Hamburg. Manchmal sind die Deputationen Sand im Regierungsgetriebe – wie jetzt bei den Mehrausgaben für G20. Die Zeit drängt.

Depu – was? Die Deputationen sind selbst Kennern der politischen Struktur des Stadtstaats nicht immer ein Begriff. Diese in Hamburg seit Jahrhunderten bestehenden bürgerlichen Beratungs- und Kontrollgremien der einzelnen Behörden wirken meist im Verborgenen. Und doch wünschen sich manche, Regierende zumeist, dieser alte hanseatische Zopf wäre längst abgeschnitten. Denn bisweilen sind die Deputationen Sand im Senatsgetriebe.

30 Millionen Euro

Ein solch kräftiges Lebenszeichen ihrer Widerborstigkeit hat die Deputation der Innenbehörde in dieser Woche geliefert. Das Gremium verweigerte die Zustimmung zum sogenannten Anti-Terror-Paket, mit dem Innensenator Andy Grote (SPD) die Polizei besser gegen Anschläge von Extremisten zu Wasser und zu Land wappnen will. Die von den Grünen berufenen Mitglieder hatten noch Aufklärungs- und Informationsbedarf – schließlich geht es um Investitionen in Höhe von 30 Millionen Euro. Daraufhin wurde der Tagesordnungspunkt mit den Stimmen des Koalitionspartners SPD vertagt. Grote war nicht sehr amüsiert.

Ein Polizeibeamter des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) demonstriert seine Ausrüstung während einer Pressevorführung
Ein Polizeibeamter des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) demonstriert seine Ausrüstung während einer Pressevorführung © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Christian Charisius

Dabei muss sich die Innenbehörde an die eigene Nase fassen. Grote und seine Mitarbeiter hatten es versäumt, wie sonst üblich, die 30-Millionen-Euro-Drucksache vorher mit den Deputierten von SPD und Grünen, aber auch mit den Bürgerschaftsabgeordneten Antje Möller (Grüne) und Arno Münster (SPD) abzustimmen, den beiden innenpolitischen Sprechern der rot-grünen Koalition.

Gravierende Folgen

Diese Panne der Behörde ausgerechnet beim Anti-Terror-Paket kann nun gravierende Folgen haben. Der Zeitplan droht ins Wanken zu geraten, denn Grotes Ziel ist es, dass die Bürgerschaft ihre erforderliche Zustimmung zu den Anschaffungen noch vor der Sommerpause gibt. Für die Grünen-Politikerin Möller geht in dieser Frage Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das ist bei Ausgaben in dieser Größenordnung durchaus verständlich.

„Es ist schwierig, sich bei dieser Drucksache ein Gesamtbild davon zu machen, was im Detail geplant ist“, sagt die Grünen-Politikerin. Manche Aussagen seien doch recht vage und unspezifisch. Aus Möllers Sicht finden sich sinnvolle und notwendige Maßnahmen wie der Neubau der Rettungsleitstelle in dem Paket. Aber es gibt auch geplante Anschaffungen, deren Sinn sich der Grünen-Politikerin noch nicht vollständig erschließt. Dazu zählt der „Wasser-Scooter“, eine Art Jetski, der konstruiert wurde, um speziell terroristischen Bedrohungen vom Wasser aus zu begegnen.

Aufklärung aus der Luft

Fragezeichen setzen die Grünen auch hinter die Foto- und Mini-Drohnen, die die Polizei zur Aufklärung und Beweissicherung aus der Luft einsetzen will. Hier gibt es grundsätzliche Bedenken der Grünen wegen des Datenschutzes. Möller ist es aber wichtig zu betonen, dass es ihr und ihren Parteifreunden nicht um eine Blockade des Pakets geht. „Wir werden einen pragmatischen Weg finden, die Drucksache zügig umzusetzen“, sagt Möller. Das schließt eine gründliche Beratung ein.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Frage der Finanzierung des Anti-Terror-Pakets. Die Innenbehörde will die 30 Millionen Euro der zentralen Reserve des allgemeinen Haushalts entnehmen, eigene Investitionsmittel seien nicht vorhanden. Das ist ein Moment, bei dem Haushaltspolitiker aller Fraktionen und erst recht Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) zunächst einmal die Augenbrauen hochziehen. Wer die zentrale Reserve anknabbern will, muss sehr gute Gründe haben. Und nicht zuletzt die anderen Behördenchefs achten mit Argusaugen darauf, dass nicht ein Senator bevorteilt wird. Nun: Im Laufe der Woche konnte die Innenbehörde nach Informationen des Abendblatts den Koalitionären glaubhaft machen, dass sie wirklich kaum Geld zur Verfügung hat. Gerade einmal 670.000 Euro betrage das „investive Restvolumen“ der Behörde.

Grote wird das freuen

Für die Sozialdemokraten ist die Sache ohnehin klar. „Aus Sicht der SPD ist die Drucksache richtig und notwendig. Wir bemühen uns, sie schnell durch die erforderlichen Gremien zu lotsen“, sagt SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel. Innensenator Grote wird es freuen.

In der Innenbehörde geht man davon aus, dass die offenen Fragen in der kommenden Woche während der Maiferien geklärt werden. Dann kommt als nächstes wieder die Deputation an die Reihe, die allerdings nur einmal pro Monat tagt. Um schneller voranzukommen, sollen die Deputierten im Umlaufverfahren, also ohne sich zu treffen, ihren Haken an das Anti-Terror-Paket machen.

Wenn das geräuschlos passiert ist, so das Kalkül in der Behörde am Johanniswall, könnte der Senat die Drucksache am 30. Mai beraten und beschließen. Die Bürgerschaft hätte noch sechs Wochen Zeit zur Beratung bis zur letzten Sitzung vor der Sommerpause am 12. Juli. „Wir sind mehr als optimistisch, dass das klappt“, heißt es aus dem Umfeld des Innensenators. Grote sei es persönlich wichtig, dass sich die ausstehenden Anschaffungen für die Polizei „nicht um einen Tag verzögern“. Das nennt man Ansage.

Die Deputationen haben übrigens keine wirkliche Verhinderungsmacht. Sollten deren Mitglieder in der Innenbehörde gegenüber Grote weiterhin widerspenstig sein, könnte der Senator das Votum des Gremiums beiseite schieben. Das wäre zwar nicht schön, aber zulässig.

Regierungspolitiker müssen Deputationen nicht fürchten

In seltenen Fällen kommt es dennoch zu dramatischen Konfrontationen: So wäre 1995 der damalige Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) mit seinem Vorschlag, den Bundesgrenzschutz-Kommandeur Arved Semerak zum Polizeipräsidenten zu berufen, beinahe durchgefallen. Gerade die SPD-Deputierten fühlten sich im Vorfeld übergangen und hielten kräftig dagegen, weil sie Semerak für ungeeignet hielten. Letztlich stimmten sie zähneknirschend zu, um Wrocklage nicht gegenüber den schon wartenden Journalisten zu düpieren. Die Deputierten lagen richtig: Nach nur zehn Monaten musste Semerak seinen Hut nehmen.

Fürchten müssen Regierungspolitiker die Deputationen also nicht, aber sie sind ihnen häufig lästig. Für deren Abschaffung wäre jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Bürgerschaft erforderlich. Und so scheiterte der letzte ernsthafte Versuch der SPD in den 1990er-Jahren an der auch damals oppositionellen CDU.