Hamburg. Die Zahl der Fahrer zwischen Wohnort und Job steigt bundesweit stetig. Experten warnen: Das Hin und Her kann krank machen.
Die Zahl der Pendler in Deutschland ist auf einen Rekordwert gestiegen. Das geht aus einer neuen Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn hervor. 2015 pendelten bundesweit 60 Prozent aller Arbeitnehmer zum Job in eine andere Gemeinde – im Jahr 2000 waren es 53 Prozent. Hamburg liegt bei der Anzahl der Menschen, die täglich von außerhalb zur Arbeit in die Stadt pendeln, bundesweit auf Platz 3 – nach München und Frankfurt, gefolgt von Berlin.
In der Hansestadt waren im Juni 2015 exakt 908.673 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 36,8 Prozent (334.746 Beschäftigte ) wohnten außerhalb der Stadtgrenze. Im Jahr 2000 waren es noch 268.322. Damit wuchs die Zahl derjenigen, die aus anderen Bundeländern nach Hamburg zur Arbeit fahren, um 24,8 Prozent. Die meisten Pendler kamen 2015 aus Schleswig-Holstein (169.318) nach Hamburg. Aus Niedersachsen kamen 97.309, aus Mecklenburg-Vorpommern 12.497 und aus Bremen 3309.
Der Weg zum Arbeitsplatz wird länger
Zum Vergleich: In München stieg die Zahl der Einpendler zwischen 2000 und 2015 von 294.804 auf 355.110 um 20,5 Prozent, in Frankfurt von 304.896 auf 347.815 um 14,1 Prozent. Den prozentual höchsten Anstieg von Einpendlern zwischen 2000 und 2015 verzeichnet Berlin mit 53,3 Prozent (von 178.684 auf 273.904).
Gestiegen ist nicht nur die Zahl der Pendler, auch der Weg zum Arbeitsplatz ist länger geworden: von bundesweit durchschnittlich 14,6 Kilometern im Jahr 2000 auf 16,8 Kilometer im Jahr 2015. Vom Wachstum der wirtschaftsstarken Großstädte profitierten vor allem deren Umlandgemeinden, sagte Institutsdirektor Harald Herrmann.
Die Entwicklung löst bei vielen Fachleuten keineswegs Begeisterung aus – bei Verkehrs- und Siedlungsplanern ebenso wenig wie bei den Krankenkassen. „Der Flächenverbrauch und die Verkehrsbelastung steigen“, sagt Herrmann. „Deshalb ist es wichtig, dass die Infrastruktur mit dem Wachstum Schritt hält und das Umland gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden bleibt.“
Pendeln gefährde die Gesundheit
„Die verfügbaren Untersuchungen zeigen, dass tägliche Pendelmobilität die körperliche und psychische Gesundheit der Erwerbstätigen gefährden kann und einen negativen Einfluss auf das Gesundheitsempfinden hat“, sagt Simon Pfaff vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. „Je länger die Fahrzeit der Erwerbstätigen, desto größer die Belastung, auch weil weniger Zeit zum Regenerieren bleibt.“
Die Krankenkassen beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema gestresste Pendler. So haben Pendler laut einer Studie der Techniker Krankenkasse ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken. "Tägliches Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz stellt für viele Berufspendler einen zusätzlichen Stressfaktor dar, oft nicht ohne Folgen für die Gesundheit.
Die wachsenden Pendlerzahlen sind aus Sicht der IG BAU auch eine Folge falscher Wohnungspolitik. „Wir brauchen eine Politik mit dem Ziel, bezahlbares Wohnen auch in Metropolen und Ballungsräumen zu ermöglichen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft, Dietmar Schäfers, laut Mitteilung. Menschen und Umwelt litten „unter einer lange sträflich vernachlässigten Wohnungsbaupolitik“, kritisiert die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).
Pendlerstress betrifft vor allem Autofahrer
Wissenschaftler von der East Anglia University im englischen Norwich haben 2014 in einer Studie zum Thema Pendlerstress große Unterschiede herausgearbeitet: Am meisten leiden demnach diejenigen Pendler, die mit dem Auto zur Arbeit fahren. Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs und Radler fühlen sich laut dieser Studie wesentlich wohler auf ihren Wegen zur Arbeit und zurück als Autofahrer. Bei Walkern und Fahrradfahrern steigt sogar die Zufriedenheit mit der Länge des Weges.
Im Jahr 2016 (Stand 30.6.) befanden sich übrigens unter dem Millionenheer der Pendler einige mit rekordverdächtigem Arbeitsweg: 23 Chinesen pendelten ins Büro nach München, in Hamburg waren es 13. Die Arbeitnehmer aus Fernost gingen ganz offensichtlich nicht davon aus, dass sie sich dauerhaft an Isar oder Elbe niederlassen.