Hamburg . Umstellung der gesamten Flotte auf E-Antrieb soll Luft sauberer machen. Stadt will damit Vorbild für Metropolen in ganz Europa werden

Es ist ein Vorhaben ohne historisches Vorbild: Bis 2030 soll Hamburgs Bussystem komplett auf Elektro-Antriebe umgestellt werden. 1500 Busse müssen dafür ausgetauscht, rund 3200 Fahrer umgeschult, elf Betriebshöfe umgerüstet und viele Strecken mit Ladestationen ausgestattet werden. Die Umrüstung ist ein Teil des neuen Hamburger Luftreinhalteplans, den der Senat gerade vorgestellt hat und mit dem endlich die Grenzwerte bei der Belastung mit giftigem Stickoxid eingehalten werden sollen. Dieses Gift wird nämlich vor allem von Dieselmotoren, also auch von den klassischen Bussen ausgestoßen. Dabei ist die von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Bus-Revolution auch eine Wette auf die Innovationskraft der zuletzt so gescholtenen (deutschen) Industrie.

Denn drei Jahre vor Beginn der Umstellung ist noch nicht klar ist, ob die Auto- bzw. Busbauer überhaupt in der Lage sind, die Nachfrage nach so vielen betriebssicheren E-Bussen zu erfüllen. „Um den Unternehmen die nötige Nachfrage zu garantieren, die eine schnelle Entwicklung profitabel macht, hat Hamburg mit Berlin und Verkehrsunternehmen aus fünf Metropolen eine Beschaffungskooperation gegründet“, sagt Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD). Hamburg spiele dabei eine Vorreiterrolle. „Schon heute haben wir in Deutschland mit mehr als 60 Fahrzeugen die größte Flotte mit innovativen Antrieben“, so Rieckhof. Allerdings: „Bis heute sind keine serienreifen Fahrzeuge lieferbar. Wir arbeiten mit sogenannten Vorserien. Damit bietet Hamburg den Herstellern die Möglichkeit, mit neuen Modellen Erfahrungen im Busbetrieb zu sammeln.“

Mit den Bussen wird auch das ganze System umgestellt

Die Busbetreiber Hochbahn und Verkehrsbetriebe Hamburg Holstein (VHH) testen bereits seit Jahren Möglichkeiten zur umweltschonenden Modernisierung der Busflotte. 2003 wurden die ersten Brennstoffzellenbusse angeschafft und 2014 die „Innovationslinie“ 109 ins Leben gerufen, auf der jetzt 39 Busse mit innovativen Antrieben verkehren. Im selben Jahr ging in Blankenese die E-Bergziege in Betrieb. Zu Jahresbeginn hat die VHH nun auch die ersten beiden E-Gelenkbusse des Typs ExquiCity 18 vom belgischen Hersteller Van Hool bekommen. Die 18 Meter langen Öko-Riesen mit 119 Plätzen, deren Fahrbatterien mit 215 kWh im Dach verbaut sind, werden derzeit im Hamburger Westen getestet. Ab Frühsommer sollen sie laut VHH auch im normalen Fahrgastverkehr eingesetzt werden.

Eines der Hauptprobleme bei der Elektrifizierung: Noch kostet die Anschaffung eines E-Busses je nach Größe mehr als das Zwei- bis Dreifache eines Dieselbusses – nämlich über 400.000 Euro. Zwar verbraucht ein E-Bus deutlich weniger Energie, und der Kilometerpreis im Betrieb ist insgesamt etwas niedriger als bei Dieselbussen. Der Unterschied ist aber nicht so groß, dass sich die Anschaffung schnell rechnen würde – schon gar nicht, solange Diesel staatlich subventioniert wird. Rechnet man allerdings die Folgekosten durch die Belastung für Umwelt und Gesundheit beim Betrieb von Dieselbussen ein, würde der Vergleich wohl schneller zugunsten der E-Busse ausgehen.

