Hamburg. Jochen Spethmann, Chef des drittgrößten Teehändlers Europas, über den harten Branchenkampf und seine Nachfolge.

Für Jochen Spethmann (59) ist Tee wie ein Lebens­elixier. Seit 21 Jahren führt er als Vorstandschef die Laurens Spethmann Holding (470 Millionen Euro Umsatz, 1130 Mitarbeiter) in vierter Generation. Der drittgrößte Teehändler Europas hat seine Zentrale vor den Toren Hamburgs, in Seevetal. Die Firma steht für bekannte Marken wie Meßmer und Milford – und ist durch und durch ein Familienunternehmen. Spethmann, der auch den Deutschen Teeverband leitet, spricht im Abendblatt über den ungleichen Wettbewerb mit der Kaffeekonkurrenz, Teetrends – und wie er seine Nachfolge regelt.

Herr Spethmann, was sagen Sie, wenn einer Ihrer Gäste einen Kaffee verlangt?

Jochen Spethmann: Ich bedaure. Das kann ich ihm nicht anbieten. In der Firma gibt es für Besucher keinen Kaffee. Bei uns zu Hause sieht es etwas anders aus. Wenn jemand dort um einen Kaffee bittet, bekommt er ihn. Da sind wir liberal.

Aber Sie versuchen, den Gast zu bekehren?

Spethmann: Nein. Ich trinke zwar ausschließlich Tee, aber ich bin kein Dogmatiker. Ich habe vor mehr 15 Jahren meinen letzten Kaffee getrunken und bis dahin eigentlich auch nur, weil es ihn gab, nicht weil er mir geschmeckt hat.

Welchen Tee trinken Sie denn?

Spethmann: Eigentlich alles. Ich mag aber mehr schwarzen als grünen Tee, beispielsweise einen Oolong oder einen Earl Grey.

Die Bundesbürger trinken im Schnitt 165 Liter Kaffee im Jahr, aber nur 30 Liter Tee. Sie wurden in den Teehandel hineingeboren. Denken Sie nicht manchmal, dass Ihr Vater die falsche Branche gewählt hat?

Spethmann: Absolut nicht. Ich finde, Tee ist ein wunderbares Produkt. Im Übrigen hinkt der Vergleich. Rechnet man Kräuter- und Früchtetee mit ein, kommen wir auf 70 Liter. Dann ist das Gefälle zum Kaffee nicht mehr so groß.

Naja ...

Spethmann: Ich gebe zu, Deutschland ist in erster Linie ein Kaffeeland. Es gibt aber kaum einen Haushalt, in dem es nicht auch Tee gibt. Und weltweit ist Tee das zweithäufigste Getränk nach Wasser. Meilenweit vor dem Kaffee. Und der Absatz wächst.

Wie viel Prozent Ihres Absatzes machen Sie denn international?

Spethmann: Unser Unternehmen? Etwa 40 Prozent, wachsend. Und das, obgleich die Bevölkerung in Ost- und Westeuropa schrumpft und die Auswahl an Getränken immer breiter wird.

Bleiben wir bei den 60 Prozent in Deutschland. Tee ist „old fashioned“. Kaffee wird durch die „Latte Macchiatisierung“ überall getrunken, in der U-Bahn, auf der Straße, unterwegs. Wünschen Sie sich eine solche Bewegung nicht auch für Tee?

Spethmann: In gewisser Weise haben wir die ja schon. Tee ist nämlich überhaupt nicht „old fashioned“, weil wir feststellen, dass gerade junge Leute immer öfter zur Teetasse greifen. Tee hat einen sehr internationalen Charakter. Wir leben in hektischen Zeiten. Da ist Tee ein gutes Mittel, wieder runterzukommen. Vor allem grüner Tee, etwa Matcha mit hohem Koffeinanteil, ist bei jungen Kunden sehr beliebt. Aber es stimmt: Teetrinker sieht man auf dem Weg zur Arbeit seltener. Tee wird nämlich mehr mit Ruhe und Entspannung in Verbindung gebracht als mit „to go“.

Es gibt etliche Sorten. Können Sie diese unterscheiden?

Spethmann: Ja, ich bin ausgebildeter Tea Taster. Dazu gehört eine vernünftige kaufmännische Ausbildung, und dann braucht man viel Zeit. Es dauert vier bis sieben Jahre, bis man ein ausgebildeter Tea Taster ist. Dazu benötigt man ein gewisses Talent – eine Zunge – wie wir sagen, um Unterschiede herausschmecken zu können. Und es braucht enorm viel Übung. In jüngeren Jahren habe ich 100 bis 200 Tassen Tee am Tag probiert. Das mache ich heute nicht mehr, aber jede Mischung – egal ob Meßmer, Milford oder Onno Behrends, die unser Haus verlässt habe ich probiert. Ich bin nach wie vor sehr intensiv im Einkauf involviert.

Wie viel Tee trinken Sie am Tag?

Spethmann: Ungefähr zwei Liter.

Der deutsche Teeverband wird am heutigen Mittwoch 100 Jahre alt. Wozu braucht man diese traditionsreiche Institution überhaupt?

Spethmann: Unsere Aufgaben sind sehr vielfältig. Dazu gehört natürlich, Tee positiv in der Öffentlichkeit darzustellen. Wir machen keine klassische Werbung, wollen aber schon die Vorzüge des Tees herausstellen. Zudem müssen wir uns mit erheblichen gesetzlichen und sonstigen Standards auseinandersetzen. Die Gesetzgeber auf EU- und Bundesebene, aber auch der Lebensmittel-Einzelhandel, verlangen von uns die Einhaltung etlicher Vorgaben.

Tee ist doch ein sehr altes Handelsgut. Und dennoch wandeln sich die Vorschriften immer noch?

Spethmann: Oh ja, sie werden sogar immer strenger. Gerade wenn es um die Frage der Inhaltsstoffe geht. Vor ein paar Jahren haben wir unsere Proben auf etwa 500 unterschiedliche Substanzen untersucht, heute sind es mehr als 1000.

Die Verbraucher müssen ja letztlich auch vor Verunreinigungen oder Giftstoffen geschützt werden ...

Spethmann: ... das steht außer Frage. Aber Tee ist ein sehr, sehr sicheres Produkt. Wir machen beispielsweise Ringversuche mit Laboratorien, um die Untersuchungsmethoden auf den neuesten Stand zu bringen. Ich kann zum Beispiel für unser Unternehmen sagen, dass sich die Kosten für diese Art der Absicherung in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt haben. Das ist für eine rein mittelständisch geprägte Branche, wie wir sie in Deutschland haben, nicht einfach. Bei den europäischen Nachbarn sieht das anders aus. Da wird die Branche vor allem durch Großkonzerne bestimmt. Deshalb ist Qualitätssicherung ein ganz wichtiges Feld unseres Verbandes. Nicht nur hierzulande.

Inwiefern?

Spethmann: Wir müssen nicht nur die immer strengeren rechtlichen Vorschriften bundesweit einhalten, wir müssen sie auch an unsere Partner, die Teeproduzenten weltweit, kommunizieren. Es ist nicht ganz einfach, einem indischen Plantagenbesitzer, der überallhin liefert, klarzumachen, dass er besonders strenge Standards erfüllen muss, wenn er nach Deutschland exportieren will.

Worin besteht das Problem?

Spethmann: Der Teeanbau wächst weltweit. Und das schon seit vielen Jahren. Es wird aber auch immer mehr Tee in den Herstellerländern selbst verbraucht. Es ist deshalb eine Herausforderung, dass tendenziell weniger Tee zum Export zur Verfügung steht. Hinzu kommen nun die enormen Anforderungen in Europa, sodass die Hersteller dazu neigen, den Tee dorthin zu verkaufen, wo die Vorgaben weniger scharf sind. Unsere Mitglieder müssen sich ständig neue Wege einfallen lassen, um an Ware überhaupt noch herankommen zu können, salopp gesprochen.

Laufen wir also in eine Teeknappheit?

Spethmann: So weit würde ich nicht gehen, aber es wird sicher schwieriger und auch tendenziell teurer. Denn wenn wir von den Lieferanten höhere Sicherheits- und Qualitätsstandards verlangen, müssen sie von uns auch Geld bekommen, damit sie investieren können, um das zu gewährleisten.

Wie wichtig ist Hamburg für den europäischen Teehandel?

Spethmann: Hamburg ist die Tee-Metropole des Kontinents. Im Hafen werden jährlich 200.000 Tonnen Tee umgeschlagen. Viele Mitglieder unseres Verbandes haben sich hier auf den Handel und die Veredelung von Tee spezialisiert.

Trinken die leicht anglophilen Hamburger mehr Tee als andere Bundesbürger?

Spethmann: Ganz so spezifisch kann ich es nicht sagen. Wir haben aber – was den Teekonsum angeht – ein Nord-Süd-Gefälle. Spitzenreiter in Europa sind die Ostfriesen mit einem Verbrauch von 300 Litern Tee pro Kopf im Jahr.

Ist es eigentlich schwierig, sich als mittelständischer Familienbetrieb in dieser Branche zu behaupten, die sonst nur von Großkonzernen bestimmt wird?

Spethmann: Man muss schon ganz schön strampeln. Wir machen insgesamt 30 Prozent unseres Umsatzes mit Sorten, die jünger als drei Jahre sind. Das bedeutet, dass wir neben den bewährten Produkten immer neue Impulse setzen müssen. Wir verfügen aber über sehr viel Erfahrung und können die Erwartungen unserer Kunden besser erfüllen. Dabei spielen traditionelle Handelsbeziehungen eine große Rolle. Viele Beziehungen zwischen Herstellern und Händlern bestehen seit Generationen.

Apropos Generationen: Sie haben das Unternehmen Ihren Eltern abgekauft. Sie sind seit Längerem Vorstandsvorsitzender, Ihr Bruder führt den Aufsichtsrat. Wie geht es weiter?

Spethmann: Ich werde auch demnächst in den Aufsichtsrat wechseln. Wir haben eine externe Managerin an Bord, Martina Sandrock, die am 1. Juli den Vorstandsvorsitz übernehmen und unser Unternehmen mit ihren Vorstandskollegen führen wird. Die nächste Generation der Familie Spethmann ist zwar mit dem Studium fertig, darf und soll sich aber erst noch außerhalb des Unternehmens entwickeln.

Gibt es da nicht Gerangel?

Spethmann: Nein, wir haben einen klaren Entscheidungsprozess. Der Aufsichtsrat wird die Nachfolge bestimmen, wenn es so weit ist.