Hamburg. Der Volkssänger Jochen Wiegandt hat ein neues Buch über Songs von der Waterkant und deren Hintergründe geschrieben.
War eine Seefahrt immer lustig? Hatten die Matrosen wirklich die Pest an Bord? Und wurden sie still, wenn das Schifferklavier an Bord erklang? Jochen Wiegandt ist ein ständiger Fragesteller – und erst zufrieden, wenn er die richtigen Antworten gefunden hat. Nun hat der Hamburger Volkssänger wieder viele spannende Geschichten über Menschen und Orte in Hamburg ausgegraben. Weil er ein leidenschaftlicher Sänger ist, hat er sich auf musikalische Spurensuche begeben. „Liederatur“ nennt er das passenderweise.
„Es ist mein Versuch, traditionelle Lieder und deren Entstehung zu erforschen. Seemannslieder und Schlager, Shantys und Gassenhauer“, sagt Wiegandt. 39 Songs und ihre Geschichten hat der Musiker in seinem neuen Buch unter die Lupe genommen. Begleitet von dem Hamburg-Fotografen Michael Zapf, der passend dazu den Hafen, die Schiffe und die Menschen von der Waterkant in Szene gesetzt hat.
„Hamburg war immer ein Schmelztiegel von und ein Magnet für Lieder, die von überall herkamen, übers Meer und über Land“, sagt Wiegandt. In den Hafenkneipen trafen Shantys auf plattdeutsche Orgeldreher und vermischten sich mit Couplets und Gitarrenliedern. „Und auf Familienfeiern waren Rundgesänge, sogenannte Jelängerjelieber, populär“, sagt Jochen Wiegandt. „Das alles verband sich sehr oft mit Maritimem und dessen Themen wie Abschiedsschmerz oder Wiedersehensfreude.“
Angefangen hat alles im Grunde vor sechs Jahren. Im April 2011 startete Jochen Wiegandt zusammen mit dem Abendblatt und NDR 90,3 die Aktion „Singen Sie hamburgisch?“. Es ging darum, alte musikalische Schätze wiederzuentdecken und zu helfen, dass dieses alte Liedgut nicht in Vergessenheit gerät oder in irgendwelchen Schubladen verschwindet. Mehr als 500 Zuschriften hat Jochen Wiegandt in all den Jahren erhalten. Briefe, Liederbücher, Tondokumente. Manchmal kamen die Leute nach den Konzerten auf ihn zu. „Und manchmal haben sie mich auch einfach angerufen und mir dann am Telefon Melodien und Text vorgesungen.“
Jochen Wiegandt, der zu den Gründungsmitgliedern von der Hamburger Folkband Liederjan gehört, geht es immer noch um Lieder und Varianten, die bisher vielleicht nur im kleinen Kreis gesungen wurden. „In der Nachbarschaft, im Verein, im Hafen, in der Familie oder im Schrebergarten. Kinderlieder oder auch Seemannslieder.“
Sein neues Buch geht aber über das Kramen in den musikalischen Erinnerungen hinaus. Wiegandt erinnert über die Beschäftigung mit den einzelnen Liedern an Hamburger Originale wie Addi Münster, den Barmbeker Jung, der stets in Hafenarbeiter-Kluft mit Elbsegler auftrat. Oder an Freddy, der seinen ersten Fernsehauftritt im Versuchsprogramm des damaligen NWDR am 11. Januar 1952 in der Sendung „Was ist los in Hamburg?“ hatte.
Geschichte der Auswanderer
An die Altenwerder Fischfrau, die Olwarder Anna: „Sie hatte ein Schandmaul, das reichte für zwei, aber ihr Fisch, der war immer frisch.“ Und an Tante Hermine, die 40 Jahre lang hinter dem Tresen ihrer legendären Hafen-Kneipe Zur Kuhwerder Fähre stand. Die „Mutter der Seeleute“, bekannt gewesen für „Redlichkeit, Fürsorge und Witz“.
Jochen Wiegandt erinnert auch an die Geschichte der Auswanderer. Von 1821 bis 1932 machten sich mehr als 60 Millionen Menschen aus Europa auf nach Amerika. Über Hamburg nahmen mehr als fünf Millionen Auswanderer den beschwerlichen Schiffsweg nach Übersee. „Ein stolzes Schiff“ ist eines der am weitesten verbreiteten deutschen Auswandererlieder. „Die Melodie stammt von Johann Albrecht Gottlieb Methfessel, dem Komponisten der Hamburger Hymne ,Hammonia‘“, sagt Wiegandt. „Methfessel war ab 1823 Musiklehrer, Dirigent und Gründer der Hamburger Liedertafel.“ Dieser Chor sang das Deutschlandlied von Hoffmann von Fallersleben 1841 zum ersten Mal in Hamburg.
Man erfährt, was Schutenschubser sind
Dazu führt der Autor anhand der Lieder den Leser zu vielen spannenden Plätzen wie den Seemannsclub Duckdalben in Waltershof, die Seemannskirche im Portugiesenviertel, den Stadtparksee und seine Liebesinsel oder die Gorch-Fock-Halle in Finkenwerder, am besten erreichbar mit der Hafenfähre 62. Und ganz nebenbei erfährt man auch, was Schutenschubser und Schlickschuber sind und wie mühsam Ewerführer, Kedelklopper und Schietgänger damals ihr Geld verdienten.
Besonders freut sich Jochen Wiegandt, dass Michael Zapf mit seinen Fotos „die heutige Hafenstimmung so fantastisch eingefangen hat“. Wiegandt: „Seine Fotostrecke zwischen den Songs ist wie eine Frischluftzufuhr, die allen Staub und alles Piefige, das dem Thema in den Köpfen der Menschen vielleicht anhaften mag, hinwegfegt.“