Hamburg . Stiebich & Rieth sind mit ihren bis zu 2300 Euro teuren Luxus-Handtaschen in einer Liga mit großen Namen.

Auf dem Fußboden liegt ein großes Stück Leder, darauf kleben kleine Markierungen und geben ein ab­straktes Muster – weiß auf braun. „Das sind Unregelmäßigkeiten im Material, Mückenstiche oder Verfärbungen“, sagt Julia Rieth. Eigentlich ganz normal für ein Naturprodukt. Bei den Handtaschen aus der Hamburger Taschenmanufaktur Stiebich & Rieth aber sind Fehler nicht erlaubt. Sie müssen perfekt sein. Deshalb werden die Schadstellen beim Zuschnitt der Modelle ausgespart. „Das ist ein aufwendiger Prozess“, sagt Detlef Stiebich und man sieht, wie er in Gedanken das Schnittmuster schon mal auf das Leder projiziert. Luxus made in Hamburg. Nichts wird dem Zufall überlassen, von Anfang bis Ende werden die Taschen in der Region handgefertigt.

Die Produktion wurde 2016 mehr als verdoppelt

Gerade ist das Designer-Duo mit seinem Atelier ins Hochparterre einer Villa in Harvestehude gezogen. Im großzügigen Showroom ist die Sommerkollektion und die für den Winter 2016/17 ausgestellt. Damentaschen arrangiert auf Sockeln wie Skulpturen. Sie heißen Bug, Drop oder Mignon. Klare Linien, kaum Dekorationen. Puristisch und betont minimalistisch sind die zehn aktuellen Modelle, aus dickem Leder in Farben wie Aubergine, Cobalt oder Pumpkin, die nie aufdringlich aber besonders sind. „Bei uns hat alles Funktion, nichts ist überflüssig“, erklärt Rieth die Formensprache ihres Labels – und damit wohl auch den Erfolg. Die Hamburger Taschenmacher knüpfen an die Traditionen erfolgreicher deutscher Lederwaren-Hersteller an und spielen inzwischen in der Kategorie internationaler Luxusmarken wie Hermès, Louis Vuitton, Celine, Gucci oder Prada. 2016 haben sie die Produktion von 200 Handtaschen auf 450 ausgeweitet. In diesem Jahr streben sie die 600er-Marke an.

Auf einem großen Werkstatt-Tisch liegen Gurtbänder in verschiedenen Farbvariationen. „Wir haben den Auftrag für einen Kunden in Monte Carlo, eine Sonderkollektion zu entwerfen“, sagt Stiebich. Noch ist das Design in der Entstehungsphase. Verschiedene Lederproben sind in der engeren Wahl, edle Messingbeschläge mit Stiebich & Rieth-Branding. In Bechern stecken Falzbeile, Kantenwerkzeuge, Silberstifte, eine Ahle und was man sonst noch an Werkzeugen braucht. Im Atelier an der Hagedornstraße entstehen die Prototypen der Taschenmanufaktur, werden probiert und solange verändert, bis sie produktionsreif sind. Stiebich nimmt eine Lochzange in die Hand. Um das pflanzlich gegerbte feste Leder mit Nadel und Faden zu nähen, müssen alle Nähte vorgestanzt werden. „Mein zweiter Name ist Lochzange“, sagt der 56-Jährige und lacht. Etwa acht Millionen Löcher stanzte er seit der Gründung der Firma.

Handarbeit ausschließlich aus der Region

Die beiden Hamburger Designer kennen sich lange, haben mehr als 20 Jahre für große Marken wie Joop, Bogner oder Wunderkind zusammengearbeitet und zuletzt eine Design-Agentur betrieben. „Aber wir wollten noch mal etwas ganz eigenes machen“, sagt Rieth (51). Dass es Taschen sein sollten, war schnell klar. 2012 starteten sie ihr Unternehmen, anfangs im Esszimmer von Stiebich, zwei Stockwerke über dem heutigen Atelier. Sie steckten alles Geld in ihre Firma – und fingen an vom Entwurf bis zum Verkauf alles selbst zu machen. Im ersten Jahr schufen sie 70 Taschen im Stiebich&Rieth-Stil.

