Hamburg. Türkischer Außenminister spricht bei umstrittenem Wahlkampf-Auftritt auf der Uhlenhorst zu Anhängern – und kritisiert Deutschland scharf
Peter Ulrich Meyer, Michael Arning und André Zand-Vakili
Als „Mörder!“-Rufe zu hören sind, stellen sie die Musik an. Türkische Fahnen hängen an den Geländern, der Garten füllt sich, vor dem Tor warten sieben Hundertschaften der Polizei. Mit einem schwer bewachten Auftritt vor rund 300 Anhängern an der Konsulatsresidenz auf der Uhlenhorst endete am Dienstag die Verwirrung um den Besuch des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu in Hamburg – der Politiker schlug teils scharfe Töne an, während etwa 200 Menschen gegen die türkische Regierung protestierten.
Eine Gruppe von Aleviten und türkischen Oppositionellen erwarten den Minister gegen 18 Uhr bereits an der Auguststraße – die Kolonne wird durchgeleitet, Cavusoglu war erst am späten Nachmittag gelandet. Auch die Gäste wurden kurzfristig in die Residenz geladen. Noch kurz zuvor hatte es keine geeignete Fläche gegeben. Erst nach 40 Minuten beginnt der Auftritt, ein Imam stimmt ein Gebet an, die türkische Nationalhymne erklingt. Bei den ersten Worten des Ministers entlädt sich die Freude der Anhänger. Große Fahnen im Publikum wehen zu allen Seiten, Jubel ist zu hören, die in die Höhe gereckten Smartphones mit laufenden Kameras im Publikum leuchten.
„Ich bringe euch Grüße von Präsident Erdogan mit“, ruft Cavusoglu in den Jubel – es tue ihm leid, dass er keine Halle für seinen Auftritt in Hamburg gefunden habe und die Anhänger nun im Freien zuhören müssten.
Minister: Deutschland betreibt Propaganda
Cavusoglu stellt die Debatte um Auftritte wie diesen in das Zentrum seiner Rede: Deutschland betreibe „systematische Propaganda“, weil mehrere Versammlungen untersagt wurden. Bereits zuvor hatte der Außenminister von einem „ungekannten Druck“ gesprochen, der auf die hierzulande lebenden Türken ausgeübt werde. „Alle diese Praktiken erinnern an die Nazizeit“.
An die Bundesregierung gerichtet, sagt Cavusoglu: „Bitte versucht uns nicht in Sachen Menschenrechte und Demokratie zu belehren.“ Grundsätzlich sei sein Land an guten Beziehungen zu Deutschland interessiert: „Haben wir je versucht, gegen die deutsche Regierung zu hetzen?“ Die türkische Regierung habe vielmehr Frieden gepredigt und die Türken in Deutschland aufgefordert, sich in Deutschland zu integrieren, ohne ihre Kultur zu vergessen. Immer wieder kommen begeisterte Rufe auf; ein junger Türke aus dem Publikum sagt, Auftritte wie diesen folgten dem festgelegten Schema der türkischen Regierungspartei AKP. Dazu gehören auch Lieder, die Titel wie „Türkei, für dich würde ich mein Leben geben“ tragen.
Konsulat ließ Hamburger Senat über Auftritt im Dunkeln
Entgegen einigen Befürchtungen bleiben auch die Proteste während der 40-minütigen Rede friedlich – viele Demonstranten treten früher den Heimweg an, da ihre Parolen längst in der Lautstärke der Erdogan-Anhänger untergegangen sind. Die Polizei hatte bereits vor Tagen auch auswärtige Beamte aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen angefordert. Auch Polizeipräsident Ralf Martin Meyer verfolgte den Auftritt vor der Residenz an der Kreuzung Auguststraße/Schöne Aussicht. Mesut Cavusoglu nimmt noch einige Selfies mit Anhängern auf und wird gegen 20.30 Uhr zurück zum Flughafen eskortiert.
Unterdessen wird deutlicher, dass eine Kommunikation zwischen der türkischen Regierung und Hamburgs staatlichen Stellen praktisch nicht stattgefunden hat. Beobachter haben den Verdacht, dass es Teil der Strategie war, vieles im Unklaren zu lassen.
Die offizielle Mitteilung über den bevorstehenden Besuch Cavusoglus in Hamburg erreichte die Senatskanzlei erst am Montagmittag. Da hatten Medien schon drei Tage lang über den geplanten Wahlkampfauftritt berichtet. Die Nachricht, in der Diplomatensprache Verbalnote genannt, hatte als Absender die türkische Botschaft und trug das Datum 3. März – also Freitag der vergangenen Woche. Warum es so lange gedauert hat, bis die Depesche ihren Empfänger erreichte, ist unklar.
In dem Text wird der Besuch Cavusoglus für den 7. und 8. März angekündigt. Der Minister werde am Dienstag mit einer Regierungsmaschine in Fuhlsbüttel landen. „Nach einem Treffen mit Vertretern der türkischen Gemeinde reist der Außenminister am Abend weiter nach Berlin“, heißt es in der Verbalnote wörtlich.
Darin wurden keine Uhrzeiten genannt, mit keinem Wort ist von einem öffentlichen Auftritt Cavusoglus oder gar von einer geplanten Wahlkampfkundgebung zum umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei die Rede, mit dem Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sehr weitreichende Machtbefugnisse eingeräumt werden sollen. Immerhin teilt die Botschaft mit, dass Cavusoglu in Berlin die Internationale Tourismusbörse (ITB) besuchen wolle. In seiner Rede auf der Uhlenhorst kündigt Cavusoglu an, am Mittwoch mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zu sprechen: „Wir wollen darüber reden, ob es ein Problem gibt zwischen Deutschland und der Türkei.“ (Mit Material und Übersetzungen von dpa).
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