Hamburg. Immer mehr Länder kehren zu G9 am Gymnasium zurück. In der Hansestadt gilt der Schulfrieden – bis 2020.

Der Blick der rot-grünen Rathaus-Koalitionäre nach Nordrhein-Westfalen verheißt derzeit nichts Gutes: Auf die Laune der Hiesigen schlägt nicht nur, dass das gleichfarbige Bündnis in Düsseldorf vor ein paar Wochen abgewählt worden ist. Am Mittwoch hat die Volksinitiative „G9-Jetzt“, die die Rückkehr zu dem um ein Jahr längeren Weg zum Abitur an Gymnasien fordert, Halbzeitbilanz gezogen. Rund 500.000 der erforderlichen 1,1 Millionen Unterstützer-Unterschriften sind innerhalb von sechs Monaten gesammelt worden. Rot-Grün in Hamburg hält vorerst strikt an G8 für die Gymnasien fest; G9 bieten die Stadtteilschulen flächendeckend an.

„Wir können es gut schaffen, aber wir müssen uns anstrengen“, sagte ein Sprecher der NRW-G9-Initiative. Bis Ende Oktober muss das Quorum erreicht sein, um die Fristen einzuhalten. Es wäre das erste erfolgreiche Volksbegehren in NRW seit fast 40 Jahren. Da kann ein leidgeprüfter Bürgerschaftsabgeordneter, dem alle naslang eine Volksinitiative das parlamentarische Wasser abzugraben droht, ganz neidisch werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

G8-Phalanx in den Ländern wackelt

Vielleicht ist der Kraftakt des Volksbegehrens an Rhein und Ruhr gar nicht mehr nötig, denn die Koalitionspartner in spe – CDU und FDP – haben sich in ihren Verhandlungen am Mittwoch bereits auf eine prinzipielle Rückkehr zu G9 verständigt. Danach sollen die Gymnasien grundsätzlich in neun Jahren zum Abitur führen (plus vier Jahre Grundschule). Standorten, die an dem um ein Jahr schnelleren Weg festhalten wollen, soll dies unbürokratisch ermöglicht werden.

Die Entwicklung im einwohnerreichsten Flächenland erhöht den politischen Druck, auch in Hamburg zu G9 zurückzukehren. Es ist längst so, dass die G8-Phalanx in den westdeutschen Ländern bedenklich bröckelt – Koalitionsfarben sind dabei nicht einmal entscheidend. Das rot-grün regierte Niedersachsen hat die Rolle rückwärts zu G9 bereits vollzogen. Auch die CSU in Bayern ist dabei, diesen Schritt zu gehen. Und nun Schleswig-Holstein, wo der Wahlsieger Daniel Günther (CDU) nicht zuletzt mit dem Versprechen gepunktet hat, G9 an den Gymnasien wieder einzuführen. Schon argwöhnt mancher, Hamburg könnte in naher Zukunft das kleine gallische Dorf sein, das an G8 festhält.

Jahre überstürzter Reformen

Nun ist die Lage im Stadtstaat mit seinen kurzen Wegen insofern anders als in Flächenländern, als für jedes Kind nach der Grundschulzeit G9 auch schon jetzt gut an einer Stadtteilschule erreichbar ist. Jedem, der will, steht die längere Schulzeit also offen. Und: Trotz G8 ist der Zulauf zu den Gymnasien in den vergangenen Jahren größer geworden. Hinzu kommt, dass CDU, SPD und Grüne 2010 einen Schulfrieden geschlossen haben, der eine Änderung der Schulstruktur bis 2020 ausschließt. Alle drei Parteien haben erklärt, sich daran halten zu wollen.

Danach könnte allerdings Schluss mit dem Frieden sein, der nach Jahren überstürzter Reformen geschlossen wurde, um den Schulen mehr Ruhe zu eigenständiger Entwicklung zu geben. Mit Blick auf die nächste Bürgerschaftswahl, die passenderweise 2020 stattfindet, hat der Landesvorstand der CDU die Bildungsexperten der Partei jetzt gebeten, bis zum Jahresende eine Empfehlung zum Komplex G8/G9 auszusprechen. Dabei dürfte die erfolgreiche Wahlkampfstrategie der schleswig-holsteinischen Parteifreunde durchaus eine Rolle spielen. Es war übrigens ein CDU-geführter Senat, der 2002 G8 in Hamburg startete.

Keine starke Bewegung zurück zu G9

Deutliche Sympathien für die Rückkehr zu G9 zeigten nur die Linken, die allerdings forderten, dann müssten auch die Gymnasien Verantwortung zum Beispiel für die Inklusion übernehmen, die bislang praktisch allein Aufgabe der Stadtteilschulen ist. Die beiden Schulformen wären dann ohnehin nicht mehr so richtig zu unterscheiden. „Wieso denkt ausgerechnet die CDU darüber nach, die Schule für alle zu schaffen?“, fragt Grünen-Bürgerschaftsfraktionschef Anjes Tjarks.

Nun gibt es bislang keine starke Bewegung zurück zu G9 in der Stadt. Im Gegenteil: Vor knapp drei Jahren scheiterte das Volksbegehren „G9-Jetzt“ deutlich am erforderlichen Quorum. Als das Abendblatt in dieser Woche Leser online nach ihrer Meinung fragte, sprachen sich aber 73 Prozent für G9 am Gymnasium aus – nicht repräsentativ. Es könnte sein, dass (Bauch-)Gefühl gegen Vernunft steht.

 Lage ist unübersichtlich

„Der Hamburger Weg ist weiter richtig“, sagt SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel. Alle Argumente, die 2014 beim Volksbegehren gegen G9 sprachen, seien unverändert gültig. Nun ist die Rückkehr zu G9 auch in Schleswig-Holstein kein Selbstgänger. Zwar geht die Reise nach „Jamaika“ nach dem großen Krach weiter, wie CDU, FDP und Grüne am Freitag betonten. Aber in der Bildung hakt es unter anderem bei G9. Dabei soll vor allem die Frage der Finanzierung eine Rolle spielen. Ein klarer Schwerpunkt soll der Ausbau des schulischen Ganztags sein, auch der Kitabereich soll gestärkt werden – da darf die G9-Reform schon fast nichts mehr kosten, was illusorisch ist. Aus Bayern ist zu hören, dass die Umstellung auf das alte System einen hohen dreistelligen Millionenbetrag kosten soll.

Die Lage ist ein wenig unübersichtlich, und das ist häufig die Zeit für unkonventionelle Vorschläge. Die Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg sieht vor allem das Imageproblem der Stadtteilschulen. Sie hat auf Facebook vorgeschlagen, alle Stadtteilschulen und Gymnasien einfach in „Stadtteil-Gymnasien“ umzubenennen, wobei die Schulen selbst entscheiden, ob sie G8 oder G9 anbieten. Ob’s hilft?