Hamburg. Die neue Direktorin sieht großen Veränderungsbedarf. Eine Begegnung mit Barbara Plankensteiner.

Wenn Barbara Plankensteiner über ihre Herkunft spricht, dann ist man eigentlich schon mittendrin in ihrem Lebensthema und dem beruflichen Feld, auf dem sie arbeitet: Vor drei Monaten hat die gebürtige Südtirolerin als neue Direktorin des Museums für Völkerkunde ihren Lebensmittelpunkt von den USA nach Hamburg verlagert. Sie habe mit dem Haus an der Rothenbaumchaussee einen schwierigen, jahrelang stiefmütterlich behandelten Fall übernommen, „das Museum ist ausgeblutet, es gibt sehr viel zu tun, auch inhaltlich.“

Als Kind aus einer Familie von Gastwirten und Weinbauern hatte die heute 53-Jährige seit jeher viel mit Menschen zu tun, ist aber auch mit einem vielschichtigen Identitätsgefühl aufgewachsen: Sie gehörte in Tirol zur deutschen Sprachgruppe, fühlt sich aber bis heute auch „mit Italien sehr verbunden“. So etwas sei prägend, sagt sie. Und es stärkt ihre Einsicht, dass Identitäten nicht nur durch nationale Zugehörigkeit geprägt und vielschichtiger sind.

Mehr Zeit zum Forschen

Klare ethnische oder nationale Kategorisierungen, wie sie in den europäischen ethnografischen Museen bis heute üblich sind, existieren in der Realität oft gar nicht. Vielmehr hätten hybride Identitäten in Zeiten der Globalisierung und Fluchtbewegungen ein immer größeres Gewicht. Erst recht gelte das für museale Gegenstände: „Was ist mit einem Objekt, das in Indien hergestellt, aber in Ostafrika verwendet wurde?“ Die bisherige „Schubladisierung“ mache deshalb oft keinen Sinn. Viel wichtiger findet sie die Zusammenarbeit mit Forschern aus den jeweiligen Herkunftskulturen, die sie entscheidend intensivieren möchte, wie sie überhaupt der Ansicht ist, dass die Wissenschaftler des Museums mehr Zeit zum Forschen haben müssen.

Die Afrika-Sammlung des Museums lag mehr als 20 Jahre brach, weil die Kuratorenstelle nicht besetzt war. Das will die neue Leiterin ändern. Als Expertin für Afrika möchte sie aber auch selbst „noch ein bisschen inhaltlich arbeiten, damit der Geist nicht abstirbt. Mich mit der Sammlung zu beschäftigen, steigert meine Laune beträchtlich.“

Vielleicht ist es Schicksal, dass sie beinahe ihr ganzes Berufsleben lang diejenige war, die man holte, um Museen auf Vordermann zu bringen, Verkrustungen aufzubrechen und neue Konzepte zu entwickeln. Eine ihrer ersten Stellen war für eineinhalb Jahre im Kärntner Heinrich-Harrer-Museum. Harrer (1912–2006) war Bergsteiger, Sportler und forschender Reisender, der das Buch „Sieben Jahre Tibet“ schrieb und eine beachtliche Sammlung besaß.

Sie wäre gern an der Yale geblieben

Dann ging es nach Wien, wo Barbara Plankensteiner promovierte. Zunächst arbeitete sie für die Architektin Elsa Prochazka, die unter anderem Museen und Ausstellungen gestaltete: „Da habe ich sehr viel gelernt. Wie man Dinge präsentiert, spielt eine sehr große Rolle. Das vergessen manchen Wissenschaftler, das kam bisher oft zu kurz.“ Weil sie dabei bereits mit dem Wiener Weltmuseum in Kontakt stand, war es nur noch ein kleiner Schritt, um als Kuratorin und später als Stellvertreterin des Direktors dorthin zu wechseln und wieder ethnologisch zu arbeiten. Inzwischen hatte sie einen Mann kennengelernt, mit dem sie eine Tochter und einen Sohn bekam, die heute fast erwachsen sind und noch in Österreich leben. In den USA an der Yale University Art Gallery, wo sie zuletzt beschäftigt war, wäre sie gern länger geblieben, aber: „Wenn so eine Chance wie in Hamburg kommt, dann muss man sie ergreifen!“ In der Nähe des Museums hat sie eine Wohnung gefunden und fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit.

Ein Nine-to-five-Job sei das nicht: „Mein Beruf ist meine Passion.“ Führung versteht sie als Gemeinschaftsprojekt, sich selbst als Teamarbeiterin: „Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter des Museums Verantwortung übernehmen und selbstbestimmt arbeiten. Ich will mich nicht überall einmischen.“

Sie will etwas aus dem Museum machen

Wenn sie die Fachbücher zur Seite gelegt hat, nimmt Barbara Plankensteiner derzeit gern Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ zur Hand. Ansonsten liest sie am liebsten Bücher afrikanischer Autorinnen – in englischer Sprache, denn sie mag die angelsächsische Art des Schreibens, „sehr gewitzt, in verständlicher Sprache, spannend, aber nicht seicht. Genau so, wie wir Ausstellungen machen sollten“.

Das Museum für Völkerkunde habe nicht nur eine sehr qualitätvolle ethnografische Sammlung, die Stadt sei auch „die Zentrale des Handels mit Ethnografika“ gewesen: „Österreichische Forscher sind über Hamburgs Afrika-Linien dorthin gefahren.“ Die damit zusammenhängenden Handelsbeziehungen bilden für Barbara Plankensteiner „eine unglaublich interessante Schnittstelle“. Ihre Spezialisierung auf Afrika sei eher zufällig entstanden, eigentlich habe sie sich anfangs mehr für die Mongolei interessiert. Dann ergab es sich, dass sie ihr Diplom über einen italienischen Ethnologen schrieb, der in Afrika geforscht hatte. „Das hat mich dann so interessiert, dass ich dabei geblieben bin.“

Auch was ihre eigene Arbeit angeht, schaut sie weit über die Grenzen des Landes hinaus, in dem sie sich gerade befindet: das Pariser Musée du Quai Branly, das brandneue Mucem in Marseille, ethnografische Museen in England, Australien, den Niederlanden oder Australien – Barbara Plankensteiner kennt all die interessanten Häuser, die sich den aktuellen, gesellschaftlich relevanten Fragen stellen. Mit den meisten ist sie im Gespräch, und will versuchen, „Hamburg wieder in diesen Zirkel hin­einzubekommen“. Es sei „ein toller Moment“, jetzt in Deutschland ein solches Museum zu leiten, denn „das Thema ist derzeit sehr stark. Ich habe großes Inter­esse daran, aus diesem Haus wieder etwas zu machen, es zum Erfolg zu führen.“ Die Verantwortlichen in der Stadt seien sich des Investitions-Staues bewusst, „ich bin zuversichtlich, dass sich die Lage verbessern wird.“