Hamburg. Private Anleger bekommen höchstens 6,7 Prozent ihres Geldes zurück. Wie die Reederei in die Krise geriet – der Hintergrund.
10:15 Uhr, Sitzungssaal Graf Zeppelin im Courtyard Hotel Marriott am Flughafen Fuhlsbüttel. Rund 75 Menschen haben sich versammelt, alle sind Gläubiger einer Anleihe der Rickmers Reederei. Sie waren auf das große Geld aus und stehen jetzt mit fast leeren Händen da. Denn die Rickmers Gruppe hat wenige Augenblicke zuvor beim Amtsgericht Hamburg Insolvenz angemeldet. Die Stimmung ist gedrückt. Eigentlich sollten die Anleihegläubiger über ein Sanierungskonzept für die Not leidende Reederei abstimmen. Aber die HSH Nordbank hat kurzfristig den Geldhahn zugedreht. Jetzt geht es für die Gläubiger nur noch darum, gemeinsam eine Person zu bestimmen, die ihre Interessen in der Insolvenz vertritt.
„Auf den Schock muss ich jetzt erst einmal einen Kaffee trinken“, sagt ein Anleger. „Bis gestern habe ich noch gedacht, dass die Bank und das Unternehmen unter einer Decke stecken“, sagt ein anderer. Es sind Kleinanleger vor Ort, im T-Shirt und mit Jutebeutel unter dem Arm, aber auch Vertreter institutioneller Anleger in teuren Anzügen, ein Ohr am Handy, um sich mit den Klienten abzustimmen.
Was wird aus dem Geld?
In kleinen Gruppen stehen sie herum und diskutieren vor dem Versammlungsbeginn, was jetzt aus ihrem Geld wird. Annähernd neun Prozent Zinsen sollte die 275 Millionen Euro umfassende Anleihe bringen. Jetzt ist sie nur noch einen Bruchteil des eingesammelten Geldes wert. „Ich habe die denkbar schlechtestes Meinung über diese Firma“, sagt einer, der mehr als 10.000 Euro in die Rickmers-Anleihe investiert hat.
Hinter verschlossenen Türen wird dann diskutiert. Mehrere Gläubiger sprechen sich für eine Restrukturierung des insolventen Unternehmens in Eigenverantwortung des Vorstandes aus. Sie befürchten, dass das Unternehmen andernfalls zerschlagen wird und für die Gläubiger gar nichts übrig bleibt. Zum gemeinsamen Gläubigervertreter wird der Münchner Spezialist für Anleihesanierungen, One Square Advisor, gewählt. Dessen Chef Frank Günther sagt: „Viel mehr können wir heute nicht klären. Alle stehen noch unter dem Eindruck der dramatischen Entscheidung der HSH Nordbank.“ Das Abendblatt erklärt im Folgenden, was passiert ist und wie es nun weitergeht.
Wer steckt hinter der Reederei?
1982 hat der Hamburger Schifffahrtsunternehmer Bertram Rickmers seine Firmengruppe gegründet – und damit eine alte Familientradition aufgegriffen. Die „Rickmer Rickmers“ im Hamburger Hafen zeugt heute noch von der Schifffahrtsfamilie, die bereits vor 1900 einen regelmäßigen Liniendienst nach Ostasien betrieb. Das Unternehmen wurde später verkauft. In fünfter Generation gründeten Bertram und sein Bruder Erck Rickmers später voneinander unabhängige Schifffahrtsunternehmen in Hamburg. Und beide profitierten vom starken Wachstum der Containerschifffahrt. Bertram Rickmers schuf ein Unternehmen von Weltrang mit einem Umsatz von mehr als 580 Millionen Euro. Seine Flotte umfasst 114 Schiffe.
Warum ist die Firma in die Krise geraten?
Der Niedergang begann mit der durch die Lehman-Pleite ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008. Infolgedessen erlebte ab 2009 auch die Handelsschifffahrt einen Einbruch, dessen Folgen noch heute andauern. Das Ladungsaufkommen ging zurück, während die Werften weiterhin viele Schiffsbestellungen abarbeiteten. Dies führte zu riesigen Überkapazitäten an Schiffen und zugleich zu sinkenden Charterraten – eine schwierige Kombination. Die Rickmers-Gruppe, die als Charterunternehmen ihre Schiffe an Linienreeder vermietet, bekam das besonders deutlich zu spüren: Charterverträge wurden ihr gekündigt oder nur zu unauskömmlichen Mietkonditionen verlängert. Dadurch kam es zu Verlusten. Unterm Strich hat die Rickmers-Gruppe im vergangenen Jahr ein Minus von 341 Millionen Euro erwirtschaftet. Der Schuldenberg beträgt 1,5 Milliarden Euro.
Was hat zur Insolvenz der Reederei geführt?
Das Unternehmen hat seit ungefähr einem Jahr an einem Sanierungskonzept gearbeitet. Der Plan sah einen erheblichen Verzicht auf allen Seiten vor, dennoch waren die Erfolgsaussichten unsicher. Größter Gläubiger ist die HSH Nordbank, die Kredite im Wert von mehr als 700 Millionen Euro in die Rickmers-Gruppe investiert hat – vor allem zum Kauf von neuen Schiffen. Obwohl sie an dem Sanierungsplan mitgearbeitet hat, wollte sie ihm am Ende nicht zustimmen.
Was hat die HSH Nordbank zum
Rückzug bewogen?
In allen Phasen der Vorbereitung der Restrukturierung hat die HSH Nordbank gesagt, dass ihre Zustimmung noch unter Gremienvorbehalt stehe. So las man im Sanierungsplan, dass aufgrund der aktuellen Entwicklung noch Änderungen möglich seien. Der Bankvorstand hat das Konzept nun nach einer Überprüfung abgelehnt. Die HSH begründet diesen Schritt damit, dass der Sanierungsplan betriebswirtschaftlich nicht tragfähig gewesen wäre. Gläubiger werfen der Bank hingegen vor, sie habe falsch gespielt, indem sie einerseits an dem Sanierungsplan mitarbeitete, andererseits aber auch nach anderen Möglichkeiten zur Rettung ihres Geldes suchte. Offenbar springt für sie trotz Insolvenz mehr Geld heraus als im Falle des Sanierungsplans.
Haben Anleger Chancen, Geld
zurückzubekommen?
Im Prinzip ja. Zum einen versucht der Vorstand der Rickmers Reederei in einer Planinsolvenz, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten und weitere Erlöse zu erzielen. Zum anderen bedeutet Insolvenz nicht, dass das Unternehmen keinen Wert mehr hat. Im Gegenteil: Die Rickmers Reederei verfügt über außerordentlich hohe Werte, nämlich ihre Schiffe. Die größten davon sind trotz Schifffahrtskrise jeweils mehr als 100 Millionen Euro wert und könnten verkauft werden. Allerdings werden die Banken darauf achten, dass sie als Erste ihr Geld wiedersehen. Kleine Anleger bekommen nur wenig. Die Hamburger Insolvenzrechtskanzlei Brinkmann & Partner hat bereits errechnet, was die Anleger im Falle der Insolvenz zu erwarten haben: Demnach bekommen sie im besten Falle 6,7 Prozent ihrer Anlagesumme zurück, im schlechtesten Falle nur 2,8 Prozent.
Wie trifft die Insolvenz Eigentümer
Bertram Rickmers?
Die Insolvenz erstreckt sich auf das Firmenvermögen und nicht auf das Privatvermögen von Bertram Rickmers. Er wird zwar auf künftige Einkünfte aus dem Unternehmen verzichten müssen. So hat er sich bisher beispielsweise die Nutzung der Markenrechte bezahlen lassen. Sein Vermögen bleibt aber unangetastet.