für alle“. Nein, Angela Merkel wollte diskriminieren, hat diskriminiert und tut es noch immer. Als Kanzlerin hat man aber die Pflicht, Gräben in der Gesellschaft zuzuschütten. Deswegen: „Vielen Dank für nichts, Frau Merkel!“
Herr Kahrs zeigt offensichtlich keine Einsicht, Herr Heintze.
Heintze: Bei der Abstimmung im Bundestag ging es darum, das Institut der Ehe für Lesben und Schwule zu öffnen. Da kann man unterschiedliche Positionen vertreten. Ich hätte dem Gesetz beispielsweise zugestimmt. Dagegen zu sein, hat nicht automatisch etwas mit Diskriminierung zu tun. Im Übrigen: Johannes Kahrs hätte dieses Thema ja in den Koalitionsvertrag von Union und SPD hineinverhandeln können. Das hat er aber nicht. Insofern hätte er dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen sollen.
Kahrs: Im Koalitionsvertrag steht das Ziel, Diskriminierung abzubauen. Ich ging davon aus, dass das auch die „Ehe für alle“ umfasst. Vier Jahre lang haben wir verhandelt, aber die Kanzlerin war hammerhart und wollte es einfach nicht. Darüber konnte man nicht mit ihr reden. Lesben und Schwule waren immer Manövriermasse, sonst nichts.
Einmal abgesehen von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Hat sich das gesellschaftliche Klima in Deutschland so gewandelt, dass die „Ehe für alle“ inzwischen auf breite Akzeptanz stößt?
Heintze: Die Akzeptanz von Lesben und Schwulen hat in den vergangenen fünf Jahren deutlich zugenommen. Ich habe das als Landesvorsitzender der CDU wiederholt deutlich gemacht, wohl wissend, dass es in meiner Partei zur Ehe für alle auch andere Meinungen gibt. Immerhin haben bei der Abstimmung am 30. Juni mehr als 20 Prozent der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Gesetz „Ehe für alle“ zugestimmt. Vier der fünf Hamburger CDU-Abgeordneten waren dafür, einer stimmte aus formalen Gründen dagegen. Das ist schon ein klares Hamburger Votum.
Kahrs: Seit 1998 kämpfe ich für die Öffnung der Ehe. In jeder Koalition gab es kleine Schritte, und ohne die Einigung auf das Lebenspartnerschaftsgesetz hätte es keine „Ehe für alle“ gegeben. Die Gesellschaft war schon lange viel weiter und musste die Union mitnehmen. Es gibt allerdings immer noch Menschen, die diskriminieren und die ein Unwohlsein haben. Die nimmt man nur mit, wenn man es ihnen vormacht. Mit dem Gesetz geben wir jetzt die Richtung vor. In Großbritannien haben die Konservativen die Ehe für alle durchgesetzt. Königin Elisabeth II. hat im Angesicht eines Gleichstellungsgesetzes erklären lassen: „Das unterschreibe ich gern.“
Heintze: Johannes Kahrs ist der Monarchist in der SPD. Aber er hat in einem Punkt recht: Die Gesellschaft in ihrer Mehrheit war meines Erachtens weiter. Mit dem Beschluss über die „Ehe für alle“ haben wir etwas nachvollzogen, was bereits akzeptiert war. Ich warne aber davor, unseren Großstadtblick zu verabsolutieren. In Hamburg mag es keine offene Diskriminierung geben, aber durchaus eine versteckte. Und in ländlichen Räumen gibt es Ecken, da ist es nicht lustig, lesbisch oder schwul zu sein.
Kahrs: Ich würde nicht von einem Gegensatz zwischen Stadt und Land sprechen. Diskriminierung hat mit einzelnen Menschen und ihrer Haltung zu tun. Bei der Bundeswehr zum Beispiel hat schon der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping die formale Diskriminierung abgebaut.
In den vergangenen beiden Jahren sind viele Flüchtlinge nach Hamburg aus Ländern gekommen, in denen Homosexualität geächtet ist. Hat sich dadurch etwas verändert?
