Hamburg. 780 Stellen sollen bei dem Hamburger Turbinenhersteller verschwinden. Die Branche ist insgesamt in Unruhe. Die Hintergründe.
Die Runde ist hochrangig besetzt: Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) will am heutigen Montag ins Hamburger Gewerkschaftshaus kommen, sein Bremer Amtskollege und Parteigenosse Martin Günthner hat auch zugesagt. Die Bürgermeister von Husum und Bremerhaven werden da sein, zahlreiche Betriebsräte und Gewerkschafter. Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) entsendet einen Vertreter seiner Behörde an den runden Tisch, weil er selbst in Hafenangelegenheiten auf dem Weg nach Japan sein wird.
Kundgebung am Besenbinderhof
Dass der Mann nicht kommt, mit dem die anderen Teilnehmer dringend sprechen möchten, steht bereits fest: Senvion-Vorstandschef Jürgen Geißinger hat seine Teilnahme abgesagt. Er stehe für Gespräche durchaus bereit, ließ er ausrichten, wolle am runden Tisch der IG Metall aber nicht auf der „Anklagebank“ sitzen. Und schon auf dem Weg ins Gewerkschaftshaus wäre der Manager wohl Dutzenden schlecht gelaunten Mitarbeitern des Windkraftkonzerns mit Sitz in Hamburg begegnet. Sie werden am Besenbinderhof zu einer Kundgebung erwartet.
Produktion soll eingestellt werden
Es war Jürgen Geißinger selbst, der vor zwei Wochen den Anlass lieferte, dass der IG-Metall-Bezirksleiter Küste, Meinhard Geiken, und sein für Brandenburg zuständiger Kollege zu dem Treffen eingeladen haben: Der Vorstandschef gab Mitte März den Abbau von 780 der weltweit gut 4800 Stellen bei Senvion bekannt.
Die Produktion an drei deutschen Standorten soll noch in diesem Jahr eingestellt werden, in der Hamburger Zentrale jede zehnte der etwa 560 Stellen wegfallen. Das Ziel heißt: Kosten reduzieren, damit der Anlagenhersteller „zukunftsfähig“ wird. Zugleich stimmte der CEO die Anteilseigner darauf ein, dass Senvion wohl erst 2019 wieder profitabel sein werde.
Im vergangenen Jahr – einem der besten für die Windkraftbranche weltweit – hatte Senvion 65 Millionen Euro Verlust eingefahren und das selbst gesteckte Umsatzziel von mindestens 2,25 Milliarden Euro knapp verpasst. Für dieses Jahr rechnet der Vorstand mit einem Rückgang der Erlöse auf 2,0 bis 2,1 Milliarden Euro.
Nun soll unter anderem die „Effizienz in der Organisation“ verbessert werden und Produktion nur noch in Bremerhaven, Portugal und Indien stattfinden. Der Konzern, der früher Repower hieß, will mit neuen Anlagentypen punkten, darunter eine Offshore-Anlage der 10-Megawatt-Klasse. Mit diesem „Zukunftsprogramm“ reagiere das Unternehmen auf den „zunehmenden Preisdruck“, so Geißinger.
Druck auf Turbinenhersteller steigt
Dieser Preisdruck wird absehbar weiter steigen: Nachdem Windstromproduzenten hierzulande und in vielen anderen europäischen Ländern bislang mit hohen garantierten Abnahmepreisen auf Kosten der Endverbraucher kalkulieren konnten, kehren in der Branche nun verstärkt die Gesetze des Marktes ein. Neue Windparks werden in Deutschland von diesem Jahr an ausgeschrieben: Den Zuschlag erhält derjenige Bewerber, der den geringsten Preis für den erzeugten Strom verspricht und damit die geringste Förderung in Anspruch nehmen will.
So soll verhindert werden, dass die Ökostromzulage weiter steigt. Sie macht in Deutschland mittlerweile fast ein Viertel des Preises einer Kilowattstunde Strom aus.
Zugleich werden die Errichtung neuer Anlagen und das sogenannte Repowering, also das Ersetzen alter, leistungsschwacher Windräder durch neue, leistungsstarke, gedeckelt. Von der Bundesnetzagentur ausgeschrieben werden in den nächsten Jahren jeweils nur 1500 Megawatt auf See (offshore) und 2800 Megawatt an Land (onshore). In Deutschland wurden 2016 an Land immerhin noch 4700 Megawatt installiert.
Beides – das Ausschreibungsmodell und die Deckelung – erhöht den Druck auch auf die Turbinenhersteller. „Die Zeiten werden turbulenter, das Auktionsmodel verändert die Bedingungen radikal“, sagt Arash Roshan Zamir vom Hamburger Analysehaus Warburg Research. Kleinere Turbinenhersteller werden nach seiner Einschätzung den Preisdruck als Erste spüren.
Für die Bieter in Ausschreibungen gebe es zwei Hebel, den günstigsten Preis zu bieten, sagt Torsten Henzelmann, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger und dort Leiter des Kompetenzzentrums, das unter anderem für die Bereiche Energie und Infrastruktur zuständig ist: „Eine günstige Finanzierung der Investition und den Einkaufspreis der Anlagen.“
Für einen Hersteller gilt daher: Je besser das Preis-Leistungs-Verhältnis, desto größer ist seine Chance, dass es seine Anlagen sind, für die der Betreiber sich entscheidet. Die Folge: „Immer öfter sind Großunternehmen wettbewerbsfähiger als kleine Anbieter“, sagt Henzelmann. Er erwartet, dass es in der Branche zu weiteren Fusionen, Übernahmen und Konsolidierungen kommen wird.
Größe wird immer wichtiger
Die in Hamburg ansässige Siemens-Windsparte, die derzeit eine neue Produktion für Offshore-Anlagen in Cuxhaven aufbaut, hat sich bereits mit der spanischen Gamesa zusammengetan. Nordex, das seine Zentrale in Hamburg-Langenhorn erweitert, übernahm im April 2016 die ebenfalls spanische Acciona Windpower. Senvion zählt zwar nicht zu den ganz Großen, aber zu den größeren Anbietern und liegt derzeit auf Platz elf der weltweiten Hersteller-Rangliste. Geißinger will nun verstärkt in Schwellenländern wachsen. Dort allerdings tauchen nun auch die großen chinesischen Windkraftkonzerne auf, die sich bislang fast ausschließlich auf den heimischen Markt konzentriert hatten. Er schrumpft.
Während Siemens und Gamesa nach der Mitte März von der EU-Kommission genehmigten Fusion gemeinsam mit Vestas (Dänemark), General Electric (USA) und Goldwind (China) ein Quartett der weltweit mit Abstand Größten der Branche bilden werden, zeigt das Beispiel Nordex, dass Größe und Orientierung auf Schwellenländer nicht zwingend Erfolgsgaranten sind. Schon wenige Wochen vor Senvion war Nordex der erste Hamburger Windkraftkonzern, der 2017 Negativschlagzeilen produzierte.
Senvion gilt als Übernahmekandidat
Ende Februar schockierte Vorstandschef Lars Bondo Krogsgaard die Aktionäre mit einer Umsatzwarnung. Er sprach dabei von einem „deutlich erhöhten Preisdruck“. Zur Begründung hieß es, die Geschäfte in den Kernmärkten Brasilien und Südafrika liefen schlechter, Projekte mit einem Volumen von 450 Millionen Euro verzögerten sich. Zudem kommen in der Türkei, wo Nordex Marktführer ist, derzeit kaum Aufträge herein. Der Kurs der Aktie stürzte binnen zwei Tagen um 30 Prozent ab. Erst als Krogsgaard eine Woche später eine recht ordentliche Bilanz für 2016 vorlegte, Kostenreduzierungen ankündigte, und sagte: „Ein Personalabbau ist möglich“, legte der Kurs wieder etwas zu. Trotzdem musste der Däne seinen Posten räumen. Laut Mitteilung des Konzerns hatte er selbst vorgeschlagen, vorzeitig aus dem Unternehmen auszuscheiden.
Dass es für die Senvion-Beschäftigten heute beim runden Tisch oder in den nächsten Monaten gute Nachrichten geben wird, dass Vorstandschef Geißinger zu größeren Zugeständnissen bereit sein wird, wird in der Branche aber bezweifelt. Das Unternehmen mit Hauptsitz in der City Nord gilt als Übernahmekandidat.
Etwa für einen großen chinesischen Konzern, der sich ein Standbein auf dem europäischen Markt schaffen und zugleich Hochtechnologie einkaufen will. Finanzinvestoren wie Centerbridge trennen sich gern schon nach wenigen Jahren gewinnbringend von einem Investment. Vorher wird die Braut hübsch und „zukunftsfähig“ gemacht – zum Beispiel durch Personalabbau und Kostenreduzierung.