Hamburg. Die Einhornisierung des Einzelhandels läuft derzeit auch in Hamburg in vollem Galopp. Was dahinter steckt und danach kommt.
Die Einhörner sind los. Und zwar überall. Auf Duschgel-Flaschen und Teebeuteln, Müsli-Packungen und Make-up-Dosen, Schokoladentafeln und Katjes-Tüten, Gewürzgläsern und sogar Kondomen. Doch das ist erst der Anfang, denn die Einhornisierung des Einzelhandels läuft derzeit in vollem Galopp. Und Hamburg mischt in dieser Kommerz-Kiste kräftig mit. Jetzt haben zwei Unternehmen aus der Hansestadt das Einhorn vor den Wagen gespannt und unabhängig voneinander ein Produkt kreiert, das man in dieser Form erstmal nicht mit dem zauberhaften Fabelwesen in Verbindung bringen würde: Toilettenpapier.
Mit dem Einhorn-Hygienepapieren, übrigens nicht nur für die Toilette, sondern auch als Küchentücher erhältlich, setzen Deutschlands größte Supermarktkette Edeka und die Drogeriekette Budni dem Einhorn-Fieber die Krone auf. Allein die Ankündigung von Edeka auf Facebook genügte schon, um einen kleinen Hype auszulösen. Der provokante Slogan für das Papier mit Zuckerwatte-Duft: „Es war noch nie so leicht, einen süßen Arsch zu bekommen“. Rund 2,4 Millionen Kunden erreichte die Supermarktkette damit nach Angaben eines Sprechers auf Anhieb, mehr als 30.000 hätten die Meldung kommentiert. Ohne zusätzlichen Werbeaufwand sei das „sensationell“.
Von Kunden überrannt
Ein Edeka-Händler im rheinländischen Euskirchen, der das Toilettenpapier schon vor dem offiziellen Verkaufsstart am 2. Mai testweise im Angebot hatte, wurde von den Kunden nach eigenen Angaben förmlich überrannt. Kein Wunder also, dass die Hamburger auch noch Servietten, Küchenpapier und ein Duschgel mit Fabelwesen ins Sortiment aufgenommen haben. „Einhörner liegen im Trend“, meint Edeka-Vorstandschef Markus Mosa.
Davon profitiert auch Budni, das seit Montag eine Special Edition Toilettenpapier und Küchenrollen mit aufgedrucktem Einhorn im Sortiment hat. Anlass war der Wunsch von Kundinnen, die den Einhorn-Trend im Internet entdeckt hatten. Das Unternehmen setzte die Anregung um und lieferte jeweils 6000 Küchentücher-Packungen und 6000 Klopapier-Packungen an die Filialen. Die Reaktionen waren nahezu magisch: Schon nach ein bis zwei Tagen war die Ware in einigen Filialen ausverkauft. „Die Einhörner werden uns förmlich aus den Händen gerissen“, sagt Sprecherin Wiebke Spannuth. Man bemühe sich jetzt, möglichst schnell noch weitere Produkte mit dem magischen Wesen anzubieten.
Einhorn-Joghurt duftet
Denn egal ob Regenbogendusche, die nach „Sternchen und Wölkchen“ duftet oder Einhorn-Joghurt mit Himbeergeschmack – Produkte mit dem Fabelwesen gehen immer. Aus diesem Grund wird derzeit alles geeinhornt, was man nur einhornen kann. Denn nicht nur kleine Mädchen fahren voll auf den Kult ab – auch erwachsene Frauen können dem nicht widerstehen.
Im Wochentakt produzieren Marketing-Abteilungen neue Ideen, um mit der Faszination für die Fantasie-Pferde Geld zu verdienen. Den bislang größten Coup hatte jüngst der Schokoladen-Hersteller Ritter Sport gelandet. Die 150.000 Tafeln der Einhorn-Kreation („Quadratisch, Magisch, Gut“), weiße Schokolade mit Joghurt und „Himbeer-Cassis-Regenbogen“, waren im Onlineshop in weniger als 24 Stunden ausverkauft. Beim Nachschlag einige Tage später war der Ansturm auf die Sonderedition so groß, dass der Onlineshop zusammenbrach.
Glitzertafeln kosten 25 Euro
Die Idee zu dieser „Glittersport“ stammt übrigens aus Hamburg. Die Kommunikationsagentur Elbkind hat das Konzept für die limited edition entwickelt und die Einhorn-Schokolade über die sozialen Medien vermarktet. „Danach ist der Wahnsinn losgebrochen“, sagt Elbkind-Geschäftsführer Tobias Spörer (40). „Es war eine regelrechte Explosion.“ Innerhalb von fünf Minuten hatte der Post auf Facebook mehr als 10.000 Likes. „Dieses Ausmaß ist nicht planbar. So was passiert einfach.“ Die Glitzertafeln werden selbst heute noch zu Preisen von bis zu 25 Euro gehandelt. Der Orginalpreis lag bei lediglich 1,99 Euro.
Mit ihrer Einhorn-Kreation gehört Ritter Sport zu den Vorreitern eines Trends, der in seinen Ausmaßen nahezu einzigartig ist. „Der Einhorn-Hype lässt sich mit nichts vergleichen, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben“, sagt der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann. Seine Erklärung für den magischen Erfolg: „Einhörner symbolisieren für uns positive Werte wie Optimismus, Freundschaft und Treue, die in unserer heutigen Zeit immer schwerer zu finden sind“, so Wippermann. „In unserer rational geprägten Welt gibt es ein Vakuum fürs Magische.
"Mia and Me"
Und das füllen Einhörner aus. Sie geben uns Hoffnung, verzaubern uns.“ Auslöser für den Einhorn-Trend sind nach Einschätzungen von Wippermann vor allem Buch- und TV-Serien wie „Mia and Me“, Sternenschweif, My little Pony und Prinzessin Lillifee, aber auch Spielzeuge wie die Filly Pferdchen. Angefeuert wird der Run auf die Einhorn-Artikel durch die begrenzten Editionen, die die meisten Hersteller auf den Markt bringen. Zum Beispiel dm mit seiner Eigenmarke Balea, das sein Duschgel mit dem Worten bewarbt: „Achtung: Einhörner sind rar, nur sehr limitiert verfügbar.“
Vom Regenbogen-Duschgel zum rosa Zucker aus Einhorn-Pups, den die Gewürzmanufaktur Ankerkraut aus Sinstorf produziert hat – und den sie inzwischen aber nicht mehr als solchen verkaufen darf. Dabei fängt die Geschichte des Einhorn-Zuckers so zauberhaft an: Ende November hatten die Ankerkraut-Gründer Anne und Stefan Lemcke zehn Gläschen mit der Zuckermischung mit Kirschpulver als Weihnachtsgeschenk an Blogger geschickt. Nur als Gag. Doch kaum waren die Zuckergläschen mit dem „Ankerkraut-Einhorn aus 100 % Einhorn Pups“ angekommen, tauchten die ersten Posts im Internet auf und wurden geteilt. „Innerhalb von drei Stunden hatten wir mehr als 1000 Kommentare“, sagt Stefan Lemcke. Das Telefon klingelte ununterbrochen. Händler berichteten von schreienden 15-Jährigen im Laden und versuchten die begehrten Gläschen kartonweise zu bestellen. Das Problem: Es gab sie nicht. Doch die Lemckes reagierten und machten aus dem Gag ein Produkt. „Innerhalb von 24 Stunden gingen 1500 Bestellungen ein“, sagt Anne Lemcke. Normal sind 100.
Unternehmen streiten um den Begriff „Einhorn Pups“
Allerdings haben die Lemckes inzwischen Ärger ganz anderer Art. Ein großes Unternehmen aus Westdeutschland hat den Begriff „Einhorn Pups“ inzwischen als Marke eintragen lassen und Ankerkraut die Verwendung untersagt. Zwar ist das Etikett inzwischen geändert, trotzdem besteht weiterhin die Gefahr einer einstweiligen Verfügung gegen den Lemcke’schen Einhorn-Zucker – wegen Verwechslungsgefahr.
Welche Auswirkungen der massive Verzehr von Zucker auf ein Einhorn haben kann, das sieht man bei Fat Unicorn Sweets, das mit einem niedlichen dicken Einhorn im Logo wirbt. Der Name des Cafés in der Hamburger Innenstadt, das Dennis Jänicke und seine Lebensgefährtin Dusica Stanisavljevic Ende vergangenen Jahres eröffnet haben, war eigentlich eher selbstironisch gemeint und wurde schon vor zwei Jahren für ihren Food-Truck erdacht. „Unsere Spezialität sind Cupcakes, und die sind nun mal nicht besonders gesund“, sagt der 36-jährige Hamburger. Inzwischen wollten offenbar alle Geschäfte mit dem Einhorn-Fieber machen. „Wir bekommen jede Woche Mails von Leuten, die irgendwelche Produkte rund ums Einhorn erfunden haben und bei uns verkaufen wollen.“ Das Gastro-Duo winkt aber regelmäßig ab. Sie verkaufen lieber die eigenen T-Shirts und Schürzen mit ihrem Logo.
Was ein Trendforscher sagt
Einhorn gut, alles gut? Das Ende des Einhornschweifs scheint auf jeden Fall noch lange nicht erreicht: Edeka hat schon die nächsten Produkte angekündigt: ein Einhorn-Glücksgetränk und einen Einhorn-Amerikaner mit Zuckeroblate. Die Gefahr, sich mit der Einhornisierung zu vergaloppieren, ist für Trendforscher Peter Wippermann allerdings groß: „Je mehr Produkte es gibt, um so schneller erreicht man die Sättigung.“
Das hatte offenbar auch dm erkannt und schon mal quasi die Fortsetzung seines Regenbogen-Duschgels auf den Markt gebracht: die Cremedusche „Bye Bye Unicorn.“ Darauf sind zwei Dinosaurier zu sehen, von denen einer offenbar gerade ein Einhorn verspeist hat. Das lässt zumindest eine Sprechblase vermuten. In der steht: „Did you eat the last unicorn?“ („Hast Du das letzte Einhorn gegessen?“).
Aus der Zauber!