Kahrs: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Ja, es gibt viele Flüchtlinge, die eine Gleichstellung von Lesben und Schwulen nicht erlebt haben. Die kennen das nicht. Wir haben jetzt aber keine Lust darauf, die Diskussion der vergangenen 40 Jahre zu wiederholen. Deshalb: Die hier geltenden Spielregeln müssen eingehalten werden. Allerdings sind unter den Flüchtlingen auch Lesben und Schwule, die mit der hier herrschenden Freiheit erst einmal klarkommen müssen. Auch deshalb war es wichtig, eine Entschädigung für jene zu beschließen, die wegen des Paragrafen 175 verurteilt wurden. Das sind Symbole für Menschen, die in unser Land kommen. Daran können sie sich orientieren.
Ist das auch Teil der deutschen Leitkultur?
Heintze:Wir dürfen nicht nur erwarten, dass die hier geltenden Regeln respektiert werden, sondern müssen diese aktiv durchsetzen. Wer die Gleichheit von Frauen und die Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen nicht akzeptiert, der sollte sich überlegen, ob er in unserem Land richtig ist. Eine Diskriminierung von Lesben und Schwulen in den Flüchtlingslagern geht gar nicht.
Rechtsstaat muss präsent sein
Wie soll man das durchsetzen?
Kahrs: Indem man für die Betroffenen sichere Bereiche schafft oder sie im Zweifel von anderen trennt. Das wird im Übrigen auch umgesetzt.
Heintze: Unser Rechtsstaat muss auch in den Flüchtlingsunterkünften präsent sein. Jeder, der bei uns lebt, hat sich an unsere Regeln zu halten.
Hat sich etwas im Alltagsleben in den Stadtteilen verändert?
Kahrs: Ich wohne hier in St. Georg. Anfangs gab es Probleme mit Flüchtlingen, wenn sie Männern begegneten, die einander die Hände hielten oder sich küssten. Das wurde negativ kommentiert, und es gab sogar Gewalttätigkeiten. Polizei und Zivilgesellschaft sind immer dazwischengegangen, auch die Vertreter der Moscheen wissen um die Bedeutung und helfen mit. Eines war jedoch immer klar: Es muss in St. Georg funktionieren. Dieser Stadtteil ist sozusagen das Vorbild für die Stadt.
Vor genau fünf Jahren hat das Abendblatt Sie beide zum CSD schon einmal hier zum Gespräch gebeten. Was hat sich seitdem in Hamburg für Homosexuelle verändert?
Heintze: Was in Sachen Gleichstellung auf den Weg gebracht wurde, geht zunehmend in Normalität und größere Offenheit über. Ich glaube, die Gesellschaft ist insgesamt entspannter geworden.
Kahrs: Roland hat vollkommen recht. In Hamburg hat sich die Lage für uns normalisiert. Homosexualität ist kein Aufregerthema mehr, und so muss es ja sein. Ich möchte als schwuler Mann nicht eine seltsame Figur sein. Ich bin Landesvorsitzender der Helfervereinigung des THW, Oberst der Reserve und in einer christlichen Studentenverbindung – ein ganz normaler Hamburger also. Wir gehören zum Gewebe dieser liberalen und weltoffenen Stadt.
Ist also politisch alles erreicht? Oder anders gefragt: Worum geht es in Zukunft in der schwul-lesbischen Bewegung?
Kahrs: Es gibt genug zu tun, solange „Du Schwuchtel“ noch immer eines der häufigsten Schimpfwörter auf Schulhöfen ist. Es geht also um Diskriminierung im Alltag, und das ist ein langer Weg. Aber es geht auch darum, wie Lesben und Schwule im Alter leben. In der älteren Generation gibt es häufig noch mehr Vorbehalte. Und es geht um die Frage, wie es Lesben und Schwulen in Europa geht, in Rumänien zum Beispiel.
