Hamburg. In der Nordsee errichten Hamburger einen neuen Offshore-Park. Zu Besuch 40 Kilometer vor der Küste. Die Konkurrenz wächst.

Auf der Nordsee ist es heute ruhig: Kapitän Dag Hareide lässt die „Polar Queen“ langsam an die Windkraftanlage mit der Nummer 54 heranmanövrieren. Dann fährt eine auf dem Schiff installierte Teleskopbrücke aus. Hinüber zu der Plattform, auf der gut zehn Meter über der See drei Techniker warten. Sie haben im mehr als 90 Meter hohen Turm stundenlang die Inbetriebnahme der gut 40 Kilometer vor der ostfriesischen Küste stehenden Anlage vorbereitet, jetzt kommt die Ablösung.

Die Bedingungen sind günstig: kaum Wind und Wellengang, deshalb kann das Serviceschiff so nah an den Turm heranfahren. Und weil die Wassertemperatur über 13 Grad liegt, müssen die Techniker während des sogenannten Transfer-Manövers nur die Rettungsweste, aber nicht den wasserdichten Überlebensanzug tragen, dessen enger Kragen den Hals so unangenehm einschnürt. Trotzdem darf aus Sicherheitsgründen immer nur einer der Männer auf der Brücke sein. Einer nach dem anderen schleift seine persönliche Sicherheitsausrüstung und sein Werkzeug in großen, schweren Taschen über die Brücke an Bord.

Im Herbst sollen alle 54 Anlagen Strom liefern

„Wir sind gut im Zeitplan, bisher gab es sehr wenige bis gar keine Fehler in den Anlagen“, sagt Alexander Wruck (28) vom Hamburger Windanlagen-Hersteller Senvion. Seine offizielle Funktionsbezeichnung gibt es – wie in der internationalen Offshore-Windkraftbranche üblich – nur auf Englisch, sie lautet Commissioning Site Manager. Übersetzt trifft es Bauleiter für die Inbetriebnahme am besten. Zu Wrucks Team gehören zwei Dutzend Techniker.

Sie nehmen in diesen Wochen nach und nach 54 Anlagen in Betrieb, die Senvion für den Windpark Nordsee One im Auftrag des Betreibers gebaut hat und jetzt für ihn installiert. Die Mehrzahl der riesigen Windräder liefert bereits Strom, ein gutes Dutzend aber liegt noch an Land. Das sogenannte Errichterschiff „Enterprise“ ist an diesem Tag im niederländischen Eemshaven, um je zwei weitere Türme, Turbinen und Rotorsterne an Bord zu nehmen.

Dort, wo sie in den nächsten Tagen zusammengebaut werden, ragen jetzt noch die tief in den Meeresgrund gerammten gelben Fundamente aus dem Wasser. Im Herbst will die in Hamburg ansässige Nordsee One GmbH den Windpark mit einer Kapazität von 332 Megawatt offiziell in Betrieb nehmen. Er kann Strom für mehr als 200.000 deutsche Haushalte liefern.

Energie von fünf Atomkraftwerken

Wenn Nordsee One komplett am Netz ist, dürfte die Kapazität aller deutschen Meereswindparks nahe der Marke von 5000 Megawatt liegen. Das ist etwa so viel wie fünf Atom- oder große Kohlekraftwerke erzeugen. Und etwa viermal so viel wie zu Beginn des Jahres 2015.

Der starke Zuwachs insbesondere im vorvergangenen Jahr war möglich, weil kurz zuvor nach jahrelanger Verzögerungen Umspann-Plattformen auf See und Seekabel den Betrieb aufnahmen. Durch sie wird der Windstrom ans Festland geleitet. Allein 2015 kamen fast 2000 Megawatt Kapazität hinzu, 2016 waren es mehr als 750 Megawatt. In diesem Jahr werden es absehbar wieder mehr. Allein im ersten Halbjahr speisten 108 Offshore-Windanlagen mit einer Leistung von 626 Megawatt erstmals Strom ins Netz ein – 80 Prozent dessen, was im gesamten Vorjahr zugebaut wurde.

