Hamburg/Aomori. Die Symphoniker sind auf Japan-Reise. Und ihr Intendant muss nach dem Tod von Jeffrey Tate einen neuen Chefdirigenten suchen.

Etwas mehr als einen Monat ist es her, dass Jeffrey Tate, Chefdirigent der Symphoniker Hamburg, überraschend in Italien starb. Seit einigen Tagen sind die Symphoniker nun, zum Ende ihrer Saison, in Japan auf Tournee. 14 Tage, neun Städte, neun Säle, neun Konzerte. In dieser Woche werden die Musiker in Tokio spielen, sie waren unter anderem bereits in Aomori, Hiroshima und Kyoto zu Gast. Ein Gespräch mit Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel, der sein Orchester auf die Reise begleitet, über Trauerarbeit, Dirigentensuche und das Musizieren vor fremdem Publikum.

Die Japan-Tournee der Symphoniker war natürlich lange vor dem Tod von Jeffrey Tate geplant. Gibt diese Reise Ihnen und den Musikern nun eine Chance auf etwas Abstand?

Daniel Kühnel: Ja, so empfinde ich es. Einerseits gibt es uns die Möglichkeit, Abstand zum Schock des plötzlichen Verlusts zu gewinnen. Andererseits schweißt so eine Tournee natürlich immer zusammen, das war auch so nach unseren Amerika-Tourneen 2007 und 2012. Man erlebt gemeinsam Neues, und das tut gerade in so einem Moment und angesichts des Abschieds besonders gut.

Wie geht das Orchester mit dem Tod seines Chefdirigenten um?

Es ist ständiges Thema auf allen Ebenen. Natürlich sitzen wir nicht den ganzen Tag still beieinander und gedenken. Aber Jeffrey Tate war – und ist – so tief im Selbstverständnis dieses Orchesters. Wenn man darüber spricht, wie die Musiker spielen wollen zum Beispiel, was für eine Art von Klangkörper sie sein wollen, dann ist Sir Jeffrey immer präsent, beim Frühstück, im Bus, am Abend. Jeder geht damit anders um, aber es ist niemand dabei, der nicht einen sehr großen Verlust spürt. Das eint wirklich alle.

Was bedeutet es denn grundsätzlich für ein Orchester, ohne einen Chefdirigenten zu sein?

Es ist keine tägliche Notwendigkeit. Da ist es wichtig, dass der Dirigent, der ­gerade da ist, weiß, was er tut, hier in ­Japan ist es Stefan Sanderling. Aber ein Chefdirigent kann ein Orchester, je nachdem, wie er mit ihm umgeht und was er strategisch künstlerisch vorhat, sehr stark prägen. Was erwartet das ­Orchester von sich selbst, wie geht es mit Rückschlägen um? Für solche ­Fragen kann ein Chefdirigent ein ­Bewusstsein prägen. Für diese Haltung des Aufbauens, des Vertrauens stand Jeffrey Tate geradezu lehrbuchartig. ­Damit hat er – neben der Beschäftigung mit den musikalisch-technischen Fragen natürlich – das Orchester geprägt. Man hat als ­Musiker hoffentlich immer alles ­versucht, aber es ist ja ein ständiges Streben. Ein langer Lernprozess. Das macht ein Konzert, ein künstlerisches Liveerlebnis so interessant. Wenn er schlecht ist, kann ein Chefdirigent natürlich auch vieles kaputt machen. Er kann ­Unsicherheit und Verwirrung ­stiften, das Selbstbewusstsein ­erschüt- tern. Bei den Symphonikern haben wir jetzt, ­psychologisch gesehen, eine etwas ­pointiertere Situation. Uns fehlt nicht einfach nur ein Chefdirigent, sondern wir haben einen verloren, der sehr gut war, der dem Orchester besonders nah war. Was er uns mitgegeben hat, haben wir aber nicht verloren. Wir haben mit ihm ­etwas Wesentliches erreicht. Heute spielen wir auf einem konstant hohen künstlerischen Niveau. Das bestätigen uns die Gastdirigenten immer wieder. Es herrscht überall im Orchester ein sehr warmes Gefühl der Dankbarkeit.

Ist die Suche nach einem Nachfolger schon ein akutes Thema für Sie?

Ich glaube – überspitzt gesagt, natürlich – für einen Intendanten fängt die Suche nach einem Nachfolger unterschwellig schon in dem Moment an, in dem er sich mit dem amtierenden Dirigenten über einen Vertrag einig geworden ist. Natürlich habe ich in den letzten Jahren nicht konkret gesucht, gar nicht. Aber man hört ja nicht auf nachzudenken, zu beobachten, zu evaluieren. Jetzt besteht die konkrete Notwendigkeit, einen Chefdirigenten zu suchen. Aber wir sollten uns die Zeit geben zu begreifen, wo wir stehen, um dann in Ruhe und angesichts der vielen Möglichkeiten die beste zu finden.

Das heißt, Sie werden in der kommenden Saison, in der Jeffrey Tate ja nicht nur für die Eröffnungskonzerte fest gesetzt war, zunächst mit Übergangslösungen arbeiten? Wer wird das sein?

Zunächst werden verschiedene Dirigenten diese Konzerte übernehmen. Momentan möchte ich noch keine Namen nennen, obwohl einige bereits feststehen. Wir werden das dann gemeinsam bekannt geben, nicht peu à peu.

Wird es schon in der kommenden Saison einen neuen Chefdirigenten geben?

Das möchte ich nicht ausschließen, obwohl ich das aus heutiger Sicht für eher unwahrscheinlich halte.

Was muss ein Chefdirigent der Symphoniker mitbringen?

Es ist wichtig, dass es jemand ist, der stark integriert. Jemand, der das Orchester in seiner künstlerischen Leistungsfähigkeit, aber auch in seiner Psychologie stärkt. Musikalisch wird es nun selbstverständlich etwas Neues sein. Zum Abschied gehört, dass etwas war – und eben nicht mehr ist.

Ist es richtig, dass schon jemand konkret im Gespräch ist, der besonders jung ist?

Da wissen Sie mehr als ich. Aber es muss jemand sein, der natürlich ein hervorragender Musiker und im Sinne des Orchesters ein Erzieher ist. Und jemand, der künstlerisch authentisch ist. Niemand, der nur eine vorher definierte Lücke füllt.

Für einen neuen Dirigenten haben Sie die Laeiszhalle im Angebot – und bis auf einige Gastauftritte nicht die Elbphilharmonie. Auch wenn die Laeiszhalle nach wie vor ein sehr guter Konzertsaal ist – ist das derzeit ein Nachteil?

Bei Sir Jeffrey Tate war es damals ein Vorteil, es hat geholfen, ihn zu gewinnen, er wollte unbedingt in die Laeisz­halle ...

... da gab es ja die Elbphilharmonie auch noch nicht ...

... perspektivisch schon. Sie war geplant und nicht erst für so viele Jahre später, sondern für Oktober 2010. Er wollte aber immer in die Laeiszhalle. Sehr viele Dirigenten schätzen zwar die Möglichkeit, in der Elbphilharmonie zu spielen, aber als Heimat können sie sich nichts Schöneres wünschen als die Laeiszhalle. Das gilt auch für viele unserer Solisten. Ich empfinde die Laeiszhalle daher nicht nur nicht als Schwierigkeit, sondern als großen Vorteil! Es ist einer der großen europäischen Konzertsäle, in einem Atemzug zu nennen mit dem Wiener Musikverein und dem Concertgebouw in Amsterdam, die auch ihre Stärken und ihre Schwächen haben. Die Laeiszhalle hat eine vergleichbare Qualität. Einen Chefdirigenten, der das anders sieht, werden die Symphoniker nicht haben.

Die neue Saison beginnt im September. In dieser Woche sind Sie noch in Japan unterwegs – was für ein Publikum haben Sie dort eigentlich?

Keine Touristen, ausschließlich die lokale Bevölkerung. Bislang hatten wir sehr zustimmende Reaktionen, würde ich sagen. Aber das ist ja weltweit so unterschiedlich: Ein israelisches Publikum zum Beispiel klatscht einmal und geht dann – und trotzdem bedeutet das nicht, dass es kein Erfolg war. In Aomori im Norden der Hauptinsel gab es Bravorufe, was zumindest die japanischen Kollegen wegen der Heftigkeit überrascht hat. Ich kann es eigentlich gar nicht beurteilen, es ist die erste Tournee der Symphoniker in Japan und mein erster längerer Aufenthalt. Fest steht: für eine Orchestertournee ist Japan wirklich ein tolles Land, es ist alles wahnsinnig gut organisiert, unglaublich pünktlich und zuverlässig. Und man kann grundsätzlich feststellen, dass Hamburg momentan in der klassischen Musikwelt einen sehr guten Klang hat.