Hamburg. Im Streit über die Auskunftspflicht der Landesregierung gegenüber Abgeordneten wird wohl das Verfassungsgericht das letzte Wort haben.
Auf den ersten Blick ist es nur ein erbittert und zunehmend ruppig geführter Streit zwischen zwei politischen Gegnern, die sich ohnehin nicht sehr wohlgesonnen sind: Schulsenator Ties Rabe (SPD) und die CDU-Bildungspolitikerin Karin Prien. Doch dahinter steht spätestens seit dieser Woche ein sehr grundsätzlicher Konflikt zwischen Senat und Bürgerschaft, der wahrscheinlich vom Hamburgischen Verfassungsgericht entschieden werden muss: Wie weit reicht die Auskunfts- und Informationspflicht des Senats gegenüber der Bürgerschaft?
Die Sache selbst, um die die Auseinandersetzung tobt, ist ziemlich banal: Es geht darum, wie viel Mathematikunterricht die Schüler in den 15 anderen Bundesländern im Laufe ihrer Schulzeit erhalten. Bekanntlich war die Vorabi-Matheklausur in Hamburg so schlecht ausgefallen, dass Rabe die Zensuren im Nachhinein um eine ganze Note anhob, damit die Schüler nicht mit einem ungerechtfertigten Nachteil in die Abiturprüfung gehen. Wenn die Hamburger im Jahr des ersten bundesweiten Zentralabiturs schlecht abschneiden, hilft vielleicht der Blick über den Tellerrand.
Senat verweigerte Prien die Antwort
Karin Prien stellte am 3. Februar eine Kleine Anfrage, in der sie sich unter anderem nach dem Ländervergleich der Stundentafel erkundigte. Doch der Senat verweigerte die Antwort. „Bei Fragen zu Gegebenheiten in den übrigen Ländern handelt es sich um Angelegenheiten, die außerhalb der Zuständigkeit des Senats und damit des parlamentarischen Fragerechts nach Artikel 25 der Hamburgischen Verfassung liegen“, belehrte der Senat in seiner Antwort die Abgeordnete, die aber eine andere Lehrmeinung vertritt und sich prompt bei Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) beschwerte.
Juristin Prien zitiert das Verfassungsgericht, das in einer Entscheidung vom November 2013 das Auskunftsrecht der Abgeordneten weit ausgelegt hatte. „Das Fragerecht dient nicht nur der Kontrolle der Regierung und der wirksamen Wahrnehmung der Oppositionsaufgaben, sondern auch dem allgemeinen Informationsbedürfnis des Abgeordneten“, schrieben die Richter damals. Um seine Aufgaben wahrnehmen zu können, bedürfe der Abgeordnete „grundsätzlich umfassender Sachinformation“. Auch durch den Senat.
"Schulsenator behindert Arbeit der Abgeordneten"
In ihrem Beschwerdebrief kommt Prien zu dem Ergebnis: „Der Schulsenator behindert durch sein Verhalten, das durch das Urteil nicht gedeckt ist, die Arbeit der Abgeordneten der Bürgerschaft in unzumutbarer Weise.“ Damit hatte der Streit die nächste Stufe erreicht. Wenn Abgeordnete formal Beschwerde wegen der Nichtbeantwortung von Anfragen einlegen, prüft die Bürgerschaftskanzlei den Fall. Zwischen erster und zweiter Gewalt knirscht es ziemlich häufig: Bereits 38-mal haben sich Abgeordnete in den zwei Jahren der laufenden Legislaturperiode über die informationelle Zugeknöpftheit der Senatoren beschwert. In der Hälfte der Fälle schloss sich Veit dem Protest ganz oder teilweise an und forderte den Senat auf, doch noch zu antworten.
So auch im Fall der Mathestunden. „Die Abgeordnete Karin Prien hat beanstandet, dass die Frage 5 ihrer schriftlichen Kleinen Anfrage ... vom Senat nicht ordnungsgemäß beantwortet worden sei. Nach näherer Prüfung stimme ich dieser Auffassung zu“, schrieb Veit an ihren Parteifreund, Bürgermeister Olaf Scholz. Veit bat Scholz, „sich der Sache anzunehmen und mir eine überarbeitete Antwort zu der Frage 5 zuzuleiten“.
Doch Scholz, Rabe und der gesamte Senat denken nicht daran. Noch steht das Antwortschreiben des Bürgermeisters an Veit aus. Aber indirekt hat der Senat schon klare Kante gezeigt. Prien hatte nach dem Veit-Brief an Scholz eine neue Anfrage zum Ländervergleich der Mathe-Stundentafel an den Senat gerichtet.
In seiner Antwort, die am Mittwoch dieser Woche bei Prien eintraf, heißt es: „Mit der vorliegenden Anfrage werden erneut verwaltungsinterne Daten anderer Länder erfragt, die der Senat – selbst wenn sie ihm vorlägen – schon aus übergeordneten verfassungsrechtlichen Gründen nicht ... offenbaren kann“. Jedes Land dürfe nur über seine eigenen Angelegenheiten Auskunft geben. Verstöße des Senats könnten „zu einer erheblichen Störung der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem Bund und anderen Ländern führen“.
"Senator verhält sich wie ein bockiges Kind"
Karin Prien schäumt: „Der Senator verhält sich wie ein bockiges Kind. Trotzig und unsouverän.“ Offensichtlich habe Rabe in Bezug auf Mathe-Stundentafeln etwas zu verbergen. Die CDU-Abgeordnete empört zusätzlich, dass Rabe in einer Sitzung des Schulausschusses den Eindruck erweckte, er verfüge über Vergleichsmaterial.
Vielleicht ist das der richtige Moment, um kurz zu überlegen, worum es eigentlich geht. Es geht wahrlich nicht um brisante Geheiminformationen. Drei pfiffige Praktikanten können im Laufe weniger Stunden die Daten in den 15 Ländern sicherlich recherchieren. So gesehen hat der Streit einen reichlich absurden Zug und ließe sich leicht aus der Welt schaffen.
Dem Senat kann es also augenscheinlich nicht um die Zurückhaltung von Informationen gehen, die ohnehin öffentlich zugänglich sind. Es geht ihm offenbar um das Prinzip. Tatsächlich ist sich die Landesregierung einig darin, hier einen „Dammbruch“ verhindern zu wollen. Wenn einmal Daten aus anderen Ländern geliefert würden, dann würden sie immer häufiger abgefragt. Ohnehin ächzen die Behörden schon jetzt unter der Vielzahl Kleiner Anfragen. „Es geht nicht um eine Privatfehde zwischen Frau Prien und mir, sondern um eine Frage zwischen Senat und Bürgerschaft, die jetzt grundsätzlich geklärt werden muss“, sagt Rabe.
Prien hat schon angekündigt, den Gang zum Verfassungsgericht zu prüfen. Bei der Entscheidung des höchsten Gerichts in Sachen Auskunftsrechte 2013 bekam Priens Parteifreund Roland Heintze, heute CDU-Landeschef, übrigens Recht. Der Senat musste liefern.