Hamburg. Chef Linemayr arbeitet mit Testgeschäften zusammen und ändert das Sortiment. Kaffeekapsel-System Qbo bereitet Sorgen.

Das kleine Geschäft an der Langen Reihe wirkt auf den ersten Blick nicht gerade wie eine gewöhnliche Tchibo-Filiale. Schwarz-goldene Lampen tauchen den Laden in ein eher dunkles, wenn auch gemütliches Licht. Die Aktionsware liegt unverpackt auf Tischen aus roh behauenem Holz und gebürstetem Stahl, an der Wand hängt ein überdimensionaler, berührungsempfindlicher Bildschirm, über den sich diverse Artikel online bestellen lassen. Cappuccino, Latte macchiato und anderen Kaffeespezialitäten können sich die Kunden direkt aus einem Automaten holen, während sich die Mitarbeiter nur noch um den Verkauf der frisch gemahlenen Bohnen kümmern.

Für ein urbanes Publikum

Was hier im Szenestadtteil St. Georg zu sehen ist, könnte so oder in ähnlicher Form schon bald auch in anderen Tchibo-Filialen in Deutschland auftauchen. In drei sogenannten Concept Stores testet der Hamburger Konzern gerade neue Angebote und Präsentationsformen, die insbesondere ein urbanes Publikum ansprechen sollen. „Dabei lernen wir jeden Tag dazu und probieren laufend neue Dinge aus“, sagt der neue Tchibo-Chef Thomas Linemayr dem Abendblatt, der den Hamburger Konzern seit Ende 2016 führt.

Veränderungen in den Filialen sind auch dringend notwendig, denn die Zahl der Kunden, die die Tchibo-Geschäfte täglich besuchen, sinkt seit Jahren. Onlinehändler und Discounter setzen dem Konzern insbesondere im preissensiblen Geschäft mit Aktionsware zu. Die Erlöse stagnieren, auch im Jahr 2016 dürften die einst erfolgsverwöhnten Hamburger kaum über den Vorjahresumsatz von rund 3,3 Milliarden Euro hin­ausgekommen sein.

Filialgeschäft schwächelt

Das schwächelnde Filialgeschäft ist eine der Baustellen, die Linemayr von seinem Vorgänger Markus Conrad übernommen hat. Viel hat der ehemalige Spitzensportler und Ruder-Olympionike unternommen, um sich erst einmal einen Überblick über das komplexe Konstrukt aus Non-Food-Händler und Kaffeeröster zu verschaffen. Inkognito hat Linemayr in den Tchibo-Läden die Kunden bedient, hat sich die Beschaffung der Gebrauchsartikel in Hongkong angeschaut und sich zudem intensiv über die Kaffeeproduktion in Deutschland informiert.

Im April mussten die Tchibo-Mitarbeiter dann den ersten großen Kraftakt unter Leitung Linemayrs schultern. Innerhalb von gut vier Wochen wurde das Sortiment der Gebrauchsartikel in den rund 700 Filialen radikal umgestellt. Die wöchentlich wechselnden Themenwelten spielen seitdem eine deutlich kleinere Rolle, daneben gibt es nun vier stets verfügbare Produktkategorien: Damen (Mode), Sport, Wäsche und Wohnen (Küche & Heim). „Damit schaffen wir eine größere Verlässlichkeit im Angebot, ohne unsere große Stärke aufzugeben: den Kunden mit wechselnden Produkten immer wieder zu überraschen“, beschreibt Linemayr das Konzept, das noch von Vorgänger Conrad entwickelt und angeschoben wurde.

Artikel komplett ausgewechselt

Viermal im Jahr werden diese Tchibo-intern als „Lieblingssortimente“ bezeichneten Artikel komplett ausgewechselt, dazwischen soll es einzelne Aktualisierungen geben. Eine weitere Neuerung besteht darin, so viele Artikel wie möglich unverpackt anzubieten, um die Kunden zum Anfassen und Anprobieren von Pfannen, Tops oder T-Shirts zu animieren – eine Idee, die aus den Concept Stores übernommen wurde.

Der geringere Wechsel bei den Gebrauchsartikeln soll nach Abendblatt-Informationen auch zu einer Verbesserung der Qualität und Gestaltung beitragen, weil die Designer nun nicht mehr gezwungen sind, ständig neue Produkte zu entwickeln. Die zu große Austauschbarkeit und Beliebigkeit der Tchibo-Artikel hat dem Konzern im Kampf mit den Discountern und Onlinehändlern in den vergangenen Jahren besonders zugesetzt.

Früher bei Lindt

Erste eigene Akzente wird der neue Tchibo-Chef vermutlich im Kaffeegeschäft setzen, in dem die Hamburger ebenfalls mit anhaltenden Preiskämpfen zurechtkommen müssen. Den Ausweg sieht Markenexperte Linemayr, der mehr als 20 Jahre für den Edel-Schokohersteller Lindt tätig war, in besonders hochwertigen Produkten. Gerade hat Tchibo einen besonders leicht gerösteten Filterkaffee mit dem Namen „Blonde­ Roast“ herausgebracht. Die geringeren Bitterstoffe sollen andere Zielgruppen als die klassischen Kaffeetrinker ansprechen. „Im Premium-Kaffeebereich werden wir weitere Akzente setzen“, kündigt Linemayr an.

Fotos aus den drei Testfilialen?

Ein anderes Premiumprodukt droht für Tchibo allerdings zum Flop zu werden: Qbo. Das im vergangenen Jahr eingeführte Kaffeekapsel-System, mit dem Tchibo den Edelanbieter Nespresso angreifen wollte, tut sich nach Informationen der „Lebensmittelzeitung“ am Markt ausgesprochen schwer. Dies dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass Tchibo die Maschinen und quadratischen Kapseln nur im Internet und in besonders noblen Shops wie etwa im Alsterhaus verkauft, nicht aber in den normalen Filialen. Nun testen die Hamburger in Österreich eine Shop-in-Shop-Lösung, mit der Qbo doch noch an die bestehenden Tchibo-Geschäfte angedockt werden soll. Möglich auch, dass der neue Chef die getrennte Markenwelt ganz aufgibt und Qbo am Ende nur zu einer weiteren Tchibo-Maschine wie etwa Cafissimo wird.

Welche Ideen Thomas Linemayr in den kommenden Monaten auch immer für die Zukunft des Hamburger Konzern entwickeln wird – gänzlich frei in seinen Entscheidungen ist er dabei sicher nicht. Zum Ende verfolgt Ex-Chef Conrad sein Wirken weiter als Beirat in der neu strukturierten Holding Maxingvest. Zum anderen werden die strategischen Leitlinien ohnehin vom Tchibo-Eigentümer Michael Herz vorgegeben.

Der Hamburger Milliardär gilt als notorisch öffentlichkeitsscheu, was sich auch auf die von ihm kontrollierten Unternehmen auswirkt. So hat er beispielsweise verfügt, dass von den drei Tchibo-Testfilialen in Hamburg und Lüneburg keine Fotos veröffentlicht werden dürfen. Obwohl dem Konzern doch eigentlich daran gelegen sein müsste, neue Ideen offensiv zu vermarkten.