Größere Anlagen

Die Kapazität der neu aufgestellten Anlagen wächst ständig. Alexander Wruck und seine Kollegen nehmen Anlagen mit der Typenbezeichnung 6.2M126 und 6,15 Megawatt Leistung in Betrieb, beim nächsten Senvion-Offshoreprojekt werden die Rotorblätter deutlich länger und die Leistung noch etwas höher sein. Es sind Senvions derzeit leistungsstärkste Anlagen.

An Land läuft ein Wettrennen der Hersteller um die größten Anlagen für Meeresstandorte. Siemens-Gamesa, dessen Offshore-Windkraftsparte in Hamburg sitzt, hat bereits 7- und 8-Megawattanlagen verkauft. Produziert werden sie im neuen Turbinenwerk in Cuxhaven. Dort, sagt ein Siemens-Sprecher, habe vor Kurzem die Montage der ersten Generatoren begonnen. Der dänische Konkurrent Vestas modifiziert seine größte Anlage so, dass sie an günstigen Standorten sogar zum 9-Megawatt-Windrad wird.

Senvion will solche Zwischenschritte vermeiden und gleich in den zweistellige Megawattbereich vorstoßen. In den nächsten zwei Jahren, kündigte Vorstandschef Jürgen Geißinger unlängst an, werde der Hamburger Hersteller eine Anlage mit mehr als 10 Megawatt Leistung entwickeln.

Rauer Wind der Konkurrenz

Die Kunden verlangen danach, denn auf dem viele Jahre lang mit garantierten und komfortablen Gewinnmargen ausgestatteten Markt weht inzwischen der raue Wind der Konkurrenz. Für den Strom aus Nordsee One fließen noch 20 Jahre lang garantierte Zuschüsse, die letztlich die Stromkunden mit der EEG-Umlage zahlen. Für die Investoren, die kanadische Northwind Power (85 Prozent) und Innogy (15 Prozent) eine sichere Bank. Inzwischen aber werden neue Projekte ausgeschrieben, den Zuschlag erhalten Bewerber, die den geringsten Zuschuss fordern.

In der ersten Ausschreibungsrunde für künftige Offshore-Windparks bekamen vier Projekte den Zuschlag, die voraussichtlich ab 2021 realisiert werden, drei davon wollen ganz ohne Förderung auskommen. Branchenkenner sind überzeugt, dass dies nur mit Windrädern der 10plus-Klasse möglich sein wird.

Zwei Wochen auf See

Den Technikern an Bord der „Polar Queen“ bleibt wenig Zeit, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Für jeweils zwei Wochen sind zwei Teams auf dem Serviceschiff, gearbeitet wird jeweils zwölf Stunden lang. Dann folgen 14 Tage Freizeit an Land.

Eine Anfälligkeit für Seekrankheit ist ziemlich hinderlich für den Job. „Wer in der Offshore-Branche tätig sein will, weiß das“, sagt Alexander Wruck. Auf der Nordsee kann es schnell kabbelig werden, und nicht immer ist der Transfer vom Serviceschiff, das Senvion bei einer dänischen Reederei gechartert hat, zum Turm so einfach zu bewerkstelligen. Zu weiter entfernt liegenden Anlagen geht es mit einem kleinen Boot. Und das schaukelt auch bei wenig Seegang schon ganz ordentlich.

Für Notfälle eine Spielesammlung

Ab einer Wellenhöhe von 2,5 Metern oder wenn der Wind kurz davor ist, mit Stärke 7 zu wehen, werden die Arbeiten aus Sicherheitsgründen allerdings komplett eingestellt. „Wir versuchen natürlich, vorher alle Techniker von den Anlagen zu holen“, sagt Alexander Wruck. Vor einigen Tagen erst hat das einmal nicht geklappt. „Auf dem Radar war nur eine kleine Gewitterwolke zu sehen. Aus der hat sich dann ein langes und starkes Gewitter entwickelt.“ Erst nach 20 Stunden konnten die Männer wieder von der Anlage geholt werden. Viel auszustehen hatten sie nicht. In jedem Turm liegen Kisten mit Notfallmaterial und Verpflegung. Sogar eine kleine Maschine, mit der sich Meer- zu Trinkwasser aufbereiten lässt, gehört dazu. Und sollte ein unfreiwilliger Aufenthalt im Windrad weit draußen auf dem Meer ganz lange dauern, ist selbst für Unterhaltung gesorgt: In den Notfallkisten liegt auch eine Spielesammlung.