Hamburg. Die Fans feiern die Sängerin beim Konzert in der ausverkauften Barclaycard Arena. Es gab auch ernsthafte Momente.
Die Akkorde ihres ersten Liedes „Zimmer 410“ sind gerade verklungen, da spricht Ina Müller über den „peinlichsten Moment“ ihrer Hamburger Zeit. Ungeschminkt habe sie heute im Hotel eingecheckt und dann im Fahrstuhl einen älteren Mann getroffen, der sie angestarrt habe. „Entschuldigung, aber Sie kommen mir so bekannt vor“, habe er gefragt. Ihre Antwort: „Gucken Sie manchmal Pornos?“ Im Lift habe sie fortan die peinlichsten drei Stockwerke ihres Lebens verbracht.
Die Fans in der ausverkauften Barclaycard Arena – Müller wird den ganzen Abend von der O2-Arena sprechen – kringeln sich an diesem Sonnabend vor Begeisterung. Typisch Ina. Rotzfrech. Und so schlagfertig. Ein Blick ins Internet beweist indes schnell, dass Ina Müller auch in Dortmund, Stuttgart oder Hannover über ihr so peinliches Mann-Porno-Hotel-Erlebnis berichtete, der Gag reiste mit von Halle zu Halle, verändert wurde nur der Name der Stadt.
Durchchoreografierte Spontanität
Es wäre zu billig, Ina Müller nun diese kleine Flunkerei vorzuhalten; es geht hier schließlich nicht um eine Fake-News-Diskussion um den US-Präsidenten im Weißen Haus, sondern um den Auftritt einer Entertainerin, aufgewachsen in Köhlen im Landkreis Cuxhaven. Und doch illustriert die Episode sehr schön Ina Müllers Weg zum Erfolg. Was auf der Bühne so spontan wirkt, so leicht, ist in Wahrheit bis auf das letzte Komma durchchoreografiert.
Anders wäre dieses Programm auch nicht zu stemmen. Wer wie Ina Müller nach zwei, drei Liedern regelmäßig rund zehn Minuten Comedy abliefert, muss Abend für Abend um den Spannungsbogen kämpfen. Sicher, als Teil des großartigen Kabarett-Duos Queen Bee an der Seite von Edda Schnittgart hat Ina Müller gelernt, Pointen so präzise zu mischen wie einst die Salben in ihrer Zeit als pharmazeutisch-technische Assistentin in Apotheken in Bremen, Westerland und München.
Mehrgenerationenhaus mit Freund Oerding
Nur: Was auf intimen Kleinkunstbühnen oder Theatern mit allem Recht gefeiert wurde, muss in großen Hallen, wo man von den meisten Plätzen ihre Gesten nur über Videoleinwände verfolgen kann, noch lange nicht funktionieren. Es beweist Müllers Klasse, dass sie ihre Fans selbst in der riesigen Barclaycard Arena mehr als zweieinhalb Stunden in ihrem Bann hält. Und auch wer nicht über jeden ihrer Witze über 36-Stunden-Viagra, Outfit-Pannen oder weiblichen Hormonflug lachen kann, muss konstatieren: Diese Frau ist eine Klasse für sich, zumindest in Deutschland als Entertainerin unerreicht.
Allein die Nummer mit dem weißen Flügel lohnt das Eintrittsgeld. Das Instrument scheppert grässlich, Ina Müller steigt in das Instrument, angeblich ein Überbleibsel der Tour des Star-Geigers David Garrett, und fischt Sexspielzeug wie ein Lederband mit roter Sado-Maso-Kugel und eine Peitsche von den Saiten. „Garrett, die Sau“, ruft sie und schreitet dann wie eine Domina über die Bühne, peitscht sich die ganze Wut über die Missgeschicke des Alltags hinaus – etwa über die ständig fehlenden Papier-Handtücher in Zugtoiletten. Das ist großes Kino, genau wie die Gesprächsrunde mit ihren beiden formidablen Backgroundsängerinnen, die beide vor Kurzem geheiratet haben. Kritisch inspiziert die Chefin die Eheringe ihrer Mitarbeiterinnen. Der eine ist ihr viel zu schlicht und dünn, der andere mit einem recht großen Brillanten bestückt: „Du bist bestimmt seine zweite Frau“, sagt Müller, die Kollegin nickt.
Selbstredend dürfen Sprüche über den Altersunterschied von 16 Jahren zu ihrem Freund Johannes Oerding nicht fehlen. Eigentlich, sagt die 51-Jährige, könnte sie mit ihrem Lebensgefährten ja ein Mehrgenerationenhaus eröffnen. Aber natürlich sei das alles für sie kein Problem, da sie im Gegensatz zu Oerding inzwischen „ausgealtert“ sei.
Die Comedy-Queen zeigte ihre ernsthafte Seite
In ihrem aktuellen Programm zeigt Müller indes auch andere Seiten, jenseits ihres Images als Comedy-Queen. „Sehr gut steht Frau Müller ihre neue Ernsthaftigkeit“, heißt es etwas gestelzt im Begleitheft zu ihrem neuen Album. Das beste Lied von „Ich bin die“ kommt genau aus diesem Fach. „Wie du wohl wärst“, ein Stück über einen unerfüllten Kinderwunsch: „Alles ist gut, so wie es ist. Vielleicht wär’s schöner mit dir. Ich habe dich auch nicht groß vermisst. Wie auch, du warst ja nie hier.“
Ina Müller legt Wert darauf, dass dieser Song keinen autobiografischen Bezug habe, sie selbst habe sich nie Kinder gewünscht. Gewidmet sei das Lied den Frauen, die unter der Fragerei, wann es denn mit einem Baby so weit sei, leiden würden. Sie singt auch „Klammerblues“, ein Lied über das mögliche Ende einer langen Ehe: „Er wird’s überstehen. Die Kinder sind groß, noch könnt es gehen.“
Schade, dass sich diese stillen Momente im Geschlechter-Gag-Feuerwerk um Männer als kaputte Existenzen und Frauen als Leidende der Diät-Industrie versenden. Andererseits begreift sich Ina Müller eben als Dienstleisterin. Und als solche forderte sie am Ende die Fans getrennt nach Zipperlein-Gruppen auf, sich zu erheben – von Kopfschmerzen über Bandscheibe bis zum Tennisarm. Standing Ovations nach Müllerin Art.
Am 9. Dezember gibt Ina Müller ein Zusatzkonzert (20 Uhr, Barclaycard Arena), Karten ab 43 Euro in der Hamburger-Abendblatt-
Geschäftstelle, Großer Burstah 18–32; Mo–Fr
9 bis 19 Uhr, Sa 10 bis 16 Uhr, Telefonische Kartenbestellung: 040/30 30 98 98 und in allen Abendblatt-Ticketshops