Hamburg. Situation vor den Geschäften in der Innenstadt hat sich laut Bezirksamt entspannt. Kontrollen gehen weiter. Wann die Abschiebung droht.

„Guten Morgen, wir sind vom Bezirksamt. Wir wollten Sie wecken und auffordern, Ihren Platz zu räumen.“ Die beiden Behördenmitarbeiter werden von drei Polizisten begleitet, als sie um 6.30 Uhr bei Saturn an der Steinstraße drei Obdachlose, die in ihren Schlafsäcken an der grauen Betonwand des Kaufhaus-Parkhauses schlummern, aus ihren Träumen reißen.

Eine junge Frau und zwei Männer recken mühsam ihre Köpfe in die Höhe, reiben sich die Augen und schälen sich dann langsam aus ihren Schlaf­säcken. Sie sprechen die deutsche Sprache nicht, aber sie verstehen sehr gut, dass die Nacht jetzt zu Ende ist. Es wird hell, die Temperatur an dieser Hauptstraße gegenüber von den Bahngleisen beträgt an diesem frühen Morgen fünf Grad. Der Berufsverkehr hat noch nicht eingesetzt, auch die Stadt erwacht gerade erst.

Es droht die Abschiebung

„You speak english?“ Die Frau mit Kapuzenpulli und Jogginghose zuckt mit den Schultern. Der junge Polizist lässt sich ihren Ausweis zeigen und überreicht der Rumänin dann ein Schreiben von der Innenbehörde. „Aufforderung zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde“, steht in ihrer Sprache vorne drauf. Binnen eines Monats soll sich die Frau bei der Behörde melden, um festzustellen, ob sie die Voraussetzungen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in Deutschland wie Arbeit, selbstständige Tätigkeit, ausreichende Existenzmittel oder Krankenschutzversicherung erfüllt. Falls nicht, kann sie zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung angedroht werden. So steht es im Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von EU-Bürgern.

Seit drei Wochen gibt es den „Weckdienst“ des Bezirksamts Mitte rund um Saturn. Wie berichtet, müssen die Obdach­losen um halb sieben Uhr morgens ihre Schlafplätze räumen und dürfen diese tagsüber auch nicht mehr nutzen. Vor Geschäftsbeginn werden die Plätze von der Stadtreinigung gereinigt.

Angestellte mussten über Kot und Müll steigen

Der Grund für diese Maßnahme, die zweimal pro Woche durchgeführt wird und noch bis Mitte Juni andauern könnte, war eine Verschlimmerung der Zustände rund ums Kaufhaus, in dessen Eingängen seit Jahren Obdachlose nachts Schutz vor Regen und Kälte suchen. Vor allem eine größere Gruppe von etwa 20 Rumänen und Bulgaren hatte für eine „Veränderung der Schamgrenze“, so Bezirksamtschef Falko­ Droßmann (SPD), gesorgt. Personaleingänge seien als Toiletten genutzt worden, Beschäftigte hätten über Unrat und Kot steigen müssen, um an ihre Arbeitsplätze zu gelangen.

„Es gab auch Konflikte mit anderen Obdachlosen“, sagt Droßmann. Diese Familienverbände, bei denen es sich nicht um Sinti und Roma handele, hätten ihm gegenüber mehrfach gesagt, sie verfügten in ihrer Heimat über Wohnraum. „Es scheint, zumindest was die Familienverbände betrifft, zu einer deutlichen Entspannung gekommen zu sein“, sagt Droßmann, der im Vorwege der Aktion zahlreiche Gespräche mit Anliegern, Ärzten, Firmen und sozialen Trägern geführt hatte. „Zumindest bei Eintreffen der bezirklichen Mitarbeiter verlassen die Menschen meist problemlos den Bereich.“

Die Situation war unzumutbar

Auch die Polizisten berichten, dass anfangs noch rund 20 Menschen geweckt wurden und nun nur noch ein halbes Dutzend. Auch an diesem Morgen wird nach den drei Rumänen nur noch ein Mann aus Tschechien geweckt, der mit seiner ganzen Habe – Schlafsack, Isomatte, kleinen Reise­tasche – vor Karstadt übernachtet hat. Der Mann bekommt ebenfalls das Schreiben ausgehändigt und packt dann seine Sachen zusammen.

„Aus unserer Sicht war die Aktion erforderlich, da in den vergangenen etwa zwei Jahren die bisher gut funktionierenden Absprachen häufig nicht mehr funktioniert haben, die Schlafplätze vor der Öffnung der Geschäfte zu verlassen“, sagt Brigitte Engler vom City Management. Manche Stellen seien gar nicht mehr geräumt oder sehr verschmutzt hinterlassen worden. „Für die Mitarbeiter, das Reinigungspersonal und die Kunden war die Situation an einigen Orten unzumutbar geworden.“ Nun habe sie die Information, „dass die Lage sich entspannt hat“. Grundsätzlich gebe es sowieso ein sehr friedliches Nebeneinander von Obdachlosen und Anliegern.

Ehrenkodex: „Platte“ sauber hinterlassen

„Es gibt Grundregeln des Zusammen­lebens und einen Ehrenkodex unter den Obdachlosen, dass sie ihre ,Platte‘ morgens besenrein hinterlassen“, sagt Birgit Müller, Chefredakteurin des Straßenmagazins „Hinz& Kunzt“. Wenn das trotz mehrfacher Ansprache nicht passiere, sei es in Ordnung, zu anderen Maßnahmen zu greifen.

Sie befürchtet jedoch, dass diese Vorgehensweise ausgeweitet wird. „Wir bekommen vermehrt Meldungen von Obdachlosen, dass sie an ihren Plätzen kontrolliert werden, obwohl sie den Kontrolleuren namentlich bekannt seien.“ Sie habe den Eindruck, dass dies mit dem G20-Gipfel zusammenhänge. „Wir erwarten von der Stadt ein Konzept, wo die Obdachlosen während des Gipfels übernachten können. Bisher ist nur gewährleistet, dass sie tagsüber Zugang zu den Aufenthaltsstätten in der Innenstadt haben können.“