Hamburg. Der Festival-Mix aus Avantgarde und Jazz überzeugte nur teilweise. Warum der Abend ohne leise Magie nicht ins Swingen kam.
„Sauerei!“ moserten zwei Senioren im Block E der Elbphilharmonie. Stoff des Anstoßes war ein riesiger blauer Vorhang, der etwa ein Drittel des Großen Saales verdeckte und den Blick auf die Architektur verstellte. „Ausverkauft“ hieß es an der Kartenkasse, doch beim Auftritt des US-Sängers Michael Feinstein und der Bigband des Hessischen Rundfunks blieben etwa ein Drittel der 2000 Plätze unverkauft.
Feinstein fehlt es an Charisma
Feinstein war zum „New York Stories“-Festival eingeladen worden, er präsentierte am Sonnabend Songs aus dem „Great American Songbook“, Klassiker aus Musicals und Filmen. Feinstein verfügt zwar über eine ausgebildete Stimme, allerdings fehlt es dem 60-Jährigen an Charisma. Dass er in Hamburg jetzt erst sein Deutschland-Debüt gab, verwundert nicht: Es fehlt ihm einfach an Klasse. Zwar lieferte er wie in einem Proseminar viele Hintergründe zu den Songs ab, doch ins Swingen kam der Abend nicht. Als das Publikum am Ende vehement „New York, New York“ forderte, mussten Feinstein und die Musiker improvisieren. Seiner Interpretation fehlte es dann auch an Verve, sie klang mehr nach Flensburg als nach New York.
Klassik goes Heavy Metal, mörderlaut und grell
Eine andere Festival-Lektion: Monotonie ist weder cool noch sexy. Selbst, wenn sie aus einer der hipsten Metropolen der Welt stammt und effektvoll inszeniert wird. Davon konnten sich die Besucher am Freitag ein Bild machen, musikalisch und visuell. Bill Morrisons Stummfilm „Fuel“ von 2007 zeigte das industrielle Binnenleben der Häfen von Hamburg und New York im Zeitraffer. Eine schöne Idee. Plötzlich wirkten die Kräne wie Rieseninsekten aus Stahl, die ihre Nahrung aus den Schiffen saugen. Das war faszinierend und witzig. Für etwa drei Minuten.
Danach wurde es öde. Genau wie das zum Film maßgeschneiderte, gleichnamige Streichorchesterwerk „Fuel“ von Julia Wolfe. Die Mitglieder des Ensemble Resonanz schrubbten ihre maschinenhaft-motorischen Rhythmen wie unter Starkstrom in die Saiten, produzierten aber vor allem virtuosen Leerlauf. Wie ihre Kollegen vom New Yorker Komponistenkollektiv „Bang on a Can“, verbindet Wolfe Einflüsse aus der Minimal Music mit Elementen aus Pop und Rock – generiert aus dieser Begegnung auch bloß hektische Langeweile.
Dagegen fräste sich das Stück „Industry“ ihres Ehemanns Michael Gordon umso unerbittlicher ins Ohr. Gordon verstärkt, übersteuert und verzerrt den Klang eines Cellos (fulminant gespielt von Saerom Park) bis an die Schmerzgrenze. Klassik goes Heavy Metal, mörderlaut und grell. Eine ganz neue Erfahrung für den Kleinen Saal und einige sichtlich irritierte Zuhörer. Ja, New York kann ganz schön anstrengend sein.
Nervöse Betriebsamkeit
Die „Bang on a Can“-Ideen hatten auch im ersten Konzert des Abends Spuren hinterlassen. Dort präsentierte das junge Jack Quartet aus New York eine Kostprobe musikalischer Geschmacksrichtungen des Big Apple. Darunter Wolfes „Early that summer“, das die Streicherstimmen zu einer Art wildgewordenem Bienenschwarm verknäuelt, seine Energie aber in nervöser Betriebsamkeit verpulvert.
Mit unglaublicher Präzision und Virtuosität bestätigte das Jack Quartet seinen exzellenten Ruf, konnte aber die mangelnde Substanz des Repertoires auch mit der größten Spielfreude nicht wettmachen. Weder in Cenk Ergüns Hochdruck-Stück „Sonare“, noch in Derek Bermels „Intonations“ entstand so etwas wie ein feinsinniger Dialog oder gar jene Tiefe des Ausdrucks, wie sie die europäische Quartetttradition auszeichnet.
Keine Zeit für Atempausen
Seine stärksten Momente hatte das Konzert bei älteren Werken, bei Ruth Crawford Seegers Streichquartett und Morton Feldmans „Structures“: ein wunderbar zartes Stück, voller Klangzaubereien, die in Ruhe ihre leise Magie entfalten dürfen. Aber für solche Atempausen des Innehaltens scheinen die Komponisten einer Acht-Millionen-Stadt heute keine Zeit mehr zu haben. Ganz schön uncool.