Heintze: Mit der „Ehe für alle“ ist ein Symbolthema abgeräumt, das bedeutet ein Stück weit Normalisierung. Aber wir sind gefordert, die Aufmerksamkeit zu halten. Es geht um Akzeptanz. Es geht darum, dass eine 14-, 15-Jährige und ein 14-, 15-Jähriger sich in der Schule genau so entscheiden können, wie sie es möchten und nicht befürchten müssen, dass es dann gleich richtig Ärger gibt. Die Freiheit, Homosexualität zu leben, muss eine Selbstverständlichkeit sein. Dann können wir in Deutschland und in Westeuropa sagen: Bei dem Thema gibt es kein Zurückweichen mehr, genau so wie bei der Gleichstellung der Frau. Die Nordeuropäer, Holländer und Franzosen sind da auch sehr weit.
"Ich bin Gleichstellungspolitiker"
Es gibt ja nicht nur Homo- und Heterosexuelle, sondern auch Bi-, Trans- und Intersexuelle. Vor allem in Süddeutschland läuft derzeit eine heftige Diskussion über Frühsexualisierung im Unterricht. Muss sich die Community da nicht genauer positionieren?
Kahrs: Ich bin Gleichstellungspolitiker, das ist eine Frage für Bildungs- und Schulpolitiker. Die Fachleute müssen darüber diskutieren, wann und wie Sexualkunde Sinn macht. Es ist im Grunde so wie beim Thema Adoption. Lesben und Schwule sollen das gleiche Recht haben, sich darum zu bewerben. Wer ein Kind adoptieren darf, weil die Beziehung stabil ist, entscheiden die Fachleute vom Jugendamt.
Heintze: Ich glaube, wir sind gut beraten, dafür zu sorgen, dass das ein Querschnittsthema wird, aber von Experten entschieden wird. Ich kann nicht entscheiden, wann in welchem Schulbuch welche Sexualerziehung oder Aufklärung stattfinden soll. Sicher ist, dass der Zeitpunkt früher liegt als noch zu unserer Zeit, weil der Erklärungsdruck gestiegen ist. Wenn Acht- oder Neunjährige heute durchs Internet surfen, werden sie schnell auf Dinge treffen, die ihnen besser mal jemand vorher erklärt hat.
Wie häufig haben Sie an der CSD-Parade teilgenommen, und werden Sie diesmal dabei sein?
Heintze: Ich habe öfter als der amtierende Bürgermeister teilgenommen.
Kahrs: Oooh.
Heintze: Ich werde dabei sein und zähle meine Teilnahmen nicht mehr.
Kahrs: Ich gehe da immer hin. Die Frage ist eher, wie viele CSD man sonst noch besucht. Ich war in diesem Jahr in Cloppenburg und in Oldenburg. Das ist immer wie ein großes Familientreffen. Der offizielle Teil ist die Parade hier die Lange Reihe hoch. Da müssen wir beide in der ersten Reihe gehen. Am Ende verschwindet man zu seinem Wagen, und da feiern wir dann die Öffnung der Ehe und die Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175.
Heintze:Die Zeiten, in denen man von CSD zu CSD geturnt ist, ist seit drei, vier Jahren vorbei. Aber meine Rolle hat sich auch geändert: Heute bin ich Landesvorsitzender der CDU und muss anders auf das Thema achten als vor fünf Jahren, als ich Fachsprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion für das Thema war.
Leben Sie in eingetragenen Lebenspartnerschaften?
Beide: Nein.
Kahrs: Ich gehe doch nicht in etwas rein, wenn ich dann schlechter gestellt bin als Frau Merkel oder Herr Kauder.
Also ist die Ehe für alle für Sie eine Option?
Kahrs: Ich bin im nächsten Jahr 25 Jahre mit meinem Freund zusammen. Das wäre dann – Silberhochzeit?
Heintze:Ich lebe auch in einer langjährigen Partnerschaft, seit 15 Jahren. Für mich war immer klar, die eingetragene Lebenspartnerschaft ist es nicht. Jetzt kann man mal darüber nachdenken.
Kahrs: Du bekommst wohl kalte Füße? Aber Scherz beiseite: Das werde ich zu Hause mit meinem Freund besprechen und nicht im Abendblatt verkünden.