Hamburg. Das Gefängnis ist auch ein mittelständisches Unternehmen. Was die Häftlinge genau machen und wie viel sie verdienen.

Auf den ersten Blick sieht der Raum aus wie eine ganz normale Großküche. Es gibt riesige Kochtöpfe und Bräter auf spiegelblanken Metallflächen. Zwei Männer in weißen Hosen schälen Zwiebeln. Eimerweise. Dann fällt auf: Vor den Fenstern sind dicke Gitterstäbe, die Wand zum Flur ist aus Glas. „Ich habe meine Jungs immer im Blick“, sagt Christian Hackert. Das hört sich lässig an, ist aber durchaus ernst gemeint. Denn die 30 Mitarbeiter in der Küche haben zum Teil schlimme Verbrechen begangen: Diebstahl, Raub, Totschlag, auch Mord – zusammen mehr als 150 Jahre Knast. Jetzt kochen sie 450 Mittagessen am Tag. Heute stehen Schmorkohl, Röstkartoffeln und Geflügelbratwurst auf dem Speiseplan, zum Nachtisch gibt es Obst. „Das klappt sehr gut“, sagt der 46-jährige Ausbilder. Es gibt sogar Messer in seiner Küche.

Zwölf Betriebe

Hinter den hohen Mauern der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, bekannter als Santa Fu, verbirgt sich nicht nur Gefängnisalltag mit Zellen, Hofgang und Hunderten Schlössern. Es gibt auch zwölf Betriebe von B wie Bäckerei bis S wie Schlosserei. Der bekannteste Knast Hamburgs, in dem nur die richtig schweren Jungs einsitzen, ist auch ein mittelständischer Arbeitgeber mit einem Jahresumsatz von knapp einer halben Million Euro. Etwa 320 Jobs für Strafgefangene gibt es auf dem Zwölf-Hektar-Gelände, zu dem auch die Sozialtherapeutische Anstalt gehört. „Bei denen, die hier dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, haben wir quasi Vollbeschäftigung“, sagt Jan Meyer, Leiter des Berufsentwicklungszentrums der JVA.

Auch 55 JVA-Bedienstete arbeiten in den Betrieben, drei Stellen sind im Moment unbesetzt. Der Schwerpunkt liegt auf Ausbildung und Qualifizierung mit insgesamt 50 Lehrstellen und diversen Schulungsprogrammen in Zusammenarbeit mit Handelskammer, Handwerkskammer, Innungen und TÜV Nord. Denn: Viele Gefangene haben keinen Beruf gelernt.

Arbeit ist ein wichtiger Baustein

„Arbeit“, sagt die stellvertretende Anstaltsleiterin Christina Schermaul, „ist ein wichtiger Baustein für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.“ Offiziell heißt der Bereich Gefangenenarbeitswesen und ist gesetzlich verankert. Die Häftlinge haben danach eine Verpflichtung zu arbeiten, aber keinen Anspruch auf einen Job. Die allermeisten wollen arbeiten. Denn: Arbeitslosigkeit im Knast bedeutet 23 Stunden in der Zelle. „Für die Strafgefangenen ist es zudem wichtig, Geld zu verdienen“, sagt Schermaul.

Auch wenn kein Mindestlohn gezahlt wird. Die Strafgefangenen in Santa Fu verdienen zwischen 8,50 und 15 Euro – am Tag. Geld gibt es nur für tatsächlich geleistete Arbeit, also nicht bei Krankheit oder Nicht-Erscheinen. Drei Siebtel des Verdienstes stehen zur direkten Verfügung, der Rest wird auf einem Überbrückungsgeldkonto für die Zeit nach der Haftentlassung angespart.

Ausrücken zur Arbeit

Drinnen beginnt der Tag um 5.45 Uhr mit dem Wecken und dem, was im Knastalltag Lebenskontrolle heißt. Kurz vor 7 Uhr ist: „Ausrücken zur Arbeit“. Jan Kruse (Name geändert) ist einer, der sich jeden Morgen darauf freut. Der 22-Jährige ist wegen Totschlags verurteilt. Jetzt macht er eine Lehre zum Maler und Lackierer, ist im zweiten Jahr. „Den meisten Strafgefangenen, die zu uns kommen, fehlt eine Arbeitsstruktur“, sagt Heike Hausotte-Gebauer, die mit viel Herzblut Ausbildung und Qualifizierung koordiniert. Sich vernünftig anziehen, pünktlich sein, Aufgaben abarbeiten, das ist Erziehungsarbeit, die auch im Justizvollzug geleistet werde, sagt die 57-Jährige. Alle Strafgefangenen in Santa Fu durchlaufen zudem einen Profiling-Prozess, bei dem ihre beruflichen Eignungen und Kenntnisse überprüft werden. Für Jan Kruse, der zuvor im Jugendvollzug einsaß, ist die Ausbildung eine echte Zukunftschance. „Ich will weiterkommen“, sagt der junge Hamburger mit polnischen Wurzeln und ordentlich Muskeln. Er hat eine Verlobte und ein Kind. Noch vier Jahre Reststrafe trennen ihn von einem Leben draußen.

Es werden Schürzen verpackt

Etwa 60 Prozent der Arbeitsleistung in den Gefängnisbetrieben gehen in die Eigenversorgung. Fenster erneuern, Brot backen, Gartenpflege, Maurerarbeiten, Putzdienst und auch neue Gitterstäbe – das machen die Strafgefangenen selbst. „Aber wir produzieren auch für private Kunden und Firmen“, sagt der kaufmännische Leiter Karl Uhlmann. In den Fertigungshallen werden Ersatzteile für die Autoindustrie konfektioniert, OP-Schürzen gefaltet und verpackt, Flaschen für die Gin-Marke Elephant etikettiert. Natürlich ohne Inhalt. Man kann auch Brötchen „made im Knast“ bestellen, Gartenmöbel bauen lassen oder Küchen. „Voraussetzung ist, dass die Aufträge innerhalb der Gefängnismauern erledigt werden können“, sagt der stellvertretende Leiter der Tischlerei, Rainer Thielecke.

Im vergangenen Jahr waren 1057 Gefangene in Hamburg in Beschäftigung, davon 204 in schulischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen. Die Beschäftigungsquote in insgesamt 85 Betrieben liegt bei 62,4 Prozent. Das, was die Arbeit der Stadt einbringt und in den Justizhaushalt zurückfließt, wird genau registriert: „Der Einsatz von Gefangenen in Eigen- und Unternehmerbetrieben hat im Haushaltsjahr 2016 zu Einnahmen in Höhe von 1.349.766 Euro geführt“, teilt die Justizbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit. Sehr offensiv geht die Verwaltung nicht mit den Produkten um, die hinter Gefängnismauern hergestellt wurden. Eine Preisliste oder einen Online-Shop, wie ihn andere Bundesländer haben, gibt es nicht. Eine Palette von pfiffigen Waren unter dem Label Santa Fu HH, wie etwa das Kochbuch Huhn in Handschellen oder ein Handtuch mit der Aufschrift Strafvollzug, wird inzwischen in der Werkstatt der JVA Glasmoor hergestellt. Studenten der Fachhochschule Wedel haben den Webshop neu konzipiert und online gestellt.

Komfortable Lage

Im Prinzip ist die Lage des Unternehmens Knast komfortabel. „Unser Auftrag ist, wirtschaftlich ergiebige Arbeit anzubieten, aber wir müssen keinen Gewinn machen“, sagt Uhlmann. Trotzdem ist der Anspruch, mit der Arbeit auch Geld zu verdienen, vorhanden. Dabei ist die Akquise eine Gratwanderung. Denn Produkte und Dienstleistungen aus dem Gefängnis müssen zu marktüblichen Preisen angeboten werden, um den ortsansässigen Handwerkern nicht in die Quere zu kommen. Sie müssen aber auch genauso gut sein. „Niemand gibt uns einen Auftrag, nur weil im Gefängnis produziert wird“, sagt Kaufmann Uhlmann. Am besten laufen die Geschäfte derzeit in der Santa-Fu-Bäckerei mit einem Jahresumsatz von 175.000 Euro und in der Druckerei mit einem Umsatz von 280.000 Euro.

In dem großen Raum stehen mehrere Druckmaschinen, eine weitere der neuesten Generation ist bestellt. „Die Auftragslage ist gut“, sagt Betriebsleiter Lutz Böhmcke, 62 Jahre, schlohweißes Haar, gelernter Schriftsetzer und Drucker mit Zusatzausbildung für die Arbeit im Strafvollzug. An mehreren Stellen türmen sich Stapel mit roten Mappen. Sogar die Hamburger Staatsanwaltschaft bestellt die Aktendeckel für die Ermittlungsarbeit regelmäßig in der Gefängnisdruckerei, allein in diesem Jahr waren es 240.000. Dahinter steckt echte Handarbeit. An einem Tisch faltet ein Mann die Metallbügel zum Abheften, ein zweiter verankert sie in den roten Pappdeckeln, der dritte klebt Stofflaschen an, damit die Unterlagen nicht herausrutschen. „Der Auftrag muss dringend raus“, sagt Böhmcke, der mit seinem Team aus insgesamt 30 Strafgefangenen und fünf JVA-Mitarbeitern auch Broschüren, Zeiterfassungskarten und Terminzettel für Kirchen, Sportvereine und Arztpraxen druckt.

Der Tagesablauf ist exakt durchgeplant

Der Tagesablauf im Gefängnis ist exakt durchgeplant, mit Wegezeiten, Mittagessen in der Zelle, Rückkehr an den Arbeitsplatz. Die klare Struktur hilft dabei, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Gerade einfache Arbeiten werden benötigt. Michael Schmidt (Name geändert) könnte ein Musterbeispiel für die Resozialisierungsanstrengungen im modernen Strafvollzug werden. Der 46-Jährige sitzt wegen Raubes und Totschlags seit 1993 mit einer kurzen Unterbrechung in Santa Fu, hatte Drogenprobleme und tat sich schwer mit den Arbeitseinsätzen. Nachdem er nach einer vorzeitigen Entlassung vor drei Jahren wieder in Santa Fu gelandet war, fing er eine Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe an – und schloss sie als Bester in Deutschland ab. „Ich habe meine Arbeit gefunden“, sagt der Hamburger, der früher als Gerüstbauer malochte. Inzwischen kocht er schon mal in der Pantryküche auf seiner Station, probiert gerne etwas aus. Am liebsten, sagt Schmidt, mag er gutbürgerliche Küche.

Für den Ausbilder in der Santa-Fu-Küche, Christian Hackert, ist Schmidt eine wichtige Unterstützung. Er ist auch ein Vorbild. Der Geselle bewirbt sich gerade für eine Vollausbildung als Koch, hofft auf offenen Vollzug. Und dann auf einen Job. „Die Gastronomie sucht händeringend Arbeitskräfte“, sagt der gelernte Koch, der eng mit dem Hotel- und Gaststättenverband Dehoga kooperiert und über das sogenannte Übergangsmanagement schon häufiger ehemalige Strafgefangene in Restaurants und Hotels vermitteln konnte. Wie an jedem Tag sammelt er auch an diesem zum Dienstschluss wieder die Messer ein – und zählt genau nach. „Wenn eins fehlt, müssen alle bleiben, um zu klären, was los ist“, sagt er. Das passiere schon mal, aber nicht mit Absicht. Bisher sind alle Messer wieder aufgetaucht.