Hamburg. Die Lange Nacht der Kammermusik war ein überwältigender Erfolg. Wie ein Hauch Wiener Luft durch die Elbphilharmonie strömte.

Die Idee der Kammermusik ist der intime Dialog. Die besondere Nähe zwischen Interpreten und Hörern. Deshalb haben kleine Besetzungen in großen Sälen eigentlich nichts zu suchen.

Streicher erstaunlich präsent

Es sei denn, wir sind in der Elbphilharmonie, mit ihrer nestwarmen Atmosphäre und der transparenten Akustik. Selbst ein Streichquartett – Inbegriff einer geradezu privaten Kommunikation – geht hier nicht verloren, sondern wirkt erstaunlich präsent. Das Quatuor Modigliani eroberte den Raum schon mit dem ersten, flüsterzarten Flirren in Dvo­řáks „amerikanischem“ Streichquartett und füllte ihn dann mit sanglichen Melodien und beschwingten Rhythmen. Jede Nuance kommt an, als hätte Yasuhisa Toyota das Klangdesign für solche Ensembles maßgeschneidert.

Ein Dialog des Saals mit sich selbst

Die Quartettpremiere im großen Saal war eine von 14 Stationen bei einem umjubelten Konzertmarathon, der sechs Stunden lang die Vielfalt der Kammermusik feierte: mit einer Riege internationaler Klassik-Stars, wie dem Cellisten Daniel Müller-Schott oder dem Geiger Renaud Capuçon, und einer Bandbreite vom romantischen Liedgesang bis zum Tango für Saxofonquartett.

Dabei nutzte das Programm die Möglichkeiten des Raums geschickt und sensibel aus. Gleich zu Beginn spielten acht Cellisten die einzelnen Sätze von Johann Sebastian Bachs C-Dur-Solosuite von verschiedenen Emporen und inszenierten so einen Dialog des Saals mit sich selbst.

Klänge, die verschmelzen

Ein faszinierendes Surrounderlebnis, ausgeheckt von Ludwig Hartmann, dem Vorsitzenden der Hamburger Kammermusikfreunde, der auch als Moderator durch den Abend führte.

Zum Abschluss des ersten Drittels – nach zwei fulminanten Duos und dem erwähnten Dvo­řák-Quartett – kamen die acht Cellisten auf der Bühne zusammen, um Christiane Karg zu begleiten, bei der Aria aus Villa-Lobos‘ „Bachiana brasileira“ Nr. 5 . Alleine dieser hinreißende Moment strafte die Mär von der vermeintlich erbarmungslos trennscharfen Elbphilharmonie-Akustik Lügen. Ja, sie zeichnet jede Linie bleistiftfein nach und verzeiht auch keine Fehler.

Aber wenn eine Sopranistin sich so geschmeidig an den Sound der Celli anschmiegt wie Christiane Karg, die selbst beim Summen, mit geschlossenem Mund, noch eine berückende Leuchtkraft verströmt, dann verschmelzen vokaler und instrumentaler Klang auf das Herrlichste.

Ein Hauch von Wiener Luft

Wie schön sich die Farben im Großen Saal miteinander mischen, wenn die Musiker gemeinsam atmen, phrasieren und intonieren, erlebten die Besucher auch im Oktett von Franz Schubert, Hauptwerk des zweiten Teils. Angeführt von der Klarinettistin Sabine Meyer, formten die Bläser und Streicher eine Interpretation zwischen munterer Spielfreude und melancholischer Süße. Da wehte ein Hauch von Wiener Luft durch die Elbphilharmonie.

Im letzten Drittel rückten die virtuosen und bisweilen auch kuriosen Facetten der Kammermusik in den Fokus. Sergei Nakarjakow, der Teufelsbläser mit dem Engelsgesicht, zündete im „Carneval in Venedig“ ein irrwitzig knatterndes Trompetenfeuerwerk; die Cellisten Wolfgang Emanuel Schmidt und Jens-Peter Maintz lieferten sich in Paganinis „Moses-Variationen“ ein nicht minder packendes Duell der Flitzefinger, und Sabine Meyers Trio di Clarone dudelte mit einer echten Drehorgel um die Wette.

Dass das Zusammenspiel zwischen Mensch und Mechanik dort bisweilen etwas hakte, gehörte zu den klitzekleinen Schönheitsfehlerchen eines langen, aber sehr lebendigen und wunderbar abwechslungsreichen Abends, an dem man sich noch einmal ganz neu in den Reichtum der Kammermusik und die Akustik des Großen Saals verlieben konnte.