Hamburg. Hartmut Dudde gilt unter Kollegen als großer Anführer, für Linke ist er ein Rechtsbrecher. Annäherung an einen “harten Hund“.

Vielleicht war es dieser eine Moment unter der Brücke im Schanzenviertel. Als die Wand der Schwarzvermummten näher kam, Böllerrauch die Luft füllte, Parolen, aggressive Rufe. Als aus einer Demonstration im Dezember 2013 eine offene Schlacht wurde. Als Anwohner weinend in Hauseingängen kauerten und Polizisten mit Linksextremen kämpften; ein Pflasterstein traf einen Beamten am Kopf. Als Hartmut Dudde den entscheidenden Befehl gab, die Linksextremen nicht vorrücken zu lassen. Und ihnen seine Beamten direkt entgegenstellte.

In dieser Sekunde wurde Hartmut Dudde für seine Gegner zu einer Art Erzdämon. Und für seine Kollegen endgültig zu einem großen Anführer. Er selbst sagt, er wollte damals nur irgendwie heil nach Hause kommen.

Dudde ist ein unauffälliger Mann

Man muss fast etwas enttäuscht sein, wenn man Hartmut Dudde zum ersten Mal persönlich sieht. Ein unauffälliger Mann, kein Riese. Kein großes Büro, schlichtes Grau im Polizeipräsidium. „Planungsstab G20“ steht an der Tür. Hartmut Dudde brütet dahinter über Einsatzplänen und Sicherheitszonen. Der Polizeidirektor ist der Hauptverantwortliche für die Sicherheit des G20-Gipfels. „Ohne Dudde geht nichts“, sagen Beamte. Sie sagen auch, dass er vieles allein mache. Hartmut Dudde weiß genau, dass die größte Herausforderung seiner Karriere kurz bevorsteht.

Er leitet einen 80-köpfigen Stab, der sich abschottet

Es sind noch knapp drei Wochen. Dudde sitzt einem 80-köpfigen Stab vor, der sich wie ein Geheimbund vom Rest des Präsidiums abschottet. Herein kommen alle Informationen, auch Besucher von Bundeskriminalamt, Secret Service, Kanzleramt. Heraus dringt nichts.

„Wir haben hier in Hamburg alles in der Hand. Null Einfluss von außen“, sagt Hartmut Dudde, er spricht in einem hemdsärmeligen Beamtenton. Wer ihn kennt, sagt, Dudde könne kumpelig sein, gut für ein gemeinsames Bier. Dann kippe seine Stimme ins Jungenhafte. Aber das muss man sich verdienen bei ihm.

Auf den Fluren des Präsidiums ist sein Ruf ein anderer. Der eines geborener Entscheiders, dem man „blind folge“. Hartmut Dudde wollte schon als Kind Polizist oder Feuerwehrmann werden, seit 33 Jahren ist er im Polizeidienst. Als Dudde zur Jahrtausendwende in leitender Funktion ins Polizeipräsidium wechselte, waren die Hamburger Polizisten als „Lau-Michel“ verschrien: eine lasche Truppe, die Linksextreme eher gewähren ließ, als die Konfrontation zu suchen. „Dudde hatte sofort seine Linie, konsequent und geradeaus“, sagt ein Wegbegleiter. Einer von der Sorte Polizist, die sich auch als Sozialarbeiter versteht, war Hartmut Dudde nie.

"Hartes Vorgehen"

Bald nach seiner Beförderung zum Chef der Bereitschaftspolizei im Jahr 2005 macht sich Dudde – gemeinsam mit dem Gesamteinsatzleiter Peter Born – einen Namen. Bei heiklen Demonstrationen wird nun massive Stärke aufgefahren, jedes Vergehen der Demonstranten geahndet. Wer sich vermummt, Flaschen wirft, Barrikaden baut, wird aus dem Verkehr gezogen. Das harte Vorgehen geht mit der Zeit als „Hamburger Linie“ bundesweit in den Jargon von Polizisten ein.

Das sei nicht sein Begriff, sagt Dudde, aber eine klare Haltung habe er durchaus: „Was im Gesetz steht, wird durchgesetzt. Wir können ja auch gar nicht anders.“ Der gebürtige Karlsruher sieht das mit badischem Pragmatismus. Es gebe vorgeschriebene Eskalationsstufen bei Verstößen von Demonstranten: erst verbale Ermahnung, dann Zwang. Zuerst etwa mit Wasserwerfern, im äußersten Fall mit Schlagstöcken.

Linksextreme nennen ihn „notorischen Rechtsbrecher“

Seine Untergebenen schätzen Hartmut Dudde auch deshalb, weil er nicht zuerst an unbegrenzte Versammlungsfreiheit denkt, sondern an die Gesundheit der Beamten. Weil er die Helme aufsetzen lässt, bevor ein Polizist verletzt wird – auch wenn das die Gegenseite provoziert. Weil er versteht, dass die Mehrheit der Beamten lieber zu Hause bei ihren Familie wäre. Hartmut Dudde selbst kann nach all den Jahren noch immer nicht nachvollziehen, warum Linksex­treme überhaupt Beamte körperlich angreifen wollen: „Eigentlich ist das irre“, sagte er im Jahr 2015 der „Welt“. In seiner Realität ist die Polizei nur der Schiedsrichter, den es eben brauche.

Für Regierende ist Dudde mit dieser Linie ein wertvoller Mann. Beim Nato-Gipfel 2009 in Straßburg wird die Hamburger Polizei unter Duddes Führung extra angefordert, die zentrale Europa-Brücke gegen randalierende Autonome zu bewachen. Der frühere Innensenator Michael Neumann (SPD) bekannte gar: „Ich bin ein Dudde-Fan.“ Der Einsatzleiter hat noch mehr als nur strategischen Wert. Er dient auch als Blitzableiter.

"Eigene Profilierung"

In Internet-Foren linker Gruppierungen gibt es lange Abhandlungen über Hartmut Dudde, sie nennen ihn einen „chronischen Rechtsbrecher“. Mit seinem harten Vorgehen provoziere Dudde erst Krawalle, er sei ein Feind der Demonstrationsfreiheit, sehe den Demo-Einsatz als Chance zur eigenen Profilierung. Seine Entscheidung, die Demons­tration am 21. Dezember 2013 unter jener Bahnbrücke im Schanzenviertel zu stoppen, weil der Zug der Linken zu früh starten wollte, ist bis heute umstritten. Bei den folgenden Krawallen wurden 169 Polizisten und bis zu 500 Demons­tranten verletzt.

Die mehr als 3000 Linksextremen hätten an jenem Tag ohnehin nur Krawall gewollt – Dudde habe das Ausmaß noch in Grenzen gehalten, heißt es dagegen aus seinem Umfeld. Dudde kann mit seiner Rolle als Erzfeind der linken Szene gut leben. „Es ist nicht gerade so, dass er deswegen schlaflose Nächte hätte“, sagt ein Mitarbeiter.

Ähnlich hält er es mit Urteilen, die das Vorgehen bei seinen Einsätzen für rechtswidrig erklärten. Demnach wurden Demonstrationen zu früh aufgelöst, etwa die Länge von Transparenten unzulässig begrenzt. Solche Urteile werden als Kollateralschäden hingenommen. „Dudde genießt eine große Beinfreiheit“, heißt es. Es gibt auch keinen anderen aktiven Polizisten, der in den gefährlichsten Momenten so erfahren ist.

Er zögert nicht

Er habe nicht lange überlegen müssen, wen er zum Chefplaner für den G20-Gipfel mache, sagt Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Die internen Kämpfe hat Hartmut Dudde alle gewonnen. Die anonymen Polizeiführer, die Dudde und seinen Verbündeten einst in einem Brandbrief „diktatorische“ Züge vorwarfen, sind nicht mehr im Dienst. Stefan Schneider, der nach Duddes Beförderung zum Gesamteinsatzleiter die behelmten Hundertschaften kommandierte, trat entnervt zurück.

„Wer zögerlich ist, passt nicht zu Dudde“, sagt ein Beamter. Die aktuellen Mitarbeiter sagen, Hartmut Dudde sei ein Mann, den man nicht enttäuschen will. „Wenn eine Sache ausgeräumt ist, bleibt nichts über. Auch deshalb ist er ein guter Vorgesetzter. Aber er kann sehr hart sein“, sagt ein Beamter.

Am Donnerstag dieser Woche sitzt Hartmut Dudde auf einem Podium im Präsidium, Pressekonferenz zum Gipfel. Polizeipräsident Meyer und ein Polizeisprecher parieren kritische Fragen zum groß angelegten Demonstrationsverbot, Dudde schweigt lächelnd daneben. Wie denn die Strategie der Demonstranten aussehe, fragt eine Reporterin. Als sie sagt, die Hamburger Polizei sei als „nicht zimperlich“ bekannt, schiebt sich Duddes linker Mundwinkel nach oben.

„Wir werden so vorgehen wie immer in Hamburg“, antwortet er. Straftäter werden herausgezogen und festgenommen, ob da nun 100 oder 100.000 Demonstranten stehen.

Und was, wenn da Schüler sind, die eine wichtige Straße blockieren?

„Wir reagieren verhältnismäßig. Aber ein Verbot ist ein Verbot. Es hilft ja nichts.“ Es scheint in diesem Moment kaum etwas zu geben, das Hartmut Dudde noch weniger für ein Problem hält.

Die Strategie für den Gipfel hängt an seiner Person

Ein Reporter des Deutschlandfunks will Dudde direkt auf die Urteile ansprechen, auf die Vorwürfe des Rechtsbruchs. Der Polizeipräsident übernimmt das Wort und kanzelt das als „Legenden“ ab. Sie wollen schon zur nächsten Frage übergehen, da macht Dudde dem Reporter gegenüber eine Geste. Später, nach Ende der Veranstaltung, diskutieren beide die Sache in einer Ecke aus. Sie geben sich fest die Hand. Beide lächeln.

Er habe sich anfangs schon gefragt, warum eigentlich er das Riesenprojekt G20-Sicherheit leiten solle, sagt Hartmut Dudde später. „Aber jetzt freue ich mich darauf.“ Er hat den Fernsehsendern noch Interviews gegeben, der Rücken zwickt höllisch, aber mehr als ein einziges kurzes Vorbeugen auf die Knie gönnt er sich in der ganzen Zeit nicht.

Abends die Uniform ablegen

Dudde war immer ein Arbeitstier, sagen Kollegen. Vor einigen Wochen erkrankte er, es brach Hektik im Apparat aus. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ließ sich sofort informieren. Einzelne Hundertschaftsführer sagen, wenn Dudde einmal ausfallen sollte, würden sie sich nicht zutrauen, im selben Tempo harte Entscheidungen fällen zu können. Nach fünf Fehltagen war Dudde wieder von morgens bis abends im Präsidium.

Wie er den ganzen Stress bewältige? „Mir ist es immer gelungen, die Arbeit abends mit der Uniform abzulegen.“ Es gibt noch eine andere Welt des Hartmut Dudde, ein Haus südlich von Hamburg mit Ehefrau, zwei Kindern und Garten. Zum Abschied sagt er, er habe ein gutes Gefühl für den Gipfel. „Von mir aus wäre es schön, wenn es jetzt bald losgeht.“