Hamburg. 2014 kaufte die Stadt das Theater für die Autonomen zurück. Nun könnte die Räumung drohen. Ein Konfliktforscher warnt.
Es ist gerade einmal dreieinhalb Jahre her, als im Dezember 2013 eine Demonstration auf dem Schulterblatt in schwere, bis dahin kaum für möglich gehaltene Auseinandersetzungen zwischen dem Schwarzen Block und der Polizei mündete. Dabei ging es unter anderem um den Erhalt der Roten Flora, nachdem der Eigentümer Klausmartin Kretschmer das Interesse an der Verdrussimmobilie verloren und mehrfach mit der Räumung des linksalternativen Kulturzentrums gedroht hatte.
Die allein regierende SPD und Bürgermeister Olaf Scholz taten den entscheidenden Schritt im November 2014: Die Stadt kaufte die Reste des alten Variétetheaters am Schulterblatt für 820.000 Euro von Kretschmer zurück. Scholz wollte ein unangenehmes Thema im heraufziehenden Bürgerschaftswahlkampf abräumen. „Viele sagen, da gehen wir zwar nicht hin, aber Hamburg ist groß, das halten wir aus“, sagte der Bürgermeister damals. Die Befriedung schien zu gelingen – bis zum Wochenende des G20-Gipfels.
Militante Autonome eingeladen
Nach den unvorstellbaren Ausschreitungen im Schanzenviertel ist die Zukunft der Roten Flora erneut völlig offen, auch wenn noch nicht bewiesen ist, dass von dort aus Straftaten verübt wurden. Aber die Rotfloristen hatten europaweit militante Autonome aus Deutschland und ganz Europa eingeladen, zum gewaltbereiten Protest gegen den Gipfel nach Hamburg zu kommen. Das Ergebnis waren eine Spur der Zerstörung, brennende Barrikaden und Plünderungen von Läden und Geschäften.
CDU und AfD fordern die Räumung der Roten Flora als Keimzelle der Gewalt. „Wir werden uns erst einmal die einzelnen Straftäter angucken, dann werden wir uns auch die Unterstützerstrukturen angucken, und dazu gehört dann auch die Flora“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) im „heute-journal“. „Welche Konsequenzen das hat, muss man sehen, ich würde aber zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Konsequenzen ausschließen“, setzte Grote hinzu. Also auch die Räumung nicht.
Heftiges Ringen um Verhältnis zur Gewalt
Es scheint so, als ob die Lage auch in der Roten Flora selbst und bei den Unterstützern im Viertel als gefährlich angesehen wird. „Nach der Eskalation während des G20-Gipfels ist es uns als direkte Beobachter des Geschehens ein Anliegen, deutlich zu machen, dass die Rote Flora nicht die Verantwortliche dieses sinnlosen Zerstörens war“, heißt es in einem Brief der Betreiber des Cafés Carmagnole an die Nachbarn.
Schwarzer Block zieht durch Hamburg:
"Welcome to Hell" – schwarzer Block zieht durch Hamburg
Es sei eine „Dynamik aus dem Protest heraus“ entstanden, die „viele Gruppen von Menschen aus unterschiedlichen Milieus und Altersgruppen (darunter auch viele nicht Vermummte, bestimmt nicht linksextreme Kids sowie das übliche Schanzen-Partyvolk) dazu verleitet hat, ihrem Frust im Rausch des Zerstörens freien Lauf zu lassen“. Flora-Sprecher Andreas Beuth war im Abendblatt-Interview von seiner anfänglichen Sympathie für die Gewaltexzesse abgerückt.
Sprecher der Flora will Öffnung zum Stadtteil
Hinter den Kulissen der Roten Flora ist seit Jahren eine teils heftige Auseinandersetzung über den Kurs der Autonomen und das Verhältnis zur Gewalt im Gange. Vor allem Andreas Blechschmidt steht als Gesicht der Flora für eine Öffnung zum Stadtteil und eine Mäßigung in der Öffentlichkeit. Vor zwei Jahren begannen die Floristen eine aufwendige Sanierung mit Freiwilligen. Zuvor hatte die Rote Flora innerhalb der linken Szene politisch an Bedeutung verloren.
In linken Kreisen wurde sie zuweilen als „Museum“ und „Partytempel mit linkem Anstrich“ verspottet. Nach Abendblatt-Informationen stehen sich in dem Konflikt auch Besetzer der ersten Stunde und die jüngere Generation gegenüber. Erstere sehen die Zukunft der Roten Flora als Anlaufpunkt für radikale und gemäßigte Linke gleichermaßen – sie trieben auch wesentlich die Annäherung an Fangruppen des FC St. Pauli und das moderate Netzwerk „Recht auf Stadt“ voran. Die jüngeren Rotfloristen betonen dagegen stärker, dass die Flora ein „unverträgliches Monster“ bleiben müsse.
Im Vorfeld des G20-Gipfels gab es eine klare interne Marschrichtung der Führungsfiguren Blechschmidt und Beuth: Die Proteste sollten möglichst lange kraftvoll, aber friedlich durchgeführt werden. Im Gegenzug wurden aber Krawalle nach Abschluss der eigenen Demonstration „Welcome to Hell“ in Kauf genommen.
Auch in der linken Szene wird die Rolle der Roten Flora bei den Gewaltexzessen kritisch hinterfragt. Wie es von Mitorganisatoren der G20-Proteste heißt, hätten andere Akteure jedoch eine gewichtigere Rolle bei der Mobilisierung von militanten Autonomen gespielt – etwa die Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, die das Zentrum „B5“ in der Brigittenstraße als Stützpunkt nutzt. Dort fand bereits direkt nach den Krawallen eine Razzia der Polizei statt.
Konfliktforscher warnt vor einer Räumung
Der Konfliktforscher Andreas Zick von der Uni Bielefeld warnt vor einer Räumung der Flora. „Das wäre das vollkommen falsche Signal. Den Ort wegzusperren radikalisiert einzelne nur noch stärker“, sagte Zick in den „Tagesthemen“. Jetzt müsse es darum gehen zu verstehen, wie die Gewalt entstand. „Es wäre naiv zu glauben, dass man einfach nur die Rote Flora schließen müsste, und dann hätten sich alle Probleme mit dem Linksextremismus aufgelöst“, sagte auch FDP-Fraktionschefin Katja Suding. Die Aufrufe zur Gewalt aus dem Flora-Umfeld seien zwar „unerträglich“, aber die Szene in Hamburg sei zersplittert und habe mehrere Zentren. „Was wir daher brauchen, ist ein umfassendes Konzept gegen Linksextremismus“, so Suding.