Neben der Anschaffung der Fahrzeuge erfordert die Revolution im Busverkehr auch den Aufbau einer ausreichenden Stromversorgung. Nach einer Elektrifizierung rechnen Hochbahn und VHH mit einem Strombedarf für die Busse von mehr als 180 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr – das wäre mehr Strom, als die U-Bahnen benötigen (112 GWh im Jahr 2016). Zur Ladung der 1500 in Hamburg verkehrenden Busse müssen alle elf Betriebshöfe von Hochbahn und VHH umgebaut oder neu gebaut werden. Die Kosten werden allein für die Hamburger VHH-Betriebshöfe auf 105 Millionen Euro geschätzt.

Im Gleisdreieck in Alsterdorf baut die Hochbahn derzeit für 70 Millionen Euro einen ganz neuen Busbetriebshof, der komplett auf E-Mobilität ausgerichtet sein wird. Weitere 30 Millionen Euro für die Ladetechnik dürften hinzukommen. Dort sollen künftig bis zu 250 E-Busse geladen, instand gehalten und gewaschen werden.

Umgebaut werden müssen zudem die Werkstätten, in denen die Busse gewartet und repariert werden. Auch die Techniker brauchen neue Qualifikationen. Die 3200 Fahrer von Hochbahn und VHH werden ebenfalls neu geschult. Allein schon das Einparken unter den Ladestationen ist eine Herausforderung. Die Umstellung erfordert künftig aber auch eine neue Einsatzplanung. Denn die E-Busse haben mit maximal 280 Kilometern eine deutlich niedrigere Reichweite als Dieselbusse, die 550 Kilometer fahren können, bevor sie tanken müssen. Eine Lösung ist der Einsatz von „Range Extendern“, die im Falle leerer Batterien selbst Strom erzeugen können – über eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle.

Das Programm erfordert Milliardeninvestitionen

Grundsätzlich gilt: Die geringere Reichweite erhöht die Betriebskosten und macht zusätzliche Investitionen (etwa Zwischenladestationen an den Strecken) nötig. Eine weitere technische Herausforderung ist die Beheizung und Klimatisierung der Busse. Bei Dieselbussen funktioniert sie über den Motor – bei E-Bussen muss über ein zusätzliches Aggregat geheizt bzw. gekühlt werden. Positiv ist, dass allein zwischen 2010 und 2016 die Kosten für die Anschaffung der großen Stromspeicher laut VHH um 77 Prozent gesunken sind.

Ein weiterer Vorteil: Die Busse können zu Tageszeiten geladen werden, in denen sonst wenig Strom abgenommen wird, dieser also günstig zu haben ist. Das ist in der Regel nachts. „Es gibt auch einen anderen Vorteil“, sagt Verkehrsstaatsrat Rieckhof. „Bisher mussten Windräder oft abgeschaltet werden, um Überproduktion zu vermeiden. Künftig kann man sie laufen lassen und Elektro-Fahrzeuge laden.“ Die nächtliche Ladung wird allerdings auch andere Umstellungen nach sich ziehen. Denn bisher wurden die Busse oft in Nachtschichten gewaschen. So erfordert die komplette Umstellung des Hamburger Bussystems viele auch kleinteilige Veränderungen, die exakt geplant werden müssen.

Noch in diesem Jahr wollen VHH und Hochbahn ihren Masterplan zur Umstellung vorlegen. Die VHH plant für 2017 die Anschaffung von zehn E-Bussen und für 2019 den Kauf weiterer zehn. In den Jahren 2020 und 2021 sollen jeweils 21 E-Busse gekauft werden. Auch die Hochbahn wird in 2017 E-Busse und Infrastruktur ausschreiben, um bereits in 2018 weitere zehn und in 2019 weitere 20 E-Busse auf den Linien der Hochbahn einzusetzen.

„Was wir vorhaben, ist eine große Herausforderung“, sagt Verkehrsstaatsrat Rieckhof. „Ich bin aber überzeugt, dass es gelingen wird. Und dann wird Hamburg ein Vorbild für viele Metropolen in Europa und der Welt sein.“

Was die Innovation für die Millionen Nutzer bedeutet, ist noch unklar. Überschlägt man die Kosten, so muss man von Milliardeninvestitionen in den kommenden 15 Jahren ausgehen. Und wer wird die bezahlen? „Die Verkehrsunternehmen müssen unabhängig von der Umstellung ohnehin investieren“, so Staatsrat Rieckhof. „Insofern stellt sich die Frage nach höheren Fahrpreisen in diesem Zusammenhang nicht.“