Hamburg. Innenbehörde hält Camp der 10.000 Gegner für „unvertretbar“ – auch weil Staatsgäste am Stadtpark vorbeifahren. Veranstalter: „Wir werden alles tun, um Schäden zu verhindern“
und Oliver Schirg
Sie arbeiten schon an einem Lageplan ihrer Zeltstadt. Bis zu 10.000 Menschen sollen von Ende Juni bis zum Ende des politischen Gipfels am 8. Juli im Stadtpark campieren – vom See über die Festwiese bis zur Otto-Wels-Straße. Vorn zwei Bühnen. Hinten viele „Barrios“, also Quartiere von Teilnehmern aus Deutschland, Europa und den USA. „Jeder ist willkommen“, sagt ein Sprecher der Organisatoren. Für die Polizei wäre es das denkbar schlechteste Szenario.
Aus Sicherheitsgründen hatte der Senat das Protestcamp im Stadtpark von Beginn an abgelehnt. Durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts gilt die geplante Zeltstadt nun aber rechtlich als politische Versammlung. Die Behörden müssen damit versammlungsrechtliche Gründe angeben, um das Camp noch zu verhindern. In scharfer Wortwahl bezeichnen Polizei und Innenbehörde in einer Reaktion nicht nur den Standort, sondern das Camp selbst als „unvertretbar“.
Nach Abendblatt-Informationen gibt es zwei wesentliche Bedenken: Einerseits führen Protokollstrecken für die Staatsgäste direkt am Stadtpark vorbei. Zudem liegt das Polizeipräsidium in unmittelbarer Nähe. „Das Camp hat eine zentrale Funktion in der Selbstorganisation der militanten Gipfelgegner“, sagt Polizeisprecher Timo Zill.
Die Organisatoren haben nach Einschätzung des Verfassungsschutzes eindeutig linksextremistische Bezüge. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) warf den Gipfel-Gegnern bereits am Mittwoch vor, sich nicht genügend von Gewalt zu distanzieren. Auf die Anmerkungen, dass die Demonstranten einen Platz zum Schlafen bräuchten, sagte Scholz: „Es ist nicht so, dass ich einen Hotelbetrieb betreibe.“ Eine Entscheidung darüber, die Einstufung als politische Demonstration anzufechten, ist noch nicht gefallen. In Sicherheitskreisen wird davon ausgegangen, das Camp im Stadtpark – ähnlich wie die vorgesehenen innerstädtischen Routen von Großdemonstrationen während des Gipfels – auch mithilfe des Versammlungsrechts noch verhindern zu können.
Anmelder würden für Schäden im Stadtpark kaum haften
Das Verwaltungsgericht wies in seinem Urteil ausdrücklich darauf hin, dass im Rahmen der versammlungsrechtlichen Verfügung auch der Schutz der in der Grünanlage vorhandenen Pflanzen und Tiere, die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Camps, ein hinreichendes Sicherheits- und Rettungskonzept sowie die Belange der Anwohner zu berücksichtigen seien. Dem aber könne das Gericht nicht vorgreifen. Der Leiter des Bezirksamts Nord, Harald Rösler (SPD), sagte, der Aufbau und Betrieb so eines großen Camps seien mit einem „extrem hohen technischen und organisatorischen Aufwand“ verbunden. „Ich sehe da bislang keine entsprechenden Konzepte und Vorbereitungen.“ Zudem gebe es „keinen professionellen Ansprechpartner, von dem ich weiß, der so ein Camp umsetzen kann“.
Die Anmelder des Camps halten die Befürchtungen vor gewaltbereiten Teilnehmern und Krawallen dagegen für politisches Kalkül. „Wir werden alle Maßnahmen ergreifen, um Schäden an der Grünfläche zu verhindern“, sagte ein Sprecher der Organisationsgruppe dem Abendblatt. Es sei auch bereits angeboten worden, beim Aussäen neuer Rasenflächen zu helfen.
Eine Privatperson fungiert als offizieller Anmelder. Das Urteil hat für sie rechtliche Vorteile: Wenn sie die versammlungsrechtlichen Auflagen der Polizei erfülle, hafte sie voraussichtlich nicht mehr für Sachschäden an der Fläche, sagte der Rechtsanwalt Martin Klingner, der die Organisatoren vertritt. „Es besteht eine Bereitschaft zur Kooperation. Die Gegenseite muss nach dem Urteil nun das Gespräch suchen.“ Der SPD-Innenpolitiker Arno Münster sagte zu dem Urteil: „Da ist juristisch sicher das letzte Wort noch nicht gesprochen.“
Die Grünen-Politikerin Antje Möller verwies auf die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien. Das Protestcamp werde jetzt mit den Maßstäben einer Versammlung bewertet. „Das bedeutet Rechte, aber auch Pflichten für die anmeldenden Personen. Und es bedeutet eine Abwägung von Sicherheitsbedenken gegenüber einer Einschränkung von Grundrechten.“
Der CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator forderte den Senat auf, alle Möglichkeiten zu prüfen, um dieses Camp in dieser Form zu unterbinden. „Klar ist: Es gibt keinen Anspruch auf Schlafplätze. Die Sicherheit aller Beteiligten muss Priorität haben.“
Der FDP-Innenpolitiker Carl Jarchow warf dem Senat Unehrlichkeit vor. Um das Protestcamp zu verbieten, werde es nicht ausreichen, sich auf das Grünanlagenrecht zu berufen. „Unserer Meinung nach müsste man die Wahrheit sagen, nämlich, dass man es nicht möchte, weil von so einem Camp Gewalt ausgehen könnte“, sagte Jarchow.
Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Christiane Schneider, begrüßte das Urteil. „Der versammlungsrechtliche Charakter steht bei dem Camp nach Auffassung des Gerichts im Vordergrund, es steht damit unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit und ist grundsätzlich einmal erlaubnisfrei.“