Gross Borstel. Hamburger Luft- und Raumfahrtpsychologen untersuchen, wer das Zeug zum Piloten, Astronauten oder Fluglotsen hat. Nur zehn Prozent bestehen die Prüfungen

Auf den ersten Blick sieht es einfach nur ziemlich durcheinander aus: Die neun Mess­instrumente auf dem Bildschirm sind zum Teil rund und zum Teil eckig, einige sind farbig, andere sind weiß. Auch die Skalierung sieht immer anders aus. Doch wer hier vor dem Bildschirm sitzt, der hat nur diesen einen kurzen Blick, um sich zu merken, was die einzelnen Ins­trumente anzeigen. Dass es ab und an Menschen gibt, die sich in zwei, drei Sekunden nahezu alle Werte merken können, ist auch für die Psychologen hier im Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin immer wieder verblüffend – obwohl oder vielleicht eher gerade weil sie es waren, die die Tests entwickelt haben.

Die Abteilung Luft- und Raumfahrtpsychologie, Teilbereich des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), hat ihren Sitz in einem schmucklosen Rotklinkerbau an der Sportallee nahe dem Hamburger Flughafen. Hier arbeiten rund 60 Mitarbeiter, rund die Hälfte von ihnen sind Luft- und Raumfahrtpsychologen. Ihre Arbeit ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt - dabei hat sie mit Elfenbeinturm und Nischenforschung nichts zu tun. Die Psychologen, die hier arbeiten, entwickeln neben verschiedenen Forschungsaufgaben die Tests für die Auswahlverfahren für Piloten verschiedenster Airlines, Astronauten, Fluglotsen, Hubschrauberpiloten der Bundes- und Landespolizei und des ADAC. Und: Die Tests werden hier nicht nur entwickelt, sondern auch durchgeführt. Rund 10.000 Bewerber kommen pro Jahr im Schnitt an die Sportallee, um ihre Eignung testen zu lassen, die meisten von ihnen sind zwischen 20 und 25 Jahre alt.

Leiter der Abteilung für Luft- und Raumfahrtpsychologie ist Dr. Peter Maschke. „Das Tolle an unserer Arbeit ist, dass wir Forschung betreiben, die wir direkt anwenden können“, so der 60-Jährige.

Die wichtigste Grundvoraussetzung? „Die eine Voraussetzung gibt es nicht“, so Maschke. Im Gegenteil. „Es ist nicht wichtig, dass man eine Sache sehr gut kann. Entscheidend ist, dass man viele Dinge ganz gut beherrscht.“ So werden in den dreistufigen Tests nicht nur Mathematik-, Physik und Englischkenntnisse getestet, sondern auch Raumvorstellungsvermögen, Reaktionsgeschwindigkeit, Interaktionsvermögen, Teamfähigkeit und Belastbarkeit. Die erste Teststufe findet an einem Ort statt, der aussieht, als sei der nur dafür kon­struiert, Beklemmungen auszulösen. Vor allen Dingen, wenn man weiß, dass die Prüfung rund acht Stunden dauert. In dem Prüfungsraum sind die einzelnen Arbeitsplätze wie kleine Zellen angeordnet. Reihenweise pro Tisch immer ein Computer und ein Joystick. Jeder Bewerber ist auf sich allein gestellt, die Tests folgen unmittelbar aufeinander.

Neben dem zu Anfang erwähnten Beispiel mit den Messinstrumenten ist ein Klassiker auch der Drehwürfel mit dem Kreuz. „Auf dem Bildschirm sieht der Prüfling einen dreidimensionalen Würfel, an dem an einer x-beliebigen Seite ein Kreuz markiert ist. Über die Kopfhörer im Ohr folgen nun im Abstand von etwa zwei Sekunden Anweisungen für die Drehrichtung des Würfels – dieser dreht sich aber nur in den Gedanken des Prüflings, auf dem Bildschirm passiert nichts. Am Ende muss der Getestete sagen, wo das Kreuz liegt. „Im Schnitt schafft rund ein Drittel aller Anwärter die erste Stufe des Auswahlverfahrens“, so Maschke. Wichtig: Die DLR testet niemals bedarfs-, sondern immer kriterienabhängig. Heißt: „Ob gerade ein Pilotenengpass oder Überschuss besteht, hat keine Auswirkungen auf den Schwierigkeitsgrad der Tests“, so Maschke.

Der Frauenanteil ist bei Pilotenanwärtern gering

Schafft der Kandidat die erste Runde, geht es in Teststufe zwei weiter mit Übungen im Flugsimulator und im Assessment-Center. Dort beobachten die Prüfer, wie teamfähig die Prüflinge sind, und wie sie auf Herausforderungen in einer Gruppe reagieren. „Das ist für den Pilotenalltag sehr wichtig, da Piloten immer zu zweit im Cockpit sind, oft mit einem Kopiloten oder Piloten, den sie vorher nie gesehen haben. Da bleibt keine lange Zeit, um warm zu werden, das muss sofort klappen“, so Maschke. Das Auswahlverfahren endet mit einem persönlichen Interview, das von Psychologen und Flugkapitänen geführt wird.

Wie in vielen anderen technischen Branchen, ist der Frauenanteil auch bei den Pilotenanwärtern gering. „Mehr als 80 Prozent der Bewerber sind Männer“, so Maschke. Als Grund dafür immer nur auf die schwierigen Arbeitszeiten und Abwesenheiten zu verweisen reiche aber nicht aus. „Das trifft ja auch auf Flugbegleiter zu, und die sind ja ebenfalls überwiegend Frauen.“

Am Ende schaffen es von allen Prüflingen knapp zehn Prozent und können dann ihre Ausbildungen bei der jeweiligen Airline starten. „Zehn Prozent klingt zwar wenig, aber dafür schaffen es diese zehn Prozent dann zu 97 Prozent ohne Probleme durch die Ausbildung und spätere Berufslaufbahn.“

Der tragischste Ausreißer aus der Statistik und das dunkelste Kapitel der zivilen Luftfahrt der vergangenen Jahre ist wohl der Germanwings-Pilot Andreas Lubitz, der 2015 einen Airbus A320 bewusst gegen einen Berg geflogen hatte und für den Tod aller 149 Passagiere verantwortlich ist. Später kam heraus, dass Lubitz während seiner Flugausbildung wegen Depressionen in Behandlung war. Auch Lubitz absolvierte die Auswahltests in Hamburg. Psychiatrische Tests waren aber nie Teil des Auswahlverfahrens und sind es bis heute nicht. „Die medizinisch-psychiatrischen Untersuchungen werden in der Regel erst zu einem späteren Zeitpunkt von den zertifizierten Fliegerärzten durchgeführt. Auf europäischer Ebene wird seit dem Unglück diskutiert, wie diese Untersuchungen optimiert werden können“, so Maschke. „Allerdings sind Fliegerärzte ja nicht zwangsläufig auch Psychiater.“