Hamburg. Radikale Muslime verteilen Mohammed-Bücher statt Korane. Verfassungsschutz ist alarmiert. IS-Propaganda auch an Schulen.

Die Menschenfängerbewegen sich am Sonnabend zu zweit durch den Passantenstrom der Innenstadt. Sie tragen Laufschuhe und schwarze Kappen – der eine hat ein Schild auf dem Rücken, der andere einen Bauchladen mit den Büchern. Ihr Ziel: Passanten ein Exemplar schenken, ins Gespräch kommen. Sie wollen vor allem junge Menschen in ihre Szene ziehen, heißt es von den Sicherheitsbehörden. Es ist ein Sog, der in einigen Fällen bis hin zum bewaffneten Kampf für Terrorgruppen im Irak und in Syrien führt.

Nach dem Verbot der Kampagne „Lies!“ schienen die Werbeaktionen von Salafisten seit dem vergangenen Jahr beendet – doch seit März verfolgen die radikalen Muslime auch in Hamburg eine andere Strategie. Sie verteilen nicht mehr die Heilige Schrift des Islam, sondern eine Biografie des Propheten Mohammed.

Die Behörden sind alarmiert. „Die Aktivisten haben mutmaßlich Bezüge in die salafistische Szene, einige waren auch an früheren Missionierungsversuchen beteiligt“, sagte Marco Haase, Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes, dem Abendblatt.

Hassprediger Vogel gehört zu den Hintermännern

Hinter den Verteilungen steckt die Kampagne „We love Muhammad“. In anderen Bundesländern werden bereits seit dem vergangenen Jahr Verteilungen durchgeführt – in ihrer Ideologie und Strukturen lehnt sich die Organisation offenbar eng an das verbotene „Lies!“-Netzwerk an. So tritt der Salafist Bilal Gümüs, der bis zum Frühjahr 2016 als Cheforganisator der Koranstände in Deutschland galt, nun als Initiator von „We love Muhammad“ auf.

Der bekannte Salafistenprediger Pierre Vogel nennt sich in einem YouTube-Video selbst die „rechte Hand“ der Kampagne. „Macht Teams in eurer Stadt“, ruft Vogel radikale Muslime auf. Man wolle Tausende der Biografien verteilen, um Muslime zum „Benehmen von Mohammed“ zu erziehen. Die Bücher erhielten sie kostenlos; es wäre aber nett, sagt Vogel, wenn die Verteiler von „We love Muhammad“ zumindest das Porto für den Versand bezahlen.

Wie viele Salafisten dem Aufruf in Hamburg bislang Folge leisten, ist unklar. Rechtlich bedürfen solche mobilen Verteilungsaktionen keiner Anmeldung und können bislang nicht verhindert werden. Nach Abendblatt-Informationen prüft aber das Bundesinnenministerium, ob es sich bei „We love Muhammad“ um eine direkte Nachfolgeorganisation der „Lies!“-Kampagne handelt. Als Ergebnis könnte ein Verbot des neuen Projekts stehen.

Szene hat weiterhin rasanten Zuwachs

Obwohl die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) im Nahen Osten massiv an Einfluss und Gebieten verliert, wächst die Szene der Extremisten in Hamburg seit Jahren deutlich an. Derzeit leben laut Verfassungsschutz 730 Salafisten in Hamburg, davon werden 360 Personen als militante Dschihadisten eingestuft.

Bislang reisten bereits 70 Menschen aus der Hansestadt aus, um in den „Heiligen Krieg“ zu ziehen – jeder Dritte befindet sich noch im Kampfgebiet, ein Drittel ist getötet worden, ein Drittel nach Hamburg zurückgekehrt und weiterhin in der Szene aktiv.

Der Verfassungsschutz betont, dass die Bekämpfung von religiösem Extremismus „ein Schwerpunkt“ seiner Arbeit bleibe. Trotz der Größe der Szene gelangen den Behörden auch Erfolge gegen Salafisten: Die Erkenntnisse des Hamburger Verfassungsschutzes trugen wesentlich zum bundesweiten Verbot der „Lies!“-Kampagne im November 2016 bei.

Bereits in den fünf Monaten zuvor hatten der Bezirk Mitte dank vertiefter Erkenntnisse zu den Anmeldern alle angemeldeten Koranstände in der Innenstadt untersagen können. Die Zahl der ausreisenden Dschihadisten ging in den vergangenen Jahren in Hamburg deutlich zurück.

IS-Propaganda an Schulen

Pierre Vogel ist nach dem Verbot eines geplanten Auftritts in Jenfeld vor zwei Jahren nicht wieder selbst in Hamburg in Erscheinung getreten. Auch in der salafistischen Szene ist Vogel längst nicht mehr unumstritten, nachdem er sich andeutungsweise von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ distanziert hatte.

Neben Bücherverteilungen greifen die Salafisten in Hamburg aber auch zu anderen Aktionsformen. So meldeten im vergangenen Jahr Hamburger Schulen, dass IS-Propagandamaterial unter den Schülern verbreitet worden war.

Der Verfassungsschutz will die Bücherverteilungen in der Innenstadt „sehr intensiv“ im Blick behalten, kündigte der Sprecher an. Hamburgern wird geraten, die Verteiler zu ignorieren.