„Der Anfang war hart“, sagen die Gründer. Trotzdem sind sie ihren Prinzipien treu geblieben: Gutes Leder, Handarbeit ausschließlich aus der Region. Es ist der Herstellungsprozess, der die Taschen zu Luxusprodukten macht. Die Prototypen von der handlichen Clutch bis zum neuen Shopper aus weichem Velourleder entstehen im Atelier, ganz analog. Erst wenn alle Details vom Reißverschluss bis zur Riemennaht stimmen, werden die Schnitte digitalisiert. Parallel entwickeln die Taschendesigner eine Art Bauplan für die Handwerker, jeder Schritt wird dokumentiert und sogar die Zeit gestoppt. In der Manufaktur in Uetersen werden die Einzelteile, je nach Modell 30 bis 45 Stück, zugeschnitten, Löcher gestanzt, Kanten gefärbt und Beschläge vorbereitet. In einer Sattlerei in Dithmarschen werden die Teile mit dem „zweinadligen Sattlerstich“, der auch bei Hermès eingesetzt wird, per Hand zusammengenäht. „Nur das Nähen kann bis zu 14 Stunden pro Tasche dauern“, so Stiebich.

Zunehmend Anfragen aus Japan

Das hat seinen Preis. Zwischen 800 und 2300 Euro kosten die Taschen der Hamburger. „Anfangs hatten wir Sorgen, dass das zu teuer ist“, sagt Rieth. Aber es habe sich noch nie jemand über den Preis beschwert. Das liege daran, dass man die Arbeit dahinter sehe, sagen die Taschenmacher. 2015 wurden sie mit dem New Faces Award Fashion der Zeitschrift „Bunte“ ausgezeichnet. Aber natürlich muss man sich eine Luxus-Tasche auch leisten können. Die Kundinnen kommen vor allem aus Deutschland, Schweiz und Österreich. In Hamburg gibt es die Taschen bei Linette am Eppendorfer Weg und nach Vereinbarung im Showroom des Labels. Zunehmend gebe es inzwischen Anfragen aus Japan. Dagegen sank der Absatz in Russland und China spürbar.

Handtaschen sind längst nicht nur Accessoire, sondern auch ein Riesenmarkt. Laut Statistikportal Statista werden 2016 in Deutschland 569 Millionen Euro mit Damenhandtaschen umgesetzt. Die Modeindustrie profitiert von der tiefen Verbindung zwischen Frauen und Handtaschen. Der Begriff „It-Bag“, erstmals aufgetaucht in den 90er-Jahren, manifestiert die Erhöhung der Tasche zum modischen Kultgegenstand. Vor allem der Markt der Luxustaschen wächst stetig. Modelle von Hermès oder Chanel kosten auch Secondhand noch mehrere Tausend Euro. Bei einer Auktion von Christie’s schrieb die Birkin Bag von Hermès Geschichte. Ein Sammler aus Asien zahlte für ein limitiertes Exemplar des Modells Himalaya 270.000 Euro. Dass diese Tasche getragen wird, ist unwahrscheinlich.

Die Firma Stiebich & Rieth, in die seit Ende 2015 eine Investorin aus München eingestiegen ist, entwickelt im Schnitt drei neue Modelle pro Saison. „Mehr schaffen wir nicht“, sagt Rieth. Ob irgendwann eine „It-Bag“ darunter sein wird? Stiebich: „Das ist die Entscheidung der Kunden.“ Inzwischen tragen bekannte Schauspielerinnen wie Jella Haase („Fack ju Göhte“) und Nina Hoss („Homeland“, „Barbara“) die Taschen. Auch im neuen Schlöndorff-Film „Rückkehr nach Montauk“ ist ein Modell zu sehen. Ein bisschen Stolz hört man schon raus, als Rieth davon erzählt: „Wir bestehen mit unserem eigenständigen Design zwischen den bekannten Marken.“