Hamburg. Sie unterstützt mit ihrer eigenen Stiftung und einem Therapieprojekt Flüchtlinge an der Schule Osterbrook. Was Steffi Graf bewegt.

„Kunsttherapie – Behandlung“ stand auf einem Zettel im Obergeschoss der Ganztagsschule Osterbrook in Hamm. Etwa zehn Kinder aus Syrien, Irak und Afghanistan betraten am Freitag diesen Raum, um wenig später mit Regenbogen- und Krepppapier zu hantieren. Bald kamen Stoffe und funkelnde Folien dazu.

Mitten drin in diesem Spiel stand mit strahlendem Lächeln ein Weltstar. Ganz in Beige gekleidet, nahm die Frau ein farbiges Mädchen freundschaftlich in den Arm und blickte mit wachen Augen auf die Kinderschar: Steffi Graf (48), eine der erfolgreichsten Tennisspielerinnen, die es je gab. Als Vorsitzende ihrer Stiftung „Children for tomorrow“ war die Sportlerin, die in ihrer Karriere 22 Grand-Slam-Turniere gewann, von ihrer Wahlheimat Las Vegas in den USA nach Hamburg gereist.

Ein therapeutisches Angebot für den Schulalltag

In der Grundschule Osterbrook in Hamm stellte sie am Freitag mit Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) ein gemeinsames Projekt vor. Es trägt den Namen „Honighelden – Kinder für morgen stark machen“. Ziel dieser bundesweit einmaligen Initiative ist es, traumatisierten Kindern mit Fluchterfahrung Therapieangebote zu bieten. „Wir wollen sie mit einer Form von Therapie unterstützen, die mitten im Schulalltag integriert ist“, sagt Steffi Graf. Zweimal pro Woche gibt es Musik- und Kunsttherapie.

Was bis zu 60 Flüchtlingskindern an der Ganztagsschule Osterbrook helfen kann, hat nicht zuletzt mit dem Karriereende von Steffi Graf zu tun. Als sie sich aus dem Profi-Tennis zurückzog, wollte sie etwas Sinnvolles für andere Menschen tun. 1998 gründete Graf deshalb die Stiftung „Children for tomorrow“. Die Organisation hilft Kindern und Familien, die Opfer von Krieg, Verfolgung und organisierter Gewalt geworden sind. Außerdem unterstützt sie die Flüchtlingsambulanz für Kinder und Jugendliche im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).

Steffi Graf hilft traumatisierten Flüchtlingskindern

„Während meiner Tenniskarriere habe ich das Glück gehabt, viel zu reisen und viele Länder kennenzulernen“, sagte Steffi Graf, die selbst zwei Kinder hat und seit fast 16 Jahren mit Ex-Tennis-Profi Andre Agassi verheiratet ist. Auf diesen Reisen habe sie oft gesehen, unter welchen schrecklichen Bedingungen viele Kinder aufwachsen müssen. „Damals fasste ich den Plan, mich nach meinem Rückzug vom Profisport für die Zukunft dieser Kinder einzusetzen.“ Ihre Stiftung steht nun bereit, traumatisierten Flüchtlingskindern in Hamburg zu helfen. „Wichtig ist, dass hier Hilfe vor Ort im gewohnten Umfeld der Schüler geleistet wird und die niederschwelligen Therapieangebote in den Schulalltag integriert werden. Auch die Eltern werden in nachfolgende Einzeltherapien einbezogen“, sagt sie.

Wie groß der Bedarf an Unterstützung für Flüchtlingskinder ist, machte Schulsenator Ties Rabe deutlich. Im ersten Obergeschoss der Ganztagsschule setzte er sich dazu auf ein Sofa im Raum „Weltklasse“. Neben ihm Steffi Graf. Der Klassenraum wird für die Flüchtlingskinder zum Deutschunterricht genutzt. An den Wänden hängen Schautafeln des menschlichen Körpers, mit denen Singular und Plural (Fuß/Füße; Zahn/Zähne) erklärt werden. Gleich daneben grüßen gepresste Blätter einer deutschen Eiche.

Wie Ties Rabe sagte, gibt es rund 10.000 Flüchtlingskinder in ungefähr 100 Hamburger Schulen. Die Flucht habe bei ihnen tiefe seelische Wunden hinterlassen. Mit Hilfe der Kunsttherapie und „Honighelden“ könnten sie überwunden werden. Die Therapeuten sind in der Lage, während des gemeinsamen Spiels mit Farben, Collagen, beim Plastizieren und Malen relevante Symptome bei den Kindern zu erkennen und ihnen zu helfen. Wie schwer es Flüchtlingskinder haben, zeigt eine kleine Umfrage der Graf-Stiftung. Ein Kind wünscht sich zum Beispiel, dass es endlich richtig schlafen kann „und diese Gedanken weg sind“. Ein Junge möchte seine Familie wiederfinden. Die „bösen Träume“ und „keine Familie zu haben“ mache besonders traurig.

Viele Kinder mussten Gewalt mitansehen

Empirische Zahlen der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer belegen das ganze Ausmaß der Belastungen. „Das häufigste traumatische Ereignis bei in Deutschland lebenden Flüchtlingskindern und -jugendlichen ist, Zeuge von körperlichen Angriffen auf andere geworden zu sein (41 Prozent)“, heißt es in der Studie von 2015.

26 Prozent der Flüchtlingskinder mussten miterleben, wie Gewalt auf Mitglieder ihrer Familie ausgeübt wurde, vor allem durch militante Gruppierungen. Jedes fünfte Flüchtlingskind leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das sei 15-mal häufiger als bei in Deutschland geborenen Kindern, heißt es.

Drei Jahre lang soll das Projekt „Honighelden“ erprobt werden. Dann könnte es auf andere Schulen übertragen werden. „Honig“, sagt Graf, sei süß, multikulturell und mache stark. Und Honighelden stehen für HH, „also Hamburg“, fügt sie schmunzelnd